Montag, 5. Januar 2009

Dirty cover, good music?

Dass Künstler, auch Musiker, mitunter provozieren wollen, ist nichts Neues. Manchmal paart sich Provokation mit Kunst, manchmal soll sie aber auch über den Mangel an Können hinwegtäuschen.

Vor einigen Wochen ging ein uraltes LP-Cover durch die Medien, 1976 auf den Markt gekommen und mit 32 Jahren Verzögerung Anlass zur Aufregung und Sperrung eines Artikels von Wikipedia in England über die Band »Scorpions«. Nun lässt sich über Geschmack trefflich streiten, sowohl was die Musik, als auch was die Hülle drumherum betrifft. Ein Scorpions-Fan war ich nie, und das Cover (das vierte in der oberen Reihe) hat mich seinerzeit überhaupt nicht gereizt, das Album zu erwerben...


In meinem Plattenschrank ist jedoch durchaus optisch Anstößiges verwahrt, zum Beispiel »Two Virgins« von John Lennon und Yoko Ono, mit züchtig braunem Papierumschlag drum herum. Nimmt man den ab, stehen die beiden unbekleidet im Raum.

Die Musik auf diesem Album ist keine. Gekauft habe ich die Platte damals, weil John Lennon drauf stand und ich meinte, das stünde für gute Musik. Dann habe ich die Platte einmal abgespielt... und damit war das Thema »Unfinished Music« erledigt. Grauenhaft!

Ebenfalls in meinem Schrank: Das legendäre Blind Faith Album mit dem Original-Cover. Das war nicht lange mit diesem Umschlag auf dem Markt, denn es erregte, wohl wegen gewisser Assoziationen mit dem Flugzug, so viel Anstoß, dass die Plattenfirma ein Einsehen hatte und in der Folge die vier Musiker abbildete.
In diesem Fall ist die Musik genial, das Cover wäre als verkaufsförderndes Mittel nicht notwendig gewesen.


Ein Poster in einem Album der Band Queen fand damals, als ich noch jung war, zur großen Entrüstung meiner Mutter, den Weg an meine Zimmerwand. Die so beworbenen Songs »Bicycle Race« und »Fat Bottomed Girls« waren jedenfalls besser als das begleitende Bildmaterial, das im Album verstaut in meinem Plattenregal lagert.


Einige Aufregung gab es auch, als Nirvana mit »Nevermind« auf den Markt kam. Die Musik ist legendär und unerreicht, der Junge auf dem Cover ist inzwischen 18 Jahre alt. Er verdient noch immer prächtig an seiner Ablichtung. Und immerhin hat er Kurt Cobain überlebt...


Die Rolling Stones ließen beim eher mittelmäßigen Album »Sticky Fingers« gar einen echten Reißverschluss verarbeiten. Darunter war übrigens nicht das zu sehen, was manche Mädchen erhofften, obwohl Andy Warhol die Finger im Spiel hatte. Ärgerlich war dieses Cover für mich deshalb, weil, im Regal mit den anderen LPs, das doofe Ding Kratzer auf dem Umschlag der benachbarten LP verursachte. Wie dem auch sei, die Musik war okay, solide Stones-Ware eben.


Manchmal ist also in provokanter Verpackung gute Musik zu finden, manchmal nicht. Nun ja. Aber lohnt es sich, wegen der Abbildung unbekleideter Personen - gleich welchen Alters - Sturm zu laufen? Die Museen und Parks sind voll von Gemälden und Statuen textilfreier Menschen jeglicher Entwicklungsstufe.
Ich meine: Solange Zeitschriften wie »Bravo« an Kinder und Jugendliche verkauft werden dürfen und die zugehörigen Seiten im Internet zugänglich sind, braucht sich niemand über mehr oder weniger freizügige Umschläge von Schallplatten oder CDs aufregen. Zwar sind die Modelle bei »Bravo« und »Dr. Sommer« angeblich alle über 18, aber die Zielgruppe ist es ja nun eindeutig nicht...


P.S.: Fotos WikiCommons, das erste ist ein Screenshot der Scorpions-Seite (vor der Entfernung der inkriminierten Ablichtung), das letzte ist ein Screenshot von der Bravo-Homepage.

Samstag, 3. Januar 2009

Barack Obama: Dreams from My Father

barack Selbst wenn der Autor nicht zum Präsidenten der Vereinigten Staaten gewählt worden wäre, hätte ich dieses Buch früher oder später gelesen. Es war der besten aller Ehefrauen aufgefallen und in den Warenkorb gesprungen, als Hillary Clinton noch die wahrscheinlichere Kandidatin war. 1995, als Barack Obama das Buch schrieb, war noch keine Rede davon, dass er das höchste Amt in seinem Land anzustreben würde. Daher kan man ein ehrliches Buch, das nicht mit Rücksicht auf den Wahlkampf irgend etwas weglässt oder hinzufügt, erwarten. Das Buch jedenfalls lag mit anderen noch zu lesenden Werken bereit.

Nun saß ich kurz vor Weihnachten mit vier sehr lieben Menschen in einem sehr grauenhaften Restaurant und wir unterhielten uns auch über Bücher. Zwei der anwesenden hatten das Buch bereits gelesen und erzählten ein wenig... - ich holte es noch vor Weihnachten aus dem Stapel nach weiter oben... - nun bin ich dank der Urlaubszeit recht zügig fertig geworden mit der Lektüre.

Barack Obama erzählt in diesem Buch sein Leben bis zur Hochzeit mit Michelle und rückt dabei so manches gerade, was sich an Vorstellungen über das Leben eines Farbigen in Amerika in meinen Vorstellungen angesammelt hatte. Er erzählt auch von den anderen Stationen seines Lebens, den Begegnungen mit Menschen aus den unterschiedlichsten Kulturen. Seine Sprache ist lebendig und ausdrucksstark, man merkt von den ersten Seiten an, dass hier ein hoch intelligenter Harvard-Absolvent am Werk war. Er flicht kleine Alltagsbegebenheiten mit Ereignissen der großen Politik zusammen, schildert Charaktere in ihrer Verschiedenheit ohne verurteilend zu werden, sucht immer wieder - auch und gerade beim eigenen Scheitern - nach dem Weg, der weiter führt, anstatt aufzugeben.

Mich hat neben der persönlichen und beruflichen Entwicklung Obamas auch interessiert, wie er seinen schwierigen Weg von einem vagen Vermuten, dass es einen Gott geben müsste, zu seiner Begegnung mit Jesus Christus in diesem Buch schildert. Auch dieser Aspekt seines Suchens und Findens wirkt auf mich ganz und gar ehrlich (womöglich waren seine Wahlkampfmanager nicht so glücklich mit diesen Passagen des Buches).

Sein soziales Engagement bringt Barack Obama zwangsläufig zur Zusammenarbeit mit Kirchen ganz verschiedener Prägung, denn in Amerika ist es noch so, dass sich die Gläubigen der christlichen Kirchen in erster Linie um die Nöte ihrer Mitmenschen kümmern, statt dies - wie bei uns - dem Staat zu überlassen. Obama schildert sich dabei als jemanden, der durchaus aufgeschlossen für die Christen ist, aber... - it seemed that I always argued too much with God. Gar nicht der schlechteste Ausgangspunkt, finde ich.

Je länger er mit Christen zu tun hat, desto mehr erlebt und begreift er, dass ihr Handeln, ihre Nächstenliebe, auf einer lebendigen Beziehung zu ihrem Gott gegründet ist und dass sie daraus die Kraft schöpfen, nie aufzugeben, obwohl es meist um die Nöte anderer geht (und nicht so sehr die eigenen). Obama beginnt zu spüren, dass ihm etwas fehlt. Und schließlich landet er in einem Gottesdienst, der zu einer Begegnung mit Gott wird, die mich sehr an eigenes Erleben vor vielen Jahren erinnert hat.

...I stuffed myself between a plump older woman who failed to scoot over and a young family of four, the father already sweating in his coarse woolen jacket, the mother telling the two young boys beside her to stop kicking each other.
"Where is God?" I overheard the toddler say.
"Shut up!" the older boy replied.
"Both of you settle down right now," the mother said.
...
Then the choir filed down the aisle...
I'm so glad, Jesus lifted me,
I'm so glad, Jesus lifted me,
I'm so glad, Jesus lifted me,
Singing Glory, Hallelujah, Jesus lifted me!

So beginnt der Bericht über diesen Gottesdienst. Und so endet er:

As the choir lifted back up into a song, as the congregation began to applaud those who were walking to the altar to accept Reverend Wright's call, I felt a light touch on the top of my hand. I looked down to see the older of the two boys sitting beside me, his face slightly apprehensive as he handed me a pocket tissue. Beside him, his mother glanced at me with a faint smile before turning back toward the altar. It was only as I thanked the boy that I felt the tears running down my cheeks.
"Oh Jesus," I heard the older woman beside me whisper softly. "Thank you for carrying us this far."

Die fünf Seiten, in denen Barack Obama diesen Gottesdienst, die Predigt und das, was in ihm geschieht, schildert, haben mich von den 440 Seiten am tiefsten berührt. Doch auch die übrigen 435 Seiten lohnen die Lektüre. Unbedingt.

Mein Fazit: Eine lesenswerte Autobiographie nicht nur für Menschen, die an Politik oder Rassenfragen interessiert sind, sondern schon aufgrund der sprachlichen und erzählerischen Fähigkeiten Barack Obamas ein Lesegenuss. Keine leichte Lektüre so nebenbei, aber um so lohnender, wenn man sich darauf einlässt.

Ach ja, meine treuen Leser wissen schon, was jetzt noch als Nachsatz kommt: Inwieweit die deutsche Übersetzung gelungen ist, vermag ich nicht zu beurteilen, da ich das Original gelesen habe.

Freitag, 2. Januar 2009

Josef und ich


Vorgestern habe ich bei Freunden meinen Hut vergessen, also musste ich angesichts der böhmischen Kälte bei anderen Freunden gestern eine Mütze (lila! mit Männchen drauf!) ausleihen, ein Hut stand nicht zur Verfügung und alle Geschäfte hatten zu (Neujahr, was soll man da machen). Nun ja, hier kennt mich ja niemand, vorsichtshalber habe ich mich mit Sonnenbrille zusätzlich unkenntlich gemacht, und das Bild mit meinem Kumpel Josef Nummer 2, der hierzulande (also in Böhmen) die Leibeigenschaft abgeschafft hat (bravo, Josef!), wird nie jemand zu sehen bekommen. Ich müsste mich ja sonst schämen...
Morgen hat an dieser Stelle Herr Obama das Wort, mehr oder weniger. Und wer wissen möchte, was 2009 wirklich bringt, sollte mal bei Toby nachlesen, und zwar hier.

Donnerstag, 1. Januar 2009

Ehrengäste

Wunderschön. Wir saßen in der ersten Reihe mit direktem Blickkontakt zu den Musikern beim Neujahrskonzert in der Philharmonie in Budweis.

Der Solist, Svatopluk Sem, kam während eines Beitrages, der Arie des Figaro von Giacchino Rossini, von der Bühne zu uns herab, um der besten aller Ehefrauen mit einem Handkuss zu versichern, dass sie la bella signorina sei. Dann gab er mir charmant die Hand und pries mich als ihren ehrenwerten cavlier. Tat es und begab sich wieder auf die Bühne, wo so ein Sänger ja eigentlich auch hingehört. Nun gut, abgesehen von diesem etwas peinlichen Moment, wo tausende Augen auf uns gerichtet waren, haben wir die Musik der südböhmischen Philharmonie ungerstört genossen. Mozart, Rossini, Dvorak, Strauss und Lehar hauptsächlich.

Da Kameras verboten waren, müssen meine geneigten Leser (so wie auch wir selbst) mit einer Ablichtung der Eintrittskarten, des Programms und der vom Direktor der Philharmonie persönlich unterzeichneten Grußkarten zum neuen Jahr vorlieb nehmen:

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Nun sind wir wieder im Hotel und die Musik klingt noch in der Seele nach. Klassische Musik ist und bleibt etwas sehr wohltuendes.

Morgen gibt es hier ein peinliches Bild von mir. Pssst! Nicht weitersagen! Das soll keiner sehen! Günter Jott mit Strickmütze... - da hört sich doch alles auf.

Gute Nacht!

2009

Beim Spaziergang in der Abenddämmerung in Pisek (49 Kilometer von hier - hier ist immer noch Budweis) kam mir dieses Motiv vor die Linse. Es erinnert mich daran, dass auch 2009 gilt: Der Löwe von Juda hat die alte Schlange längst besiegt!

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Ich wünsche allen meinen Lesern von Herzen, dass sie das im Jahr 2009 häufig erleben werden.

Mittwoch, 31. Dezember 2008

Wenn...

...heute der 31. März 2009 wäre, könnte ich morgen ins Konzert gehen. Ist aber nicht. Also muss ich noch warten. Schade eigentlich.

Einstweilen bleibt die Vorfreude auf Thunder on the Mountain

Dienstag, 30. Dezember 2008

Eher für kleine Pferdekutschen

Unser Hotel liegt in einer Fußgängerzone, daher muss das Auto in den Hof. Nun ist unser Ford Windstar nicht unbedingt das kompakteste Gefährt der Welt, aber mit Geduld, eingeklappten Spiegeln und Augenmaß passt er denn doch durch die Einfahrt, die Ende des 16. Jahrhunderts für kleine Pferdekutschen konstruiert wurde.

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Gut, dass es nicht notwendig ist, das Gefährt durch die Altstadtgassen zu manövrieren, das wäre wohl denn doch etwas arg schwierig, man denke nur an möglichen Gegenverkehr...

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Ansonsten genießen wir nach wie vor die Ruhe, die nur durch zwei bis drei Stunden Arbeit täglich für die beste aller Ehefrauen unterbrochen wird (ein größeres Projekt muss natürlich trotz Urlaub fertig werden, der Kunde ist König).

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Meine Wenigkeit arbeitet derweil, da Notebook und Eee mitkommen durften, an den letzten Feinheiten eines Manuskriptes (die Buchversion der Serie über den 1. Korintherbrief), das womöglich und hoffentlich dann im Frühjahr in den Druck geht. Einen Verlag suche ich allerdings noch...

Aber überwiegend können wir entspannen, bummeln, genießen. Zwar ist der Schnee auch hier nicht anzutreffen, aber es ist winterlich kalt bei blauem Himmel und viel Sonne.

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Siegfried Lenz: Schweigeminute

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Wir haben Siegfried Lenz für ein poetisches Buch zu danken. Vielleicht ist es sein schönstes.
Dieser Satz von Marcel Reich-Ranicki im Feuilleton der F.A.Z. veranlasste mich, das Buch auf meine Wunschliste zu setzten. Der Weihnachtsmann hatte ein Einsehen und ich fand es am 24. Dezember fein verpackt neben dem Christbaum.
Die Schweigeminute zum Andenken der jüngst verstorbenen Stella Petersen füllt 128 Seiten. Keine davon ist zu viel. Fast hätte ich gesagt, das Buch dürfe ruhig länger sein, aber nein. Es ist richtig so, wie es ist. Ein Roman wäre zu viel gewesen, als Novelle passt der Stoff perfekt. Als ich mit der Lektüre fertig war, empfahl ich sie der besten aller Ehefrauen mit dem Hinweis: Schön traurig. Wunder- wunderschön traurig.
Tot ist eine Englischlehrerin, das weiß der Leser sofort, Stella war voller Lebensfreude, liebte ihren Beruf und - nun ja. Beschrieben wird die Schweigeminute von ihrem Schüler Christian, und der hat diese Lehrerin geliebt. Das geht natürlich nicht. Oder doch?
Siegfried Lenz gelingt es durch einen sprachlichen Trick ganz ausgezeichnet, die Zerrissenheit der Beziehung zu vermitteln. Er wechselt beim Erzählen zwischen der zweite und dritten Person Singular, mitten im Satz, zwischen zwei Sätzen... - ein Kunstgriff, um den man Lenz beneiden muss:
Wir lagen nebeneinander, nur mit Badeanzügen bekleidet, ich streichelte deinen Rücken. Ich wollte wissen, warum sie am Wettschwimmen nicht teilnehmen wollte...
Du und sie - es ist immer Stella. Überhaupt ist die Sprache in dieser Novelle sehr reichhaltig und von bester Qualität, ganz dem Thema gewidmet: Es ist ein Buch vom Erwachsenwerden, ein Buch über die Liebe, die nicht sein darf und doch ist. Eine großartige Novelle.
Mein Fazit: Wieder einmal hatte Marcel Reich-Ranicki recht. Wir haben für dieses Buch zu danken. Ob es das schönste Buch von Siegfried Lenz ist, vermag ich nicht zu sagen, da ich längst nicht alle gelesen habe. Aber es ist eine unbedingt lohnende Lektüre.


  • Siegfried Lenz: Schweigeminute


  • 15,95 Euro


  • Gebundene Ausgabe: 128 Seiten, Hoffmann und Campe


  • ISBN-13: 978-3455042849


  • zum Beispiel hier bei Amazon: Schweigeminute

  • Sonntag, 28. Dezember 2008

    Abendstimmung

    Nur rund fünf und eine halbe Stunden von Berlin entfernt genossen wir einen abendlichen Spaziergang durch eine schier mittelalterlich anmutende, noch weihnachtlich geschmückte Stadt. Budweis ist und bleibt ein Juwel, das ich erstmals im Winter besuche.

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    Beim Gang durch die kleinen Gassen der Altstadt meinten wir, dass uns eigentlich jeden Augenblick ein Nachtwächter mit Petroleumlampe entgegenkommen müsste. Kam aber nicht.

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    Nun sind wir wieder in unserem im späten 16. Jahrhundert gebauten (aber zwischenzeitlich modernisierten) Hotel. Ein Paar Stunden lang auf dem Bett ausgestreckt in Bücher (Paul Auster / Barack Obama / Sigfried Lenz) vertieft... ein Gläschen Wein zur Hand...

    Urlaub tut gut! Gute Nacht, liebe Welt!

    Ich bin dann mal dort...

    Da der Winter nicht nach Berlin kommt, fahren wir heute für eine Woche in den Winter:

    Womöglich erwartet uns auch dort kein Schnee, aber es gibt immer noch das beste Bier der Welt, zu jeder Jahreszeit und bei jeder Temperatur. Und sehr viele sehr freundliche Menschen. Und ein gemütliches Hotel. Und ringsum schier endlose Wälder. Und vor allem Abschalten vom Großstadtgetümmel. Und überhaupt...