Donnerstag, 27. März 2008

Siegfried Hitler

Vor etlichen Monaten unterhielt ich mich mit zwei Männern aus unserem Hausbibelkreis über Literatur. Dabei erzählte einer der beiden von einem Buch, das er für unbedingt lesenswert hielt. »Siegfried - eine schwarze Idylle« von Harry Mulisch. Ich bekundete Interesse – und vor zwei Wochen hat er es tatsächlich ausgebuddelt und mir geliehen. »Endlich!« muss ich sagen, nachdem ich es nun gelesen habe.

Zwei alte Menschen, vor langer Zeit Hausangestellte in der Bergfestung Hitlers auf dem Obersalzberg, jetzt Bewohner eines ärmlichen Altersheimes, erzählen dem holländischen Schriftsteller Rudolf Herter, der Wien zu einer Lesung besucht, eine unglaubliche Geschichte: Adolf Hitler und Eva Braun hatten einen Sohn.

Wenn dieses Buch ein Deutscher verfasst hätte, wäre die erzählerische Begegnung Auge in Auge mit den Kerngfiguren des Naziregimes kaum - oder nicht so direkt - zustande gekommen. Der Autor Harry Mulisch aber ist Holländer, Sohn eines ehemaligen österreichischen Offiziers und einer Frankfurter Jüdin - das heißt, er kann sich literarisch so ziemlich alles trauen, ohne in falschen Verdacht zu geraten. Und er ist ein ganz hervorragender Autor, der seine Ideen so lebensnah und nachvollziehbar zu erzählen vermag, dass man ihm einfach folgen will und muss. In seiner Figur des Rudolf Herter fand ich mich übrigens gelegentlich wieder, etwa an solchen Stellen:
Sein Gedächtnis für die Ereignisse in seinem Leben war eher schlecht, und des öfteren musste er Maria oder Olga fragen, wie sich irgendwelche Dinge genau zugetragen hatten...
Wie oft geht es mir doch genau so! Ich berichte ein Ereignis und die beste aller Ehefrauen, die auch dabei war, schüttelt den Kopf zu meinem Bericht...

Doch zurück zur Geschichte von Siegfried Hitler, dem verheimlichten Kind. Herter schwört dem alten Ehepaar Verschwiegenheit bis zu deren Tod, bevor er die Einzelheiten erfährt. Die Geschichte, die er dann hört, ist so unglaublich, dass er zu folgendem Schluss kommt:
...Und überhaupt. Wer würde ihm glauben? Und nach dem Tod der Falks, ohne Zeugen würde seine Geschichte noch unglaubwürdiger sein. Man würde ihn wegen seiner Phantasie loben, und vielleicht bekäme er wieder einen Literaturpreis, doch glauben würde ihm niemand.
Damit hat der Autor etwas geschafft, was wir alle, die wir Geschichten erzählen, gerne vollbringen möchten: Der Leser ist im Zweifel, ob er Fiktion oder Tatsachen liest, oder eine Mischung - aber in welchem Verhältnis? Genial eingefädelt von Mulisch. Der Mann hat Phantasie. Und daher schreibt er auch:
Die Phantasie kann es nicht mit der Wirklichkeit aufnehmen, die Wirklichkeit schlägt die Phantasie bewusstlos und krümmt sich vor Lachen.
Solchermaßen auf das Glatteis geführt erlebt der Leser mit, was dem Kind zustößt. Bis zum bitteren Ende und darüber hinaus, denn die letzten Seiten des Buches sind Tagebuchnotizen von Eva Braun, die nach der gespenstischen Hochzeit im Führerbunker in ihren letzten Lebensstunden Eva Hitler hieß. Da war Siegfried allerdings schon tot.

Ein Buch, das ich verschlungen habe, wenn ich auch bei den gelegentlich etwas ausschweifenden Ausflügen in die Geschichte der Philosophie gedacht habe: Wann geht es endlich weiter? Doch andererseits ist der Hitler, den Harry Mulisch portraitiert, untrennbar mit Nietzsche, Heidegger, Wagner und anderen verbunden.

Sprachlich ist das Buch in der deutschen Fassung makellos, dem Übersetzer zolle ich Hochachtung vor seiner Leistung.

Mein Fazit: Tatsächlich unbedingt lesenswert!

Ein interessantes Gespräch mit dem Autor: Hitler war ein schwarzes Loch

Das Buch: Harry Mulisch: »Siegfried. Eine schwarze Idylle«
Taschenbuch: 190 Seiten
Verlag: Rowohlt Taschenbuch (Oktober 2003)
Euro 7,95
ISBN-10: 3499232960
ISBN-13: 978-3499232961
Zum Beispiel erhältlich bei Amazon: Siegfried: Eine schwarze Idylle (rororo)

Mittwoch, 26. März 2008

Geschafft! Block C! Sitzplätze!

Nur so als Vorankündigung: Am 30. August 2008 bin ich abends nicht erreichbar. Da sind wir, die beste aller Ehefrauen und ich, in der Waldbühne im Block C und hören dem vermutlich letzten Konzert mit Leonard Cohen in Berlin zu.

Nach 15 Jahren in der Zurückgezogenheit hat sich der 73jährige, wohl nicht zuletzt wegen der begeisterten Reaktionen weltweit nach der Aufnahme in die Hall of Fame, zu einer Konzertreise entschlossen.

Die besten Plätze waren bereits wenige Minuten nach der Ankündigung des Konzertes ausverkauft, aber immerhin... Block C. Immerhin...

The Race - traut sich was!

Das Magazin »The Race« bringt in der aktuellen Ausgabe 03/2008 (noch nicht online zu finden, aber überall, wo es christliche Zeitschriften gibt, erhältlich) einen kontroversen Artikel aus meiner Feder. Die trauen sich was, die Herausgeber...

Geist statt Diskussionsforum

»Ich muss warnen vor dieser Irrlehre!« »Haltet euch fern von diesem Verführer!« »Diese Lehre ist nicht bibeltreu!«
Solche Sätze las ich häufig, als ich vor einigen Jahren noch die Diskussionen in einem »christlichen« Internetforum, das sogar das Gebet im fremdsprachigen Namen trägt, verfolgte und als Moderator versuchte, das schlimmste an Verleumdungen und Anklagen zu verhüten. Neulich habe ich aus Neugierde mal wieder reingeschaut - es geht immer noch so entsetzlich zu wie damals...
Hitzig wird dort nach wie vor von manchen Zeitgenossen dargelegt, warum Charismatiker keine richtigen Christen sein können oder warum nur Charismatiker richtige Christen sein können. Es hagelt Argumente, warum Gott heute nicht mehr heilt und warum er heute noch heilt. Wer sich nicht taufen lässt, ist nicht bibeltreu (weil nur das Untertauchen gilt), und wer sich taufen lässt, ist auch nicht bibeltreu (weil er ja schon als Baby besprenkelt wurde und sich nicht zwei mal taufen lassen darf). Wer Weihnachten / Ostern feiert ist Opfer einer Irrlehre (weil Weihnachten / Ostern heidnisch ist) und wer Weihnachten / Ostern nicht feiert, ist auch Opfer einer Irrlehre (weil er gesetzlich ist).

Der kurze Brief des Judas gibt uns einen Schlüssel zum Gebet in die Hand, der auch bei der Frage, was Irrlehre ist und was nicht, hilft. Judas beschreibt die Menschen, die sich aus falschen Motiven mit ihren Irrlehren in die Gemeinde eingeschlichen hatten. Er sagt zwei Mal »Ihr aber...«, um den Unterschied zwischen den Nachfolgern Christi und denen, die ihre eigenen Wege verfolgen, deutlich zu machen. Noch bevor er das Gebet erwähnt, schreibt er:
Ihr aber, Geliebte, gedenkt der von den Aposteln unseres Herrn Jesus Christus vorausgesagten Worte! (Judas 17)
Er erinnert damit an die Lehre derer, die tatsächlich von Gott beauftragt sind. Dann schreibt er:
Ihr aber, Geliebte, erbaut euch auf eurem heiligsten Glauben, betet im Heiligen Geist, erhaltet euch in der Liebe Gottes, indem ihr die Barmherzigkeit unseres Herrn Jesus Christus erwartet zum ewigen Leben. (Judas 20-21)
Betet im Heiligen Geist – unmissverständlich formuliert Judas diese Aufforderung. Es geht in seinem Brief, wie gesagt, um die Entlarvung von falschen Lehren und Lebensweisen – und dazu ist der Heilige Geist der richtige Helfer.
Der Beistand aber, der Heilige Geist, den der Vater senden wird in meinem Namen, der wird euch alles lehren und euch an alles erinnern, was ich euch gesagt habe (Johannes 14, 26),
hatte Jesus gesagt, und das gilt auch (oder gar vor allem?) im Gebet.

Auch hier im Judasbrief wird deutlich, dass der Heilige Geist beim Gebet Erkenntnis schenkt: Auch über Irrtümer und falsche Wege, die unser Verstand möglicherweise gar nicht sehen würde.

Ich bleibe dabei, dass ein Christ, der nicht im Heiligen Geist betet, kein schlechterer oder geringerer Gläubiger ist als andere. Meine ganz persönliche Erfahrung mit evangelikalen
Gläubigen, die Geistesgaben nicht praktizieren, ist in einem Satz zusammenzufassen: Ich wurde in einer solchen Gemeinde körperlich, seelisch und geistig wieder gesund.
Heute gehöre ich einer Gemeinde an, in der die Gaben praktiziert werden und fühle mich wohl und zu Hause.
Ich sehe in unserer Unterschiedlichkeit die gegenseitige Ergänzung im Leib Christi und das Potential, von einander zu lernen und mit einander zu beten. Und ich werde mich nicht mit anderen Christen in die Haare kriegen, welche Gemeinde, Kirche oder Gruppe denn nun im Besitz der endgültigen Weisheit und Wahrheit sein mag.

Dienstag, 25. März 2008

Bilder sind wie Erzählungen

Wenn ich male und selbst nicht begreife, was ich male, so bedeutet das noch lange nicht, daß diese Bilder keine Bedeutung haben.
Dieses Zitat stand als Motto über einer Ausstellung, die wir am letzten Samstag besucht haben: Dali. Mir geht es mit manchen Texten ähnlich. Wenn ich erzähle und selbst nicht begreife, was ich erzähle, so bedeutet das noch lange nicht, dass diese Texte keine Bedeutung haben.
Ich weiß nicht, ob es dem Dali wiederum ging wie mir: Wenn etwas fertig erzählt ist, erschließt sich mir manchmal die Bedeutung.

Samstag, 22. März 2008

Sophia, Angelina oder Sabrina?

Demnächst habe ich eine Woche ohne Büro vor mir, im Volksmund nennt man so was Urlaub. Da möchte ich zumindest anfangen, einen von drei Romanen so weit in Form zu bringen, dass ich einem Verlagslektor ohne schamroten Kopf den Text überlassen kann.
Ich weiß bloß nicht, welche Geschichte. Die von Sophia? Oder doch Angelina? Oder womöglich Sabrina?

Sophias Geschichte fängt so an:
Feuchtes Laub raschelte unter den Füßen der beiden Spaziergänger im Berliner Tiergarten. Beide waren 13 Jahre alt, das Mädchen wirkte jedoch älter. Ihr Gesicht ließ ahnen, daß sie ihre Kindheit nicht ohne Wunden und Schmerzen hinter sich gebracht hatte. Dunkle Locken fielen bis auf die Schultern, sie trug weiße Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit dem Hard Rock Café Logo auf der Brust. Ihr Begleiter war hochgewachsen, schlank, dunkelblond, ein vergnügtes Lächeln spielte auf seinem Gesicht.
Sie schlenderten schweigend den Weg am Kanal entlang. In der Ferne hörte man, wenn man die Ohren spitze, Verkehrsgeräusche. Die beiden nahmen auf einer Bank Platz und sahen auf das träge dahinfließende Wasser des Landwehrkanals.

Der Junge brach nach etwa zehn Minuten das Schweigen. »Sophia, weißt du, was mir an dir besonders gefällt?«
»Nein. Aber du wirst es mir gleich sagen.« Sie lächelte erwartungsvoll.
»Daß man mit dir auch schweigen kann. Stundenlang, wenn es paßt. So was ist selten.«
»Danke, Manfred.«
Sie saßen auf der Bank, sahen den Enten zu, die ohne Eile über das Wasser glitten, beobachteten müßige Spaziergänger. Sophia genoss den Nachmittag. Sie hatten gemeinsam die Arbeiten für die Schule erledigt und waren anschließend mit der U-Bahn zum Bahnhof Zoo gefahren. Von dort aus durchwanderten sie den Tiergarten und sammelten Blätter für den Biologieunterricht. Der Park wirkte nach dem Gewitter, das am Mittag gewütet hatte, wie frisch gewaschen in der wärmenden Sonne.
Schließlich standen sie auf und schlenderten weiter. Der Junge sagte, als hätte es die lange Gesprächspause nicht gegeben: »Du kannst andererseits reden wie ein Wasserfall, wenn es paßt. Je nach Bedarf dummes Zeug oder kluge Einsichten.« Manfred blickte auf die herbstlich verfärbten Baumkronen. Dann fuhr er fort: »Du bist wie ein Baum, der einem geben kann, was man braucht. Schatten in der Hitze, Schutz beim Regen, Früchte gegen den Hunger.«
»Und wenn es dann paßt, holzt du mich ab und verheizt mich in deinem Kamin, ja?«, fragte sie grinsend.
Manfred lachte. »Okay, Ende der Philosophiestunde. Laß uns ein Eis essen gehen, am Ku'damm. Okay?«
»Okay. Eis kann aber auch philosophisch sein. Ich esse Eis, also bin ich.«
»Nee, ich bin, also esse ich Eis.«
Sophia schüttelte den Kopf. »Nein, Manfred. Ich weiß nicht, welches Eis ich essen werde, also weiß ich nicht, wer ich sein werde. Bin. War.«
Sie beschleunigten ihre Schritte und verließen den Tiergarten. Quer über den Hardenbergplatz strebten sie dem Europacenter zu.

Sophia wußte tatsächlich nicht, wer sie war. Es sollten noch zwei Jahre vergehen, bis die Erinnerung zurückkehrte.
Angelinas Geschichte beginnt wie folgt:
Diese Augen. Dieser Strudel des Lebens, der in ihnen wirbelte. Die unendliche Tiefe, in die ihr Blick mich hineinzog. »Fenster der Seele« hatte mal ein kluger Mensch die Augen des Menschen genannt, aber Angelinas Augen waren mehr. Ich konnte in ihnen versinken. Ich wollte in ihnen versinken. Und wenn ich dort ertrank... konnte es ein angenehmeres Ende des irdischen Daseins geben?
Ich war immer wagemutig gewesen, nahm Herausforderungen an, ging lieber ein paar Schritte zu weit, als vorsichtig zurückzuweichen, wenn ich unbekanntes Gelände betrat. Risiken nahm ich gerne in Kauf, schließlich ist das ganze Leben ein Risiko. Man muss eben das Bestmögliche herausholen. Ich überließ das große Kuchenstück nicht anderen, wenn ich es selbst bekommen konnte, schließlich schenkte mir auch niemand etwas. Ich war nicht rücksichtslos, handelte nie auf Kosten anderer Menschen, aber wenn ich eine Chance bekam, nutzte ich sie, während andere noch zögern mochten.
Als ich Angelina zum ersten Mal sah, dachte ich nicht an ein erotisches Abenteuer, wollte sie vielmehr mit meinen Farben auf der Leinwand verewigen und sie dabei kennen lernen. Portraits malte ich am liebsten, denn ich hatte dabei Gelegenheit, stundenlang mit dem Menschen, der vor mir saß, zu reden, meine Eindrücke von seinem Wesen in das Bild hineinfließen zu lassen. Malerei ist mehr als Fotografie, so stimmungsvoll die Produkte guter Lichtbildkünstler auch sind. Ein Foto kann aber nie mehr zeigen als das, was vor der Linse ist. Natürlich haben Fotografen im digitalen Zeitalter Möglichkeiten, von denen frühere Generationen nicht einmal geträumt haben. Ob digital bearbeitete Fotos noch ein ehrliches Werk sind, sei dahingestellt... Ich hielt meine Kunst für aufrichtig, denn ich gab von vorne herein durch meine Bilder mit Pinsel und Farbe nicht Spiegelbilder der Wirklichkeit wieder, sondern meine sehr persönliche Interpretationen des Gesehenen.
Sie mochte ungefähr fünfundzwanzig sein, ihre glatten Haare flossen in weichen schwarzen Wellen über die Schultern. Verspielt zauberte der schwache Wind mit den Spitzen der Fransen, die ihr über die harmonisch geschwungenen Augenbrauen fielen, immer neue Muster auf ihre Stirn. Ich sah sie, als ich einen Platz an den Tischen vor dem kleinen Eiscafé am Marktplatz suchte.
Fehmarn wurde von einem Bilderbuchsommer verwöhnt. Sonnenhungrige Touristen bevölkerten die glühend heißen Strände, in meiner Heimatstadt Burg auf Fehmarn wimmelten sie in den Geschäften und Restaurants. Ich saß gerne dicht am Gewühl und beobachtete die geschäftig hin und her strömenden Massen, fertigte gelegentlich Bleistiftskizzen und verstand nie all die Hektik. Obwohl sie doch Urlaub hatten, schienen sie die Betriebsamkeit des Alltags nicht hinter sich lassen zu können, sie drängelten vor den Geschäften, sie eilten durch die Straßen, sie zogen quengelnde Kinder hinter sich her und sie schleppten halbe Haushaltsausrüstungen zu den Stränden, wo sie sich dann ihre weißen Bäuche verbrennen ließen.
Angelina saß auf meinem Lieblingsplatz nahe am unermüdlichen Strom der Touristen. Es gab zwar einen zweiten Stuhl an dem kleinen runden Tisch, aber da noch andere Plätze frei waren, setzte ich mich nicht zu der Fremden. Aufdringlich wollte ich natürlich nicht wirken. Allerdings wählte ich meinen Sitzplatz so, dass ich sie beobachten konnte.
Und Sabrinas Geschichte wiederum hat diesen Anfang:
Der Volkswagen hatte mehr als zwanzig Jahre seinen Dienst getan. Er erfuhr ganz offensichtlich regelmäßige Pflege, sein Lack glänzte in der Nachmittagssonne, man hätte meinen können, das Fahrzeug sei gerade vor wenigen Tagen vom Band gerollt. Von weitem betrachtet war der Käfer, der die Fahrbahn zur Hälfte blockierte, ein Schmuckstück. Als ich am 17. Juli 1998 um 16:48 Uhr auf die Unfallstelle zufuhr, ging mir der Gedanke so schlimm kann es gar nicht sein durch den Kopf. In der Aufregung hatte ich das kurze Telefonat wohl missverstanden.
Ich war auf dem Heimweg vom Büro, als mir einfiel, dass wir vergessen hatten, ein paar Flaschen guten Wein für den Abend zu kaufen. Wir erwarteten Gäste und eigentlich war alles für einen gemütlichen Abend besorgt – bis auf das passende Getränk.
Der Verkehr war, etwas anderes konnte man um diese Zeit in Berlin auch nicht erwarten, mehr als zähflüssig, er stand beinahe still. Zwei Polizeifahrzeuge und ein Notarztwagen hatten sich vor einer viertel Stunde auf der engen Straße am Stau, in dem ich mich mit zahlreichen anderen Verkehrssteilnehmern befand, vorbei gequält. Es ging nur sehr mühsam voran und ich hoffte, dass die Behinderungen bald aus dem Weg geräumt sein würden, damit noch etwas Zeit blieb, Sabrina zu Hause den Tisch decken zu helfen und das Essen vorzubereiten, bevor unser Besuch kam.
Als mir der Gedanke an den vergessenen Wein kam, rief ich Sabrinas Mobiltelefon an, denn es mochte ja immerhin sein, dass sie das Versäumte bereits erledigt hatte. Sie hatte solche Angelegenheiten besser im Griff als ich. Anstelle meiner Frau antwortete eine unbekannte männliche Stimme mit einem »Ja bitte?« Verwählt haben konnte ich mich nicht, da ich die Speichertaste benutzt hatte.
»Wer ist da«, fragte ich, »und warum haben Sie das Telefon meiner Frau?«
Der Mann behauptete, Polizist zu sein und fragte, wo ich mich gerade befinden würde. Ich erklärte etwas verwundert, dass ich auf dem Weg nach Hause gerade die Osdorfer Straße passiert habe und bestand darauf, zu erfahren, was der Polizist, wenn er wirklich einer war, mit dem Telefon meiner Frau zu tun hatte.
Ich ahnte in jenem Moment, dass ich gleich eine schlechte Nachricht bekommen würde. Wenn die Polizei einen Anruf an einem privaten Mobiltelefon beantwortet, dann sicher nicht, um über das Wetter oder die Verkehrslage zu plaudern.
Kennen Sie das Gefühl, wenn einem an einem warmen Sommertag plötzlich eiskalt wird? Wenn man nicht weiß, wohin der schneller werdende Herzschlag und der Schweißfilm auf der Stirn den Körper führen werden? Ob man im nächsten Moment noch Herr seiner Sinne sein wird? So fühlte ich mich, während ich zuhörte.
Ein Verkehrsunfall sei geschehen, erklärte die Stimme, der Polizist habe das Telefon aus der Handtasche meiner Frau genommen als es läutete. Ich möge bitte zur Kreuzung Ostpreußendamm / Wismarer Straße kommen. Mehr könne er mir am Telefon nicht sagen. Ich war nur wenige Minuten von der Unfallstelle entfernt. Minuten, in denen Hoffnung und Angst um meine Gedanken stritten.
Eine Verwechslung. Warum hatte die Polizei dann das Telefon? Nur eine Schramme, meinetwegen ein gebrochenes Bein. Sie kann nicht schwer verletzt sein. Warum nimmt dann ein Fremder den Anruf entgegen? Weil sie stirbt oder tot ist. Unsinn, warum sollte sie tot sein. Außerdem kann das gleiche Unglück nicht zwei Mal den gleichen Menschen treffen. Ach nein? Wo steht das geschrieben? Der Blitz schlägt nicht zwei Mal in den gleichen Baum. So schlimm ist es nicht. Gleich wird sich alles aufklären.
Ich hielt hinter einem Polizeifahrzeug an. Die Mine des Polizisten, der auf mein Fahrzeug zukam, verhalf der Angst zum Sieg über die Hoffnung. Doch, es ist schlimm. Noch viel schlimmer.
Zögernd öffnete ich die Türe und stieg aus.
Frage an meine Blogbesucher: Von welcher der drei Personen würdet Ihr / würden Sie gerne mehr erfahren? Ich freue mich auf Kommentare...


P.S.: Frohe Ostertage allen Leserinnen und Lesern.

Das Ostergeschenk & Jesus als UFO

Ich weiß gar nicht mehr, vor wie vielen Jahren ich den Text verfasst habe, aber jetzt wurde er bei Glaube.de wieder ausgegraben - was ich eher zufällig gesehen habe, da ich ja dort seit einer Weile nicht mehr in der Redaktion mitarbeite.

Heute würde ich ein paar Formulierungen hier und dort anders wählen, aber an und für sich gefällt mir dieser alte Artikel doch noch - oder wieder. Und da ja nicht Weihnachten naht, sondern Ostern... Bitteschön, hier geht es lang: Das Ostergeschenk.

So, und wer nicht lesen mag, sondern eher gute Musik schätzt (oder zur Lektüre den musikalischen Genuss ergänzen möchte), darf sich an Cliff Richard und Larry Norman erfreuen, die musikalisch erklären, inwiefern Jesus nicht nur der Felsen ist, der nicht davonrollt, sondern auch den Felsen davonrollen kann, der uns einzusperren versucht, und noch dazu ein U.F.O., das wir demnächst möglicherweise beobachten werden: Cliff und Larry zusammen

Freitag, 21. März 2008

Karfreitag

Und er nahm Brot, dankte, brach und gab es ihnen und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch gegeben wird. Dies tut zu meinem Gedächtnis! Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sagte: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, das für euch vergossen wird. (Lukas 22, 19-20)
Jesus feierte mit seinen Jüngern. Das eigentliche Passah begann mit dem Abendgottesdienst in der Synagoge oder dem Tempel, dem das große Festmahl im Familienkreis folgt: der Seder. Bestimmte Speisen mit symbolischer Bedeutung wurden nach einem genau festgelegten Verlauf gemeinsam eingenommen. Nach dem Verzehr der symbolischen Speisen folgte das eigentliche Festmahl.
Mancher ist verwirrt, dass beispielsweise in Lukas 22 Jesus offenbar mehrmals den Kelch nahm - das gehörte aber zum Ritus. Es wurden in bestimmten Abständen insgesamt vier Becher Wein getrunken, die Gottes Verheißungen symbolisierten: Er wollte die Kinder Israels herausführen, erretten, erlösen und als eigenes Volk annehmen. Ein fünfter Becher stand für den Propheten Elija bereit, der erwartet wurde, um das Kommen des Messias anzukündigen.

Jesus war der Messias (und Johannes der Täufer hatte ihn angekündigt), deshalb gab er dem Brot und dem Wein an diesem, seinem letzten Passahfest, eine neue Bedeutung. Paulus schrieb an die Korinther, dass er vom Herrn selbst empfangen hatte, dass Brot und Wein als Erinnerung an dieses letzte Passahfest Jesu bis zu seiner Wiederkunft gefeiert werden soll:
Ich habe von dem Herrn empfangen, was ich auch euch überliefert habe, daß der Herr Jesus in der Nacht, in der er überliefert wurde, Brot nahm und, als er gedankt hatte, es brach und sprach: Dies ist mein Leib, der für euch ist; dies tut zu meinem Gedächtnis. Ebenso auch den Kelch nach dem Mahl und sprach: Dieser Kelch ist der neue Bund in meinem Blut, dies tut, sooft ihr trinkt, zu meinem Gedächtnis.Denn sooft ihr dieses Brot eßt und den Kelch trinkt, verkündigt ihr den Tod des Herrn, bis er kommt. (1. Korinther 11, 23-26)
Die Jünger wurden traurig, denn sie hatten nicht begriffen, was Jesus ihnen angekündigt hatte: Dass er auferstehen würde. Irgendwie war Karfreitag in der Kleinstadtgemneinde, in der ich seinerzeit die ersten Schritte im Glaubensleben tat, immer ein reichlich niedergedrückter und betrüblicher Tag. Man kleidete sich dunkel und aß kein Fleisch (obwohl man nicht katholisch war). Man scherzte nicht. Man war irgendwie depressiv angehaucht. Als sei Jesus im Grab geblieben.

Karfreitag ist für mich heute kein Trauertag mehr. Es ist ein Tag der Erinnerung, der Dankbarkeit, der Vorfreude auf den Tag, an dem Jesus Christus wiederkommt.

Donnerstag, 20. März 2008

Horns and a pitchfork

Ich mag manche Songs der Rolling Stones. Andere mag ich nicht. His Bobness geht es wohl ebenso, wie er kürzlich in einem Nebensatz andeutete:
You know we’ve gotten a bunch of emails, people saying they don’t like gospel music. Mostly they say they don’t like it cause of the subject matter; they don’t want to hear religious music. Let me just point out, you can just listen to it as music. The beautiful part of it is that the people singing believe it so much. Any time people sing about what they believe, it elevates it. You don’t have to be a junkie to enjoy the Velvet Underground song, ‘Heroin.’ You don’t have to have horns and a pitchfork to enjoy ‘Sympathy for the Devil,’ but it does help. The thing is it’s all music, and when the people believe what they’re singing, it’s just better.
Da ich weder horns noch pitchfork mein eigen nenne, enjoye ich Sympathy fo the Devil nicht. (Perfektes Deutsch, nicht wahr?)

Ansonsten warte ich auf Theme Time Radio Hour Nr. 2.23 über Joe:

  • Intro
  • Foy Willing & The Riders Of The Purple Sage - Ragtime Cowboy Joe
  • André Toussaint - Hold 'Em Joe
  • Bob Wills & His Texas Playboys - Cotton Eyed Joe
  • Hank Williams - No, No, Joe
  • The Dixieaires - Joe Louis Is A Fighting Man
  • Joan Baez - Joe Hill
  • Georgia Crackers - Diamond Joe
  • Bo Diddley - Ride On Josephine
  • Joe Bataan - Subway Joe
  • Jerry Lee Lewis - Old Black Joe
  • Blue Lou Barker - Where's Joe?
  • Cisco Houston - Diamond Joe
  • Van Morrison - I'm Tired Joey Boy
  • Outro
Hoffentlich ist unser Freund Patrick so weit, bevor ich den Heimweg antrete. Ein paar Stunden hat er noch...

Ninni Holmqvist: Die Entbehrlichen

»Ja, es gibt ziemlich viele Intellektuelle hier. Leute, die Bücher lesen.« »Aha«, sagte ich. »Leute, die Bücher lesen«, fuhr er fort, »tendieren dazu, entbehrlich zu werden. In hohem Maße.« »Ach so«, sagte ich. »Ja«, sagte er.
Die schwedische Autorin Ninni Holmqvist war mir bis vor kurzem unbekannt. Durch einen Artikel in der »Welt am Sonntag« wurde die beste aller Ehefrauen aufmerksam und neugierig – so fand das Buch »Die Entbehrlichen« schnell den Weg zu uns. Da die beste aller Ehefrauen noch auf der Insel Duma Key beschäftigt ist, konnte ich den Roman als erster gelesen.

Dorrit Wegner, die Ich-Erzählerin, lebt in nicht allzu ferner Zukunft. Sie gehört zu den »Entbehrlichen«, denjenigen, die weder ein Kind zur Welt gebracht haben noch den Behörden auch nur einen einzigen Menschen vorweisen können, der bezeugen würde, dass er sie wirklich liebt. Und so wird sie an ihrem 50. Geburtstag in die »Einheit« eingewiesen, eine Luxusanlage, die nur einem Zweck dient: Die Bewohner stehen für psychologische Tests, Medizinversuche und Organentnahmen zur Verfügung. Am Ende steht für alle nach ein paar Jahren die »Endspende«, bei der dann lebenswichtige Organe entnommen werden.
Dorrit schließt Freundschaften und findet bald in dem Mitbewohner Johannes die große Liebe ihres Lebens - und wird schwanger. Man stellt sie vor die Alternative, das Kind sofort nach der Geburt zur Adoption freizugeben oder bereits den Fötus per Transplantation einer Frau zu spenden, die jünger und vor allem nicht entbehrlich ist. Jemand vom Personal öffnet ihr eine dritte Möglichkeit: Flucht aus der Anlage…

Die Autorin schreibt so packend und überzeugend, dass es schwer fällt, das Buch aus der Hand zu legen. Es gelingt ihr, den Wahnsinn der (schwedischen) Gesellschaft, in der das Wegsperren und Ausschlachten der »Entbehrlichen« durch Volksabstimmung – selbstverständlich unter Berücksichtigung aller erdenklichen humanistischen Gesichtspunkte - legalisiert wurde, so »normal« erscheinen zu lassen, dass man sich als Leser mehr und mehr vorstellen kann, wie eine solche Entwicklung in einem demokratischen Staat, wenn die Rahmenbedingungen passen, möglich wäre.
Ich selbst interessierte mich nicht besonders für Politik und war viel zu jung, um mich mit Begriffen wie »mittleres Alter« identifizieren zu können. Jedes Mal, wenn die Sache zur Sprache kam, in den Massenmedien wie in der Wirklichkeit, seufzte ich gelangweilt und blätterte weiter oder wechselte den Kanal oder das Gesprächsthema. Diese Art von gesellschaftlichen Fragen hatte mit mir einfach nichts zu tun, fand ich...
Bei welchen Themen schalten wir den Fernsehkanal um, weil sie »einfach nichts mit uns zu tun« haben?
Genau betrachtet vermittelt dieser Roman eine ähnliche Botschaft wie der Film »Die Welle«, über den ich kürzlich geschrieben habe: Wir sollten nicht davon ausgehen, dass unsere moderne und aufgeklärte Zivilisation vor Machtmissbrauch und faschistischer Autokratie sicher geschützt wäre.

Mein Fazit: Ein ganz hervorragender Roman einer Autorin, die mit diesem Werk auf ihre anderen Bücher neugierig macht. Spannende Lektüre, die keinen Moment langweilt. Ein brisantes Thema, das aber ohne Pathos oder den belehrend erhobenen Zeigefinger präsentiert wird - und gerade deshalb so tief ins Herz trifft. Stilistisch und sprachlich (ein großes Lob gebührt sicher der Übersetzerin Angelika Grundlach!) ragt der Roman aus der Masse heraus. Ich kann »Die Entbehrlichen« uneingeschränkt zur Lektüre empfehlen.

Gebundene Ausgabe: 320 Seiten
Euro 19,90
Verlag: Pendo Verlag;
Auflage: 1 (6. Februar 2008)
ISBN-10: 3940813001
ISBN-13: 978-3940813008
Zum Beispiel zu finden bei Amazon: Die Entbehrlichen: Roman