Der Lutherische Weltbund hat sich bei seiner Vollversammlung in Stuttgart für die brutale Verfolgung der Mennoniten öffentlich entschuldigt. Mitglieder der Freikirche waren im 16. und 17. Jahrhundert auch mit der Billigung des Reformators Martin Luther unterdrückt und getötet worden.
In der Erklärung bitten die Lutheraner »Gott und unsere mennonitischen Schwestern und Brüder um Vergebung für das Leiden, das unsere Vorfahren im 16. Jahrhundert den Täufern zugefügt haben«.
Zudem äußerten die Lutheraner ihr Bedauern darüber, dass die Verfolgungen in den nachfolgenden Jahrhunderten vergessen und ignoriert wurden. Sie entschuldigten sich zudem dafür, das lutherische Autoren bis heute unzutreffende, irreführende und verletzende Darstellungen über die Täufer und Mennoniten verbreitet hätten.
Aus diesem Anlass wiederhole ich hier meinen Hinweis auf ein Buch, das die Geschichte, für die jetzt endlich in Stuttgart um Vergebung gebeten wurde, auf packende Weise lebendig werden lässt:
Nach 43 Wochen Haft im Rathaus von Oetenbach gelang ihm die Flucht. Die reformierte Obrigkeit schäumte vor Wut. Speziell eingesetzte Täuferjäger führten Razzien in verdächtigen Häusern durch und machten den Gläubigen das Leben schwer. Schließlich fanden die Täuferjäger heraus, wo die Meylis lebten und stürmten mit dreißig Mann das Haus. Schwer bewaffnet brachen sie durch die Türen. Als sie feststellten, dass Meyli ihnen wieder entkommen war, verwüsteten sie die Räume. Dann nahmen sie seine beiden Söhne, Hans und Martin, gefangen. Martin war schon verheiratet und so ergriffen die Täuferjäger auch seine Frau Anna und legten sie in Fesseln. Ihr vierzehn Wochen altes Kind nahmen sie ihr weg und gaben es an »rechtgläubige« reformierte Christen.
Die Gefangenen wurden nach Zürich gebracht, dort verurteilt und inhaftiert. Den Männern nahm man die Kleider weg und kettete sie zwanzig Wochen am Steinboden fest. Man folterte sie mit Raupen und Spinnen. Sie bekamen gerade so viel zu essen und zu trinken, dass sie am Leben blieben. Doch die Gefangenen widerriefen ihren Glauben nicht.
Ich habe dieses Buch aus dem Englischen übersetzt und dabei manches Mal Tränen in den Augen gehabt. Ich musste mehrfach den Schreibtisch verlassen, zu erschüttert, um weiter zu arbeiten. Aus der Schulzeit wusste ich noch ganz vage etwas von der Geschichte von 1500 bis 1600, aber dass in unserem Land Menschen gefoltert und getötet wurden, aus solchen Gründen, von rechtgläubigen Protestanten und Katholiken, die plötzlich einen gemeinsamen Feind hatten, war mir verborgen geblieben. Und was die Täufer wirklich wollten, wer sie wirklich waren, das hatte mir sowieso niemand beigebracht.
Das Buch hat ein katholisches und ein evangelisches Vorwort. Der katholische Theologe schreibt unter anderem:
Die katholische Kirche des 16. Jahrhunderts hat diese Täuferbewegung blutig verfolgt, im Zusammenspiel mit den Obrigkeiten fast vernichtet und schwere Blutschuld auf sich geladen. Die katholische Kirche des beginnenden 21. Jahrhunderts hat endlich die Begegnung gesucht, mit den Nachfahren dieser Täuferbewegung. Sie beginnt langsam zu entdecken, welche Erinnerungen noch zu heilen sind, welche Schuld abzutragen und welcher ökumenische Schatz noch zu heben ist.
Der evangelische Theologe erklärt in seinem Beitrag:
Als Christ in landeskirchlicher Tradition kann man diese Geschichte nur mit Entsetzen und voller Scham lesen. Besonders fassungslos hat mich gemacht, in diesem Erzählen zugleich die Stimme derer, die damals so grausam mundtot gemacht wurden, vielfältig und leicht verständlich vernehmen zu können: Warum hat man sie damals nicht gehört? Gewiss, ihre Stimme stiftet auch Unruhe, aber es ist eine heilsame Unruhe (Psalm 139, 21f).
Dies ist kein Buch für Menschen, die seichte Lektüre lieben. Es ist kein Buch für jemanden, der angenehm unterhalten werden will. Es ist auch kein Buch für Christen, die nicht gewillt sind, ihrem eigenen Leben und Denken einen Spiegel vorzuhalten.
Wer aber bereit ist, sich verstören und in der Gemütlichkeit der frommen Nischen stören zu lassen, dem sei das Buch nachdrücklich empfohlen. Es hat das Potenzial, zu zündeln, in den Gedanken des Lesers. Der dabei womöglich entstehende Brand wäre womöglich bedrohlich für den behaglichen Status Quo der Christenheit in mancher Nische.
Mein Fazit: Aufwühlend, aufklärend, radikal und raumgreifend im Kopf. Ein lesenswertes und gefährliches Buch.
Zu finden beispielsweise hier bei Amazon: Feuertaufe für die Freiheit. Das radikale Leben der Täufer - eine Provokation
3 Kommentare:
Hammerhart!!
..naja, ich hab eh schon ne Überdosis Abneigung gegen die Volkskirchen und ihre hochheiligen "Traditionen" und ehrwürdigen Überlieferungen, auf die sie immer so stolz sind und ohne die wir ja angeblich längst in finsterster Finsternis versunken wären...
...könnte es evtl. möglich sein, dass da eine klitzekleine Schieflage im Selbstbild und der historischen Darstellung vorliegt?
Mannomann, je mehr man darüber erfährt und nachdenkt, auf was für einer blutigen Spur des Grauens die kirchlichen Strukturen auf uns gekommen sind, umso weniger kann man über ihren Niedergang besorgt sein. Ob da eine noch so reumütige Erklärung wirklich etwas ändert?..
Die Distanz zu den "Wiedertäufern" scheint sich mir ohnehin eher an der Oberfläche verringert zu haben und das jahrelange Festketten am feuchten Kerkerboden findet auch nicht mehr so häufig statt...
- ist echt zum Rückwärtsfrühstücken!
btw - über die Mennonitis weiß ich eigentl. noch gar nix, sollte mir das Buch wohl bei Gelegenheit mal reinziehen.
Du übersetzt die richtigen Bücher - mein lieber Herr Gesangsverein! :-)
Segen
Danke für den erneuten Hinweis auf das Buch, den ich mir nun endlich zum Anlass genommen habe, bei Amazon zuzuschlagen! Ob es allerdings die rechte Urlaubslektüre ist?
@Bento: Abneigung okay - aber wie immer macht die Dosis das Gift
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