Montag, 23. Februar 2009

Gastbeitrag: Gotthold Ephraim Lessing


Eine alte Kirche, welche den Sperlingen unzählige Nester gab, wurde ausgebessert. Als sie nun in ihrem neuen Glanze da stand, kamen die Sperlinge wieder, ihre alten Wohnungen zu suchen.
Allein - sie fanden sie alle vermauert.
»Zu was«, schrieen sie, »taugt denn nun das große Gebäude? Kommt, verlaßt den unbrauchbaren Steinhaufen!«

Sonntag, 22. Februar 2009

Bob Dylan: Ten new songs

Die Gerüchteküche brodelt mit erhöhter Temperatur. Das neue Album von Bob Dylan soll, so viel scheint sicher, Ende April 2009 erscheinen. Ebenfalls relativ sicher: Es gibt 10 neue Songs.
Aufgenommen wurden 13 Stücke - nun ja, wenn man die Bootleg-Szene ein wenig kennt, weiß man, dass dies maßlos untertrieben sein dürfte. Es werden wohl eher 13 Lieder in einer einstweiligen Endfassung sein. Drei davon sollen nicht auf das Album, sondern als Filmmusik für »My own Love Song« dienen, ein Road-Movie über eine an den Rollstuhl gefesselte Sängerin. Renée Zellweger und Forest Whitaker spielen die Hauptrollen, wann der Film in die Kinos kommt, ist offen.
Mike Campbell (Heartbreakers) und David Hidalgo (Los Lobos) waren dem Vernehmen nach bei den Aufnahmen mit im Studio - zwei Gitarristen, die zusätzlich zu Bob Dylans Tour-Band eingeladen wurden. Es soll auch Benmont Tench, Keyboarder bei den Heartbreakers, dabei gewesen sein. Einstweilen gibt es überwiegend Spekulationen, zum Beispiel dass das zusätzlich angesetzte Konzert am 26. April in London ein »Record Release Special« sein könnte.

Was bleibt uns also, als möglichst geduldig abzuwarten? Na ja, zum Beispiel die außerordentlich gelungene letzte Folge der »Theme Time Radio Hour« über »Cops and Robbers«. Bob Dylan erzählt: »I got a friend named Stan. He's not very smart. He called me up the other day and he said: I'm having some trouble in the house. What's the Number for 911? There's just no helping some people...«

P.S.: Foto von BobDylan.com

Samstag, 21. Februar 2009

Open letter to Stephen King

Dear Stephen,

We all know (not only from your books) that life isn't fair. But now you added willingly to life's cruelty by releasing UR exclusively on Amazon's Kindle.

I wouldn't mind spending a few bucks for a Kindle, pink or white or even green like a slimy monster from a swamp nobody should ever set foot into. But I can't. My neighbour can't. The best of all wives (sorry, Tabitha) can't buy me one in order to make her husband happy again. There is just no fucking way.
Of course we could order one from the USA, but it wouldn't be much fun to have a Kindle that can't get any books or magazines into its hungry belly, because in Europe there is not even the glimpse of a chance to connect the gadget to Amazon's sources.

Now what shall we, your constant readers, do? You forced us to become unconstant readers. You made our lives miserable. We have to read books from other authors instead. Good ones, bad ones, and the ones in between. And all the time there is this nagging voice inside our heads: »You should be reading UR, you know? Why are you reading this crap instead?«

Stephen, I am frustrated. I am sad. Sadder than after reading »Hearts in Atlantis« all the way, still hoping until the last page that it would turn out to be a good book in the end. Totally hopeless. I used to be your constant reader, even after »Hearts in Atlantis«, and now you kicked me out. Bad bad Stephen!

Have a good day. Mine sucks.

GJM

Lieber Stephen,

wir alle wissen (nicht nur aus Deinen Büchern), dass das Leben ungerecht ist. Doch jetzt hast du willentlich zur Grausamkeit des Lebens beigetragen, indem du UR exklusiv für den Kindle von Amazon veröffentlicht hast.

Es käme mir nicht auf eine Handvoll Euros für einen Kindle an, sei er rosa, weiß oder sogar grün wie das schleimige Monster aus jenem Sumpf, in den keiner von uns jemals einen Fuß setzen sollte. Aber das kann ich nicht. Mein Nachbar kann es nicht. Die beste aller Ehefrauen (tut mir Leid, Tabitha) kann mir keinen kaufen, um ihren Ehemann wieder froh zu stimmen. Mist, es geht einfach nicht!
Natürlich könnten wir einen aus den USA bestellen, aber es wäre wenig lustig, einen Kindle zu besitzen, der nicht in der Lage ist, seinen hungrigen Bauch mit Büchern oder Magazinen zu füllen, weil noch nicht einmal der Schatten einer Chance besteht, dass sich das Gerät mit den Amazon-Quellen verbindet.

Was allso sollen wir, deine treuen Leser, tun? Du hast uns gezwungen, untreue Leser zu werden. Du hast unser Leben in den Trübsinn gestürzt. Wir müssen statt dessen andere Autoren lesen. Gute, schlechte, und die dazwischen. Aber ständig ist da diese nervende Stimme in unseren Köpfen: »Du solltest eigentlich UR lesen, weißt du? Warum liest du statt dessen diesen Mist?«

Stephen, ich bin frustriert. Ich bin traurig. Trauriger als nach der Lektüre von »Hearts in Atlantis« bis zum Ende, in der ständigen Hoffnung, dass das auf den letzten Seiten doch noch ein gutes Buch werden würde. Völlig hoffnungslos. Ich war dein treuer Leser, sogar nach »Hearts in Atlantis«, und jetzt hast du mich verstoßen. Böser, böser Stephen!

Ich wünsche dir einen guten Tag. Meiner ist versaut.

GJM

Freitag, 20. Februar 2009

Kaffee für die Badewanne

Auf der Suche nach fair gehandeltem Kaffee wurde ich bei Amazon unter »Badartikel« und »Drogerie & Bad« fündig.

Nun frage ich mich, ob man diesen Kaffee nur in der Badewanne trinken darf oder ob der Genuß auch außerhalb, zum Beispiel am Schreibtisch oder im Wohnzimmer, zulässig ist. Weiß jemand Genaueres darüber?

Tschüss, Thilo!

Friedbert Pflüger, seinerzeit noch CDU-Chef in Berlin, meinte, Thilo Sarrazin sei »in seiner verschrobenen Weise irgendwie nicht unsympathisch: ein Typ eben.« Der Haushaltsexperte der Grünen, Oliver Schroffeneger, kommentierte: »Er hat einen schrägen, ziemlich englischen Humor. Außerdem sagt er einfach, was ihm gerade einfällt.«
Ich finde es schade, dass der Finanzsenator nun in die Vorstandsetage einer Bank wechselt, denn er ist ein leider selten gewordener Typus Politiker. Einer, der sich nicht scheut, anzuecken, der niemandem, auch dem Chef im Rathaus nicht, nach dem Munde redet. Wowereit, so heißt der Chef im Rathaus, über Sarrazin: »Eine Art politischer Günter Netzer. Bisweilen genial, gerne etwas lauter, aber nicht jeden Tag teamfähig.«
Ein Politiker mit erkennbarem Charakter eben. Wir werden solche Ungeschminktheiten zukünftig wohl missen müssen:
  • Die Beamten laufen bleich und übel riechend herum, weil die Arbeitsbelastung so hoch ist.
  • Das vereinte Land (gemeint war Berlin-Brandenburg) ist natürlich immer eine Stadt Berlin mit angeschlossener landwirtschaftlicher Fläche.
  • Nirgendwo sieht man so viele Menschen, die öffentlich in Trainingsanzügen rumschlurfen wie in Berlin.
  • Tempelhof ist kein Filetstück. Und wenn, dann schauen da schon die Maden raus.
  • Ehe jetzt einer im 20. Stock sitzt und den ganzen Tag nur fernsieht, bin ich schon fast erleichtert, wenn er ein bisschen schwarz arbeitet.
  • Die Lebenslüge Berlins bestand darin, dass es sich in allem für etwas Besonderes hält und daraus einen erhöhten Bedarf ableitet.
  • Bayerische Schüler können aber mehr ohne Abschluss als unsere in Berlin mit Abschluss.
  • Ich vermute, dass sich ein Teil der Sozialarbeiter in die Verwaltung zurückgezogen hat. Es ist ja auch anstrengend, über die Straße zu latschen und immer mit denselben Jugendlichen zu sprechen.
  • Für fünf Euro würde ich jederzeit arbeiten gehen. Das wären 40 Euro pro Tag.
Berlins Politik wird um ein Original ärmer. Na denn. Alles Gute in Frankfurt, Thilo Sarrazin. Vermutlich für etwas mehr als 40 Euro pro Tag?

P.S.: Foto vom Spiegel Online: Herrlich ehrlich, immer inkorrekt

Donnerstag, 19. Februar 2009

Herr K. braucht einen neuen Namen

Es begab sich aber zu der Zeit, als Herr W. Sonnenkönig zu Berlin war, dass ich in Kreuzberg in geselliger Runde an einem Stammtisch saß und unsere angeregte Unterhaltung sich um Gleichnisse bewegte. Dabei wurde in mir die Idee geboren, die zu den ersten drei Geschichten aus dem Leben eines Herrn K. führte. Mein fiktiver Herr K. heißt Herr K, weil der Anstoß zum Stammtischgespräch von einem echten Herrn K. kam, sozusagen ehrenhalber.

Ich habe nun aber gesehen, dass ein gewisser Herr Brecht vor einer nicht unerheblichen Anzahl von Jahren bereits gerne einen Herrn K. hat dieses und jenes denken und erleben lassen: Geschichten vom Herrn K. Das gleiche Kürzel - das geht nun gar nicht. Das sei ferne! Brecht ist Brecht.

Daher suche ich nun für meinen Herrn K. einen neuen Namen. Daniel heißt er zweifellos, aber wie weiter? Und warum?

Herr K. reist nach Greifswald

Auf dem Weg vom Bahnhof zum Hotel, in einer trotz später Stunde recht belebten Einkaufsstraße, widerfuhr Daniel K. ein leider heute geradezu alltägliches Verbrechen. Er war nach Greifswald gereist, um einen Schulfreund aus der Jugendzeit zu besuchen. Die beiden trafen sich alle paar Monate, Herr K. kannte den kurzen Weg ins Hotel, daher holte ihn sein Freund nicht am Bahnhof ab. Es waren ja nur 10 Minuten zu gehen.
Aus einer Kneipe kamen drei überwiegend in schwarzes Leder gekleidete Jugendliche, sahen ihn mit seinem Rollkoffer die Straße entlanggehen. Sie gingen davon aus, dass dieser Fremde womöglich eine lohnende Beute mit sich führen mochte.
Einer der Angetrunkenen fasste Herrn K. von hinten um den Hals, ein anderer entriss ihm den Griff des Koffers. Der dritte ließ ein Messer aufschnappen. »Kein Mucks, du Schwein! Sonst stech ich dich ab!«
Herr K. wehrte sich, instinktiv und aus Panik. Bei klarem Verstand hätte er womöglich stillgehalten, aber der Schreck traf ihn zu unvorbereitet. Er konnte wegen des Würgegriffes nicht schreien, aber er bäumte sich gegen die Umklammerung auf und trat mit dem Fuß nach dem vor ihm stehenden Angreifer.
Nun ging alles so schnell, dass Herr K. kaum mitbekam, was mit ihm geschah. Die drei stießen ihn in einen Hauseingang, das Messer bohrte sich erst in den rechten Oberarm und dann in den linken Oberschenkel. Eine Hand suchte nach der Brieftasche, die er im Jackett trug. Der Jugendliche zerrte und zog, dann riss er den Stoff der Anzugjacke auf und schaute sich den Inhalt der Brieftasche an. Kreditkarten und Ausweise interessierten ihn nicht, er war auf Bargeld aus. Das war jedoch nicht zu finden.
Er stieß Herrn K. den Ellenbogen ins Gesicht. »Gib dein Geld her, du Schwein!«
Eine Antwort war dem Überfallenenn nicht möglich, da er im Würgegriff kaum noch Luft bekam. Einer der Räuber tastete nach dem Portemonnaie in der Gesäßtasche, zog es heraus und zeigte seinen Genossen die wenigen Geldscheine, die er vorgefunden hatte.
»Nur 150 Euro? Wo hast du dein Geld versteckt, Schwein?«
Der Griff um den Hals lockerte sich und Herr K. krächzte: »Mehr habe ich nicht bei mir.«
Der Ellenbogen traf erneut sein Gesicht, eine Faust schlug ihn in den Magen. Herr K. fiel zu Boden.
Die Jugendlichen leerten seinen Koffer aus, wühlten in den Kleidungsstücken und fanden nichts von sonderlichem Wert.
»Zieh dich aus!«, befahl der Wortführer.
Herr K. richtete sich mühsam auf und gehorchte. Anzug und Hemd wurden auf verstecktes Geld abgetastet. Auch die Unterwäsche musste er ablegen. Es fand sich kein weiteres Geld.
Die drei Angreifer nahmen seine Armbanduhr an sich, kein kostbares Stück, auch sein Mobiltelefon, ein älteres Modell, stopften sämtliche Kleidungsstücke samt den eben abgelegten in den Koffer. Dann wandten sie sich samt Gepäck zum Gehen. Herr K. kauerte im Hausflur, hoffte, dass der Alptraum nun vorbei sei. Da traf ihn von hinten ein gewaltiger Schlag auf den Kopf und er sank bewusstlos auf die Steinfliesen.

Wenige Minuten später kam eine Theologiestudentin auf dem Weg zu einer Diskussionsgruppe die Treppe hinunter. Sie war spät dran. Als sie den blutverschmierten nackten Mann im Flur liegen sah, stockte ihr Schritt. »Oh mein Gott, was ist denn das?« Sie zog ihr Mobiltelefon aus der Jackentasche, um einen Notruf abzusetzen. Das Display blieb trotz Druck auf den Einschaltknopf dunkel. »Scheiße, wieder nicht aufgeladen...«, murmelte sie. Sie machte einen großen Bogen um Herrn K. und trat aus der Haustüre. Sie war wirklich spät dran. Sicher kam bald jemand anderer vorbei, der dann die Polizei holen konnte...

Im dritten Stockwerk wohnte ein Lehrer, der vierzehn Minuten später das Haus betrat. Er sah Herrn K., auch er zögerte einen Moment. Sein Mobiltelefon funktionierte, er drückte die SOS-Taste. Als die Verbindung aufgebaut war, sagte er: »Hier liegt ein nackter, blutiger Mann im Hausflur. Schicken Sie bitte Rettungskräfte.« Dann beendete er das Gespräch. Er hatte jetzt keine Zeit, wollte schnell noch duschen, bevor die bestellte Prostituierte kam. So etwas wie blutende Nackte überließ man besser den Profis. Er stieg die Treppe hinauf, als ihm einfiel, dass er überhaupt nicht gesagt hatte, wohin die Rettungskräfte kommen sollten. »Na ja, die haben ja Geräte, mit denen sie den Ort des Notrufes anzeigen können. Die werden den Weg schon finden...« Der Lehrer ging duschen.

Gerade als Herr K. wieder das Bewusstsein erlangte, betrat die Prostituierte das Haus. »O mój wielki Boże«, entfuhr es ihr, »biedactwo!« Sie ließ ihre Handtasche fallen und beugte sich zu ihm hinunter. »Sie sind verletzt. Ich hole Hilfe«, versprach sie. Herr K. war noch zu benommen, um zu antworten. Er hatte Mühe, überhaupt zu begreifen, wo er war und warum.
Die junge Frau nahm ein Taschentuch aus ihrer Handtasche und wischte Herrn K. über die Stirn. Sie zog ihren Mantel aus und bedeckte damit seinen Körper. Aus ihrer Jeanstasche zog sie ein Mobiltelefon und drückte eine Taste. Sie sprach kurz auf Polnisch mit jemandem, dann steckte sie das Gerät wieder ein. »Können Sie aufstehen? Ich habe ein Auto vor der Türe.« Herr K. rappelte sich mühsam auf. Die Frau wickelte ihm ihren Mantel um die Hüften und geleitete ihn langsam zu einem kleinen Renault.

Am nächsten Vormittag verließ Herr K. die Wohnung des Arztes, zu dem ihn die Prostituierte gebracht hatte. Die Stichwunden waren sofort nach seiner Ankunft gereinigt und verbunden worden, der Mann hatte ihn untersucht und keine Brüche feststellen können, dann fand Herr K. ein Nachtlager im Gästezimmer der Familie. Ein Schlafanzug hatte bereitgelegen. Beim Aufwachen fand Herr K. Wäsche und Kleidung auf dem Stuhl neben dem Bett, ein wenig zu groß alles, aber dankbar zog er sich an.
Der Arzt wies jedes Ansinnen auf eine Rechnung weit von sich. »Die junge Dame hat für die Behandlung bezahlt, auch die Medikamente, die ich Ihnen zur Vermeidung von Entzündungen mitgebe. Hier ist noch Verbandmaterial für die nächsten Tage.«
»Ich würde gerne die Adresse der Frau haben«, sagte Herr K. beim Abschied, »ich möchte ihr die Kosten erstatten, mich bedanken.«
»Sie hat mich ausdrücklich darum gebeten, genau dies nicht zu tun. Sie ist illegal in Deutschland, deshalb hat sie auch nicht den Notarzt angerufen. Mit Behörden kann und will sie nichts zu tun haben. Sie ist Verkäuferin in Świnoujście, arbeitet aber an den Wochenenden hier als Prostituierte, um ihrer krebskranken Mutter in der Heimat die Medikamente zu finanzieren. Ihr reguläres Einkommen reicht nicht dafür. Sie wünscht Ihnen gute Besserung. Hier sind noch hundert Euro, damit Sie irgendwie weiter oder nach Hause kommen.«

Sprachlos, mit Tränen in den Augen, trat Herr K. auf die Straße.


P.S.: Herzlichen Dank an meinen Arbeitskollegen Jakub P., der mir polnische Worte verraten und erklärt hat.

Mittwoch, 18. Februar 2009

GJM versus GM


Aus gegebenem Anlass lege ich Wert auf die Feststellung, dass GJM nicht mit Kahlschlag in Europa droht. GJM distanziert sich vielmehr auf das Schärfste von solchen Plänen und sagt: Pfui, GM!

Oh by the way: Which one is Pink?

Croz hat ein wunderbares Bootleg von Pink Floyd, London im Jahre 1970, anzubieten. Beste Qualität, und die komplette Mutter des Atomherzens (genau, die LP mit der Kuh) live, samt Chor und Orchester.
Im Einzelnen wird zu Gehör gebracht:
  1. The Embryo
  2. Green Is The Colour
  3. Set The Controls For The Heart Of The Sun
  4. If
  5. Atom Heart Mother
Der Download lohnt sich für alle junggebliebenen Menschen meines Alters. Und für alle, die heute jung sind und wissen wollen, was wir damals so gehört haben, wenn es nicht die Beatles oder Stones waren...

Hier geht es lang: Pink Floyd in London

P.S.: Morgen auf diesem Blog reist Herr K. voraussichtlich nach Greifswald.

Dienstag, 17. Februar 2009

Ich träume

Sei du selbst die Veränderung, die du dir wünschst für diese Welt. -Mahatma Gandhi
Vor mehr als 30 Jahren habe ich meinen Zivildienst in einem Altenpflegeheim des Bayerischen Roten Kreuzes geleistet, auf einer Frauenstation. Es war eine ernüchternde und harte Zeit. Als am vergangenen Sonntag das Thema Altenpflege in der Sendung von Anne Will zur Sprache kam, erfuhr ich, dass sich mittlerweile wohl nichts zum Besseren gewandelt hat. Und die Erinnerung kehrte zurück.

Meine normale Schicht dauerte 8 Stunden, eine sinnvolle Einteilung, da auf diese Weise mit drei Schichten ein 24-Stunden-Tag abgedeckt ist. Laut Dienstplan gab es für die Frühschicht drei Pflegekräfte und einen Zivildienstleistenden, für die Spätschicht zwei Pflegekräfte plus ZDL und für die Nachtschicht eine Pflegekraft. Auf der Station waren 28 Patientinnen zu betreuen, sechs von ihnen waren noch so kräftig und selbständig, dass sie alleine essen, sich anziehen und die Toilette besuchen konnten. Die übrigen benötigten Hilfe dabei (Essen kleinschneiden, beim Einstieg in die Wanne helfen...) oder waren so pflegebedürftig, dass sie gefüttert werden mussten und bei Bedarf die Bettpfanne brauchten.
Nun ist der Dienstplan das eine gewesen, die Realität das andere. Wenn Pflegekräfte ausfielen, sei es wegen Krankheit oder Urlaub, gab es normalerweise keinen Ersatz. Das hieß, dass die verbliebenen Mitarbeiter eben entsprechend länger arbeiten mussten und dass die Zeit pro Patientin erheblich verkürzt werden musste.
Es war an der Tagesordnung, dass die noch relativ selbständigen Patientinnen beim Füttern und anderen Tätigkeiten halfen - was nicht unbedingt ein Fehler sein muss, da sie auf diese Weise »gebraucht« wurden, einer sinnvollen Tätigkeit nachgehen konnten. Sie haben es, soweit ich das beurteilen konnte, gerne und mit Freude gemacht.
Allerdings konnten diese Handreichungen nichts daran ändern, dass für Pflegekräfte und ZDL Doppelschichten, gelegentlich auch Dreifachschichten, regelmäßig vorkamen. Im Klartext: Ich begann meinen Dienst morgens vor 7 Uhr und beendete ihn am nächsten Morgen nach 7 Uhr, da die Übergabe an die nächste Schicht jeweils dazugehörte. Lässt bei solchen Arbeitszeiten die Konzentration und Leistungsfähigkeit nach? Bei mir durchaus. Zehn Minuten Ruhe in der Teeküche oder im Schwesternzimmer reißen da nichts heraus. Es gab auch kaum einmal eine 5-Tage-Woche, sondern freie Tage dann, wenn es irgendwie möglich war. Mein Rekord lag, so weit meine Erinnerung mich nicht trügt, bei 14 Wochen ohne einen einzigen freien Tag.
Häufig war auch die Frühschicht nur mit einer Pflegekraft und einem ZDL besetzt. Also blieb nichts anderes übrig, als die Körperpflege der Patientinnen auf eine Katzenwäsche zu reduzieren und beim Füttern und Windeln so schnell wie möglich zu sein. Die Umlagerung bei Dekubitus-Patientinnen fand an solchen Tagen höchstens alle sechs oder sieben Stunden statt. Folglich verschlimmerten sich die Wunden. Auch Patientinnen, die noch zur Toilette gehen oder die Bettpfanne benutzen hätten können, wurden gewindelt, weil das Pensum anders einfach nicht zu schaffen war.
Und so manche Nachtwache übernahm ich, ohne Pflegeausbildung, weil andernfalls niemand auf der Station gewesen wäre.
Zeit, um sich mit den Patientinnen zu beschäftigen, ihnen etwas vorzulesen, ihnen zuzuhören, sie auch mal an die frische Luft zu bringen, gab es einfach nicht. Diese Illusion hatte ich noch gehabt, bevor ich meinen Zivildienst begann. Ich wollte - gemäß dem Zitat von Gandhi oben - etwas besser, etwas anders machen. Ich glaubte, ein ZDL wäre zusätzlich zu den examinierten Pflegekräften da, nicht an ihrer Stelle. Es blieb beim guten Vorsatz.

War dieses Pflegeheim ein extremer Einzelfall? Ich glaube, leider nicht. Gespräche mit anderen ZDL, die in der Altenpflege tätig waren, deuteten jedenfalls darauf hin, dass mir an meinem Dienstort nichts ungewöhnliches begegnete.
Und nun berichtete am Sonntag eine Altenpflegerin bei Anne Will über ihre Erfahrungen. Die scheinen sich kaum von meinen vor über 30 Jahren zu unterscheiden. Unfassbar, aber wohl leider wahr.

Und da sagt ein Herr Lauterbach (SPD) bei Anne Will:
Die Zahl der Pflegekräfte ist nicht entscheidend. Es gibt Einrichtungen, die haben sehr niedrige Pflegeschlüssel und haben eine akzeptable Qualität.
Aha. Eine akzeptable Qualität. Ob Herr Lauterbach schon mal versucht hat, einen wundgelegenen Po vom Durchfall zu reinigen?

Auf die Politik zu schimpfen ist zwar angebracht, aber es ändert nichts. Im »christlichen Abendland« ist Nächstenliebe nicht mehr gefragt. Das war schon einmal so, dass die Armen, Bedürftigen, Misshandelten keine Lobby hatten. Dann trat ein Mann auf, der sich ihnen zuwandte, der Kranke heilte, Hungernde speiste, Weinende tröstete. 2000 Jahre nach ihm rufen wir wieder nach dem Staat statt nach den Christen, wenn Not zu lindern ist.

Muss uns das nicht zum Nachdenken bringen? Ich sage bewusst »uns«, denn ich bin Christ. Ist es denn gar nicht denkbar, dass es in unseren Kirchen und Gemeinden Menschen gibt, die Zeit hätten, ein paar Stunden pro Woche den Pflegedürftigen zu dienen? Zum Windelwechsel und Füttern braucht man keine Ausbildung. Zum Vorlesen oder Zuhören auch nicht. Zum Schieben eines Rollstuhles durch den Park oder Garten bedarf es ebenfalls keiner sonderlichen Fertigkeiten. Zu meiner Zivildienstzeit kam Sonntags wenigstens der katholische Geistliche der örtlichen Kirche, um mit jeder Patientin - katholisch oder nicht - ein paar Minuten zu sprechen. Manchmal brachte er eine oder zwei Damen aus seiner Kirche mit, die dann mit einigen Patientinnen in den Garten gingen. So alle zwei bis drei Monate ein mal. Immerhin!

Ich träume von einer Christenheit in unserem Land, der die eigenen Belange weniger wichtig sind als das Leid der Menschen in der Umgebung. Und ich meine nicht nur alte, pflegebedürftige Menschen. Ich meine auch all die anderen, die hungrigen Kinder, die misshandelten Frauen, die verachteten Menschen mit anderer Hautfarbe...
Ich erträume mir eine Christenheit, bei der vor lauter Ora das Labora nicht auf der Strecke bleibt.

Es gibt Kirchen und Gemeinden, die in diese Richtung gehen. Gott sei Dank gibt es sie. Doch was meinen Traum betrifft, viel zu selten.

Ich träume.