Donnerstag, 15. Juli 2010

Der Garten des Teufels – Teil 3

So. Nun die Fortsetzung. Ein vierter Teil folgt dann morgen. Wenn jemand Teil 1 und Teil 2 noch nicht gelesen hat, empfiehlt es sich, das vor dem Lesen von Teil 3 nachzuholen. Bittesehr: [Teil 1] [Teil 2]

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Die Saat

Es dauerte dann noch sechs lange Monate, bis Renate endlich wusste, ob der Mann tatsächlich oder nur im Traum ihr Gefährte geworden war.

Sie träumte das erste Mal von ihm, als die Saat in einem Tonschälchen aufging, als sich zarte grüne Spitzen dem Licht entgegenstreckten. Sie träumte, dass sie in ihrem Verkaufsraum stand, eine frische Ananasblüte in der Hand, um sie in die Vitrine zu stellen. Dabei dachte sie, dass der Kunde mit dem Koffer an diesem Exemplar seine Freude haben würde.

Die Türe öffnete sich und er betrat mit einem zufriedenen Lächeln auf den Zügen das Geschäft. In der Hand trug er wieder den Hut, in der anderen hielt er eine Blume, die Renate unbekannt war, und das wollte etwas heißen.

»Guten Morgen«, grüßte er höflich, »lassen sie die Ananas ruhig gleich auf dem Tisch, ich nehme sie.«

»Guten Morgen, mein Herr. Ich freue mich sehr, Sie wieder zu sehen. Es ist lange her.«

»Neun Monate und vier Tage.«

»So genau wissen Sie das?«

»Sie etwa nicht, Renate?«

»Doch, ja. Ich werde nie vergessen, was ich empfand, als ich den Inhalt des Koffers studierte. Darf ich Sie, Herr – äh ...«

»Peter. Nennen Sie mich einfach Peter.«

»Gut, also, darf ich Sie, Peter, fragen, woher Sie den Koffer beziehungsweise den Inhalt hatten?«

»Sie dürfen fragen, aber die Antwort werden Sie mir kaum glauben. Ich habe die Samen selbst gesammelt und eingenäht.«

»Und woher hatten Sie das Dokument?«

»Selbst geschrieben. Ich gebe zu, es ist viel Zeit vergangen, ich hatte es zusammen mit der Saat gut verwahrt, bis ich die richtige Erbin gefunden hatte.«

»Sie machen Witze, Peter.«

Er schmunzelte und betrachtete aufmerksam die Ananasblüte. Dann zuckte er mit den Schultern und erklärte ruhig: »Ich wusste doch, dass Sie mir nicht glauben. Aber würden Sie mir wohl diese Blüte überlassen? Zu einem fairen Preis?«

»Ich schenke sie Ihnen. Der Koffer war viel mehr wert als das, was Sie bekommen haben.«

»Irren Sie sich nur nicht. Ich habe mehr bekommen, als es schien. Und ich bitte um Ihr Verständnis: Geschenke nehme ich nicht an. Ich biete Ihnen diese Blume zum Tausch.«

Nächtliche Visionen... - Bild von sxc.huBehutsam stellte er die Pflanze auf die samtene Unterlage. Das Gewächs wirkte wie aus einer anderen Welt. Die Blütenblätter waren so dünn, dass man hindurchsehen konnte. Ein elfenbeinfarbenes Gewebe, im Licht der frühen Sonne schimmernd wie Seide. Eine einzige Blüte tronte auf einem Halm, den spiralförmig feingefächerte Blätter umgaben, die von einem tiefen Grün zu den Spitzen hin in ein wohltuendes Blau überblendeten. Ein Blatt war abgebrochen, an der Bruchstelle war ein winziger Tropfen zu sehen, rot, wie Blut, dachte Renate, es sieht aus wie Blut.

»Es ist Blut, wenn Sie so wollen, denn was ist der Lebenssaft einer Pflanze anderes als der, der im menschlichen oder tierischen Körper pulsiert?«

Renate bemerkte gar nicht, dass Peter auf etwas geantwortet hatte, was sie nur gedacht, aber nicht gesagt hatte. Sie war fasziniert und gefangen genommen von der überirdischen Schönheit der Blüte, des Stieles und der Blätter.

»Woher stammt dieses Gewächs? Wie heißt es?« fragte sie fast flüsternd, andächtig in den Anblick versunken.

»Es stammt aus einem großen Garten, wo es noch viele davon gibt. Es heißt Lebenskraft. Ich finde, das ist ein passender Name.«

Sie beugte sich hinab und atmete den schwachen Duft ein, wie lieblich und wohltuend war er, so unverwechselbar, so überirdisch wie die ganze zarte Pflanze.

Dann war Renate in ihrem Bett aufgewacht. Sie starrte einige Minute an die Decke und meinte, noch immer den Duft der Lebenskraft wahrnehmen zu können. Aber sie lag in ihrem Bett, es gab keine Blume. Als sie in ihrem Geschäft war, stellte sie eine frische Ananasblüte in die Vitrine. Doch niemand kam durch die Ladentür.

Je größer die Pflanzen aus dem Garten des Teufels gediehen, und jedes einzelne der ausgesäten Samenkörner ging auf, jede einzelne Pflanze entwickelte sich kräftig und gesund, desto öfter und intensiver träumte Renate von Peter. In ihren Träumen lud er sie ein, ihn zu besuchen, sie folgte ihm in eine Villa, die äußerlich unscheinbar wirkte, im Inneren jedoch unvergleichliche Schätze barg, Kleinode aus aller Welt, herrliche Gemälde, eine Bibliothek mit unzähligen handgeschriebenen Werken, darunter mehrere Bibeln sowie zahlreiche theologische Werke, die laut Peter aus einem Kloster stammten, von dem die meisten Menschen, die den erfolgreichen Roman eines italienischen Philosophen und Schriftstellers über dieses Kloster gelesen hatten, annahmen, dass die gesamte Bibliothek mit dem Kloster abgebrannt sei.

»Sprichst du von Umberto Eco? Der Name der Rose?«

Peter nickte versonnen. »Ja, und dies hier sind die kostbarsten Bände aus jenem Kloster. Nicht alles ist verbrannt, einiges wurde vor dem Feuer in Sicherheit gebracht.«

Renate machte sich nichts daraus, dass in einem Traum Bücher und Schauplätze aus einem Roman real waren, denn in Träumen nimmt man alles hin, was geboten wird.

Renate verfiel ihrem Peter mehr und mehr. Sie duzten sich längst, häufige Berührungen blieben nicht aus. Allerdings schliefen sie nicht miteinander in diesen Träumen, so sehr sich Renate auch danach sehnte. Peter brach liebevoll, aber entschieden jede Umarmung ab, aus der mehr werden konnte. »Später«, meinte er dann, »wenn wir vereint sind. Später.«

Den ganzen Tag wartete sie nur darauf, dass es endlich Abend wurde, dass sie endlich ihr Tagewerk beenden und ins Bett gehen, träumen konnte.

Mit dem Gedeihen der Saat aus dem Koffer gediehen ihre Träume, wurden realistischer, langsam und unmerklich schwand die Realität und wurde zum Traum, während die Träume zur Realität wurden. Renate wusste gelegentlich nicht, ob sie wachte oder träumte.

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Fortsetzung folgt.

Mittwoch, 14. Juli 2010

Der Garten des Teufels – Teil 2

Falls jemand heute zufällig hier auf den/das Blog gerät: Teil 1 dieser Erzählung findet man hier: [Teil 1]. Ach ja, und nur zur Beunruhigung der geschätzten Leserschaft: Es wird auch heute kein Ende der Geschichte geben und das Ende ist sowieso dann kein erfreuliches. Also don’t say I didn’t warn you. Weiterlesen? Bittesehr:

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Das Vermächtnis

Renate bereute den Tausch nie. Seit sie die Ananasblüte gegen den Koffer des Fremden getauscht hatte, war sie im Besitz eines unermesslichen Schatzes. Sie war schon vorher wohlhabend, seit frühester Jugend durch eine erhebliche Erbschaft, aber nun war sie reich. Unverschämt reich, genau genommen. In einem nicht materiellen Sinn.

Dass sie trotz ihres Vermögens Tag für Tag in ihrem Geschäft stand, Abend für Abend und manche Nacht im Gewächshaus zubrachte, lag daran, dass sie ihre Schützlinge liebte. Mehr als sie jemals für einen Menschen empfunden hatte konnte sie mit ihren Pflanzen fühlen, leiden, sich freuen.

Sie hatte, um das geerbte Geld irgendwie anzulegen, noch vier weitere Geschäfte eröffnet, in denen allerdings nur das übliche Sortiment an Schnittblumen und Topfpflanzen verkauft wurde, von allerbester Qualität zwar, aber nichts wirklich Ausgefallenes. In den vier Filialen arbeiteten 18 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, außerdem beschäftigte Renate für ihre Wohnung eine Haushälterin, damit sie selbst keine Zeit mit Putzen oder Einkaufen verschwenden musste. Jeder in ihrer Umgebung wusste, dass sie vermögend war, aber wie reicht sie wirklich war, wussten nur ihr Steuerberater und sie selbst. Das Finanzamt hatte keine Ahnung, aber das verursachte Renate kein schlechtes Gewissen. Es war Aufgabe des Steuerberaters, sich darum zu kümmern, dass möglichst viel Geld übrig blieb. Er war mehr ein Finanzmanager als ein Steuerberater, Renate überließ ihm weitgehend ihr Vermögen zur Verwaltung. Sein Honorar war fürstlich, und er leistete dafür hervorragende Arbeit. Details wollte sie von ihm nicht wissen, und wahrscheinlich wollte er sie sowieso lieber für sich behalten. Als vor einer Weile CDs mit Kontodaten deutscher Bürger bei ausländischen Banken seitens der Regierung angekauft wurden, hatte er nur gelächelt. Seine Methoden waren offensichtlich ausgefeilter als die Eröffnung von Bankkonten in der Schweiz.

Sie dachte gerne zurück an jenen Morgen, als sie den Koffer in das kleine Büro hinter den Geschäftsräumen stellte. Der Kunde war zufrieden mit dem sorgsam eingepackten Ananaskunstwerk seines Weges gegangen. Sie hatte es kaum erwarten können, den Laden am Abend zu schließen und sich mit dem Koffer in ihr Gewächshaus zurückzuziehen.

Schließlich war es so weit gewesen. Renate schloss die Türe hinter sich ab und legte den unscheinbaren Lederkoffer auf den Arbeitstisch. Sie schob die Arbeitsleuchte zurecht und öffnete dann bedächtig den Deckel, eine fast zeremonielle Handlung.

Sechsunddreißig kleine Leinenbeutel lagen darinnen. Die Beutel waren leicht, dünn, schlicht. Aber der Inhalt war kostbarer als es Juwelen oder Banknoten gewesen wären. In jedem der sechsunddreißig Beutel waren Samenkörnchen eingenäht. Die Beutel trugen Nummern, sauber mit einer verblassten Tinte auf die jeweils linke obere Ecke geschrieben, 1 bis 36. In dem Fach im Kofferdeckel steckte eine Klarsichthülle, und darin war ein handgeschriebenes Dokument verwahrt, das nicht nur alt, sondern antik war.

An der Echtheit zweifelte sie keinen Moment, die Schrift kannte sie aus einem Buch, das sie in einem Tresor bei ihrer Bank verwahrte. Es war, an einigen Eigenheiten unzweifelhaft zu erkennen, ein Dokument des Pater Petrus Datura Suaveolens. Der Autor des kostbaren Buches – und offensichtlich auch dieses Dokumentes aus dem Koffer – hatte das, was von ihm an Hinterlassenschaft bekannt war, stets mit einem charakteristischen Schriftzug unterzeichnet.

Datura Suaveolens (WikiCommons)»Pater Petrus Datura Suaveolens«, flüsterte Renate. Die Datura Suaveolens ist eine Zierpflanze, die überhaupt nicht seltene Engelstrompete, ursprünglich in Mexiko beheimatet, aber seit vielen Jahren bei Hobbygärtnern und städtischen Gartenämtern auch hierzulande geschätzt und weit verbreitet. Renate zweifelte daran, dass die Menschen, die diese Pflanze in ihren Gärten und Grünanlagen anpflanzten, eine Ahnung von der Wirkung der Blütenblätter hatten. Diese enthielten Atropin und Scopolamin, hochgiftige Alkaloide. In grauer Vorzeit hatte man damit Geisteskranke ruhiggestellt, heutzutage benutzte man die Pflanze als Zierde.

Der Pater hatte sich den Namen »Datura Suaveolens« sicher mit Überlegung zugelegt, das »Petrus« davor war vermutlich eine Konzession an die Kirche gewesen.

Sein Buch, das Renate einst von einer weiten Reise mitgebracht hatte, war alles andere als kirchliche Lektüre. Es enthielt für damalige Zeiten pure Hexerei, aus heutiger Sicht war das Werk ein Almanach der zerstörenden und heilenden Wirkungen von Pflanzen aller Art, vom unscheinbaren Moosgeflecht bis zum majestätischen Baum und seiner Rinde. Die exotischsten Gewächse wurden detailliert beschrieben, ihre Pflege anschaulich erklärt und die Wirkungen auf menschliche und tierische Organismen ausführlich erläutert.

Renate hatte sich oft gefragt, woher dieser Pater die Pflanzen gekannt haben mochte. Entweder hatte er weltweite Verbindungen gehabt oder er war selbst viel gereist. Das schien jedoch kaum vorstellbar, bei der seinerzeit üblichen Reisegeschwindigkeit hätte der Mann mehrere Leben benötigt, um all die Gegenden und Pflanzen zu erkunden, von denen er jedes Detail zu kennen schien.

Dieser Koffer, besser gesagt sein Inhalt, war nun das, was Renate für nicht existent gehalten hatte, obwohl die sechs mal sechs Leinenbeutel in dem Buch als Hinterlassenschaft erwähnt waren. Es waren sechsunddreißig Samenarten, sechsunddreißig Pflanzen, von denen sie in Petrus Buch gelesen hatte, die ihr aber völlig unbekannt und die in keinem botanischen Werk zu finden gewesen waren. Sie studierte das Verzeichnis und ließ ihre Fingerspitzen liebevoll über die Leinensäckchen gleiten. Es war unglaublich. Das höchste Glück, das sich Renate vorstellen konnte.

Auf dem Weg vom Geschäft zum Gewächshaus hatte sie aus ihrem Tresor das Buch geholt und sie blätterte nun mit größter Vorsicht durch die brüchigen Seiten zum Kapitel »6 mal 6 Gewächse aus dem Garten des Teufels«. Sie verglich Punkt für Punkt. Sorgfältig, gewissenhaft. Auf der Liste aus dem Koffer standen genau diese Bezeichnungen. Sie hatte das Vermächtnis des Paters in den Händen.

In den nächsten Wochen studierte sie geduldig zunächst die Zucht- und Pflegeanleitungen, dann besorgte sie die notwendige Ausstattung, was nicht immer einfach war. In einem Fall handelte es sich um Schlick aus einer von Pater Petrus genau bezeichneten Bucht an der Nordspitze Schwedens, in einem anderen um ein Gemisch aus Erde und Staub aus der Gegend knapp unterhalb der Baumgrenze des Himalaja.

Sie ließ von Technikern einen Anbau an ihr Gewächshaus konstruieren, in dem verschiedene Räume mit verschiedenen klimatischen Bedingungen entstanden, ein Computer steuerte die Beleuchtung für Tag- und Nachtwechsel, überwachte Feuchtigkeit, Temperaturschwankungen und steuerte die variable Länge der Tage und Nächte je nach Jahreszeit. Geld spielte für dieses Projekt keine Rolle.

Selbst bei den Pflanzgefäßen hielt sie sich penibel an die Anleitungen des Pater Petrus Datura Suaveolens, ließ einiges von einem Töpfer herstellen, bei dem sie sich darauf verlassen konnte, dass er die vorgeschriebene Rezeptur für den Ton, die Trockenzeiten, die Temperatur des Ofens und viele weitere Details einhalten würde.

Gelegentlich fragte sich Renate, wie der Pater Petrus Datura Suaveolens in der Lage gewesen sein konnte, auch nur einen Bruchteil der notwendigen Bedingungen zu schaffen, damit diese Pflanzen gedeihen konnten. Es war schlichtweg unvorstellbar. Entweder er hatte sich auf die Beschreibungen beschränkt und die Samen für eine Zeit aufbewahrt, in der Dinge möglich wurden, die ihm unvorstellbar sein mussten, oder es war – mittelalterlich gedacht – Hexerei im Spiel gewesen.

In jedem Säckchen steckten sechs Samen, wenn alle aufgingen, hatte sie 6 mal 6 mal 6 Pflanzen. Sie wollte zunächst von jedem der Samen einen aussäen und fünf behalten, dann würde sie für Jahre Vorrat haben und gegebenenfalls eine misslungene Züchtung wiederholen können. Zeit musste sie sich ohnehin lassen, weil sogar der Stand des Mondes für die Pflanzzeit vorgeschrieben war.

Neun Monate nach dem Tausch Ananas gegen Koffer konnte Renate die ersten zarten Spitzen aus dem Erdreich sprießen sehen.

Als der Traum im Gewächshaus – besser gesagt in seinem Anbau – dann Gestalt annahm, als die ersten Blätter sichtbar wurden, trat der seltsame Kunde wieder in Renates Leben, in gewisser Weise zumindest.

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Fortsetzung folgt.

Dienstag, 13. Juli 2010

Der Garten des Teufels – Teil 1

Wenn ein Mensch im Traum durch das Paradies gehen könnte,
und das Geschenk einer Blume wäre ein Unterpfand dafür, dass seine Seele wirklich dort war,
und wenn er beim Erwachen diese Blume in der Hand halten würde ... dann wahrlich! ... ja, was dann?
-Samuel Taylor Coleridge: Anima Poetae

And you can send me dead flowers every morning
Send me dead flowers by the mail
Send me dead flowers to my wedding
And I won’t forget to put roses on your grave
-The Rolling Stones: Dead Flowers

Das Unterpfand

Verwelkt, zerdrückt, keine Schönheit mehr, aber dennoch ein Gegenstand höchsten Wertes. Nein, kein Gegenstand, das war der falsche Ausdruck. Ein Lebewesen, das zum Sterben verurteilt war, abgetrennt von den Leben spendenden Wurzeln.

Renate betrachtete, was von der filigranen Blüte und dem zarten Stängel übriggeblieben war. Sie wagte kaum zu atmen, um dem Gewächs nicht noch mehr Schaden zuzufügen.

Die Blütenblätter waren so dünn, dass man hindurchsehen konnte. Ein elfenbeinfarbenes Gewebe, im Licht der frühen Sonne schimmernd wie Seide. Eine einzige Blüte, auf einem Halm, den spiralförmig feingefächerte Blätter umgaben, die von einem tiefen Grün zu den Spitzen hin in ein wohltuendes Blau überblendeten. Selbst jetzt, in diesem erbärmlichen Zustand, war die Blume noch schöner als alles, was Renate bisher an schmückenden Gewächsen gesehen hatte. Und sie hatte viele gesehen, ging sie doch täglich in ihrem Fachgeschäft für Floristik mit der Flora in ihren schönsten Formen um.

Sie legte das kostbare Unterpfand vorsichtig auf dem Nachttisch ab und schloss wieder die Augen. Peter hatte ihr die Blume geschenkt. Sie wollte zurück zu Peter und wusste um die Torheit dieses Wunsches.

Bild von sxc.huDie Ananasblüte

Zehn Jahre zuvor hatte ein merkwürdiger Mann ihren Weg gekreuzt. Männer waren ihre Hauptkundschaft, das Geschäft lag nahe am Bahnhof, unzählige Geschäftsreisende ließen ein Taxi draußen warten, um bei der Heimkehr zu ihrer Familie, Frau oder Freundin einen Blumengruß präsentieren zu können. Andere kamen auf dem Weg zum Bahnhof in das Geschäft, denn mit einer Rose in der Hand ist der Mann gut ausgestattet, wenn die Geliebte aus dem Zug steigt. Es kamen auch Frauen, die für ihr Heim oder den Besuch bei Verwandten und Bekannten ein dekoratives Geschenk suchten, aber die männliche Kundschaft überwog. Renate war stolz darauf, dass ihre Kunden, Herren oder Damen, stets zufrieden waren. Sie verkaufte nicht einfach lustlos zusammengebundene Sträuße; bei ihr bekam man das Ausgefallene, das man in den beiden Läden direkt im Bahnhof und auch sonst in der Stadt vergeblich suchte. Kunstwerke aus natürlichen Materialien, von der Rinde einer knorrigen Eiche bis zur winzigsten Kakteenblüte – Renate verarbeitete zu Unikaten, was immer sie im Großmarkt und in der Natur finden konnte.

Wollte ein schüchterner und nicht allzu bemittelter junger Mann eine einzelne Rose für die Dame seines Herzens, dann bekam er für fünf Euro eine Rose, langstielig, frisch. Doch nicht nur die Rose gab sie dann dem Liebenden, um den Stiel wand sich ein hauchdünner Halm mit herzförmigen winzigen Blättern. Sie hatte diese Pflanze, die sie in keinem Lexikon der Botanik finden konnte, einst in Nicaragua entdeckt und züchtete das Liebesgras, wie sie es getauft hatte, seither in ihrem geräumigen Gewächshaus. Dort gab es noch zahlreiche andere Züchtungen und Pflanzen, die sonst nirgends zu finden waren. Natürlich hütete sie ihre Geheimnisse mit starken Schlössern, einer Alarmanlage und ihrem Mozart, einem kräftigen und als Wächter ausgebildeten Schäferhund.

An jenem Morgen vor zehn Jahren war ein Herr mittleren Alters durch die Türe getreten, einen Aktenkoffer in der einen, den Hut in der anderen Hand. Die elektrische Tür schloss sich hinter ihm und er betrachtete anerkennend die ausgestellten Kunstwerke. Renate ließ ihm Zeit, sich umzusehen, beobachtete, wie sein Blick an einer Komposition aus Ananasblüte, verschiedenen Gräsern und einer Fontäne aus fein geschnittener Birkenrinde hängenblieb und wusste, dass der Kunde gleich nach dem Preis fragen würde.

»Guten Morgen«, begann er, »ich suche ein Geschenk.«

Freundlich lächelnd erkundigte sich Renate: »Für eine Dame?«

»Ja und nein, aber sagen wir ruhig, es sei für eine Dame.«

Renate nahm die Antwort gelassen entgegen. Sie schätzte, dass der Kunde etwa fünfzig Euro ausgeben wollte, und zeigte ihm einige Arrangements für fünfundsiebzig Euro.

»Dies hier«, erklärte sie, »ist eine tropische Orchidee, die Blüte wird sich heute Nachmittag öffnen, umgeben von Schößlingen eines seltenen griechischen Beerengewächses, gepflanzt in Erde aus Malaysia. Selbstverständlich bekommen Sie bei mir immer die notwendigen Düngemittel, Erden und Gefäße, damit sie viele Jahre Freude an den Pflanzen haben, und selbstverständlich erkläre ich meinen Kunden sehr genau, wo die Pflanze stehen muss, wie sie zu behandeln ist.«

»Ich weiß, deshalb bin ich ja zu Ihnen gekommen.«

Sie nickte selbstsicher. Seit fünf Jahren führte sie das Geschäft, hatte nie Werbung gemacht außer den Auslagen in ihrem Fenster. Zufriedene Kunden waren und blieben die beste Investition. Die meisten Käufer kamen nicht per Zufall in ihr Geschäft, sondern auf Empfehlung oder als Stammkundschaft.

»Schnittblumen habe ich natürlich auch«, meinte sie lächelnd.

»Diese Ananasblüte dort, was würde die kosten?«

Aha, sie hatte richtig getippt. Der Mann wollte diese Blüte und nichts anderes. Und er würde sie bekommen.

Renate öffnete die Glasvitrine und stellte das Gesteck behutsam auf den Verkaufstisch. »Dies ist etwas ganz Besonderes, allerdings eine Schnittblüte, das heißt, dass sie nach etwa zwei Wochen ihre Schönheit verlieren wird. Diese Ananas werden von mir selbst gezüchtet, die Farbschattierungen, die sie hier sehen, finden Sie nirgends sonst.«

»Sie ist wunderschön.«

»Ja, das ist sie. An einem schattigen Ort, nicht zu heiß, hält sie sich bei entsprechender Pflege etwa zwei, vielleicht sogar drei Wochen.«

»Und was kostet sie nun?«

»Wie viel wäre sie Ihnen denn wert?«

Renate hatte keine Preisschilder in ihrem Geschäft. Der Kunde bestimmte den Wert der Ware, und selten versuchte jemand, etwas billig zu bekommen. Solche Leute blieben in der Regel draußen vor der Türe.

Der Mann hob den Blick von der Blüte und sah Renate forschend an. »Ich würde meinen, dass fünfzig Euro angemessen wären.«

»Da stimme ich Ihnen zu.«

»Das Problem ist nur, dass ich kein Geld bei mir habe.«

Renate erklärte freundlich: »Visa, Eurocard, American Express und EC-Karten sind willkommen.«

Der Kunde legte lächelnd seinen Aktenkoffer auf den Verkaufstisch, öffnete den Deckel und drehte den Koffer zu Renate herum. »Wie wäre es damit als Gegenwert zu Ihrer Blüte?«

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Fortsetzung folgt

Sonntag, 11. Juli 2010

Stiefmütterlich

Januar 2010 Dieser/dieses Blog wurde, das ist nicht zu leugnen, in den letzten Wochen ziemlich stiefmütterlich behandelt. Geschuldet war das der Fülle an Arbeit, nicht etwa der Lustlosigkeit.

Nun ist ein großes Projekt abgeschlossen, die Übersetzung eines Buches. Es ist immer ein gutes Gefühl, ein Aufatmen, ein Erfolgserlebnis damit verbunden, wenn ich sagen kann: Geschafft und gut gemacht. Natürlich sollte das gut gemacht an und für sich dem Auftraggeber beziehungsweise bei Büchern den Lesern vorbehalten bleiben, aber nach etlichen Jahren Übersetzertätigkeit bekommt man doch ein Gefühl dafür …

Es sind nun einige weitere Terminarbeiten zu erledigen, aber der/das Blog soll nach Möglichkeit etwas weniger brach liegen. Ich werde vermutlich nicht zu der täglichen Aktualisierung zurückkehren können, aber es soll doch wieder etwas mehr Leben hier einziehen.

Nun denn. Ich wünsche einen angenehmen Sonntag, wir in Berlin werden sicherlich nicht frieren müssen. Falls andernorts jemandem kalt ist, möge er an warme Tage zurückdenken, so wie wir uns zur Zeit gerne des Winters erinnern.

Mittwoch, 7. Juli 2010

Montag, 5. Juli 2010

Vom Mosikto am Nacktstrand

Hat viel zu tun, das Viech.Eine Etappe ist dank Wochenendeinsatz geschafft. Am Samstag 9 Stunden, am Sonntag 10 Stunden – dann  war die deutsche Rohfassung des Buches, das ich gerade übersetze, fertig.

Nun geht es daran, noch einmal den gesamten Text auf Tippfehler, Formulierungen und Stilfragen zu überprüfen, was erfahrungsgemäß in etwa 15 bis 20 Stunden zu schaffen ist. Insgesamt wird die Arbeit dann so um die 70 Stunden gedauert haben.

Gleichzeitig habe ich zwei CD-Produktionen auf dem Tisch, und natürlich noch den »normalen« Job mit der 40-Stunden-Woche. Aber es gibt keinen Grund zur Klage, denn all das geschieht ja freiwillig und gegen Entgelt beziehungsweise Honorar. Und ich möchte nicht mit jemandem tauschen, der den Tag damit verbringt, irgendwelche TV-Soaps zu konsumieren…

Der Blogbesucher wird verstehen, dass auch weiterhin gilt:

I'm busier than a mosquito at a nudist colony.

Samstag, 3. Juli 2010

Man nehme, so man hat

Wenn zwei Menschen oft am Abend gleichzeitig am PC arbeiten müssen und das Arbeitszimmer zu klein für zwei ist, obwohl dort zwei PCs zur Verfügung stehen, und wenn dann die Tochter groß geworden ist und eine eigene Wohnung bezogen hat, so dass nunmehr ein zusätzliches Zimmer zur Verfügung steht, dann nehme man einen Schreibtisch…

Schiefe Schubladen - sieht ja keiner

…dessen Schubladen beim Zusammenbauen womöglich etwas schief geraten sind, trage diese und jene Gerätschaften aus dem Arbeitszimmer zum Schreibtisch…

Kabel und Kästchen

…verbinde mit allerlei Kabeln allerlei Kästchen, drücke den einen oder den anderen Knopf, vielleicht auch zwei oder drei Knöpfe…

fertich!

…und mache sich fortan weniger beengt als zuvor an die Arbeit. Einstweilen noch in einem Korbsessel sitzend, der Schreibtischstuhl aber ward bereits bestellt und sollte nächste Woche da sein.

Freitag, 2. Juli 2010

Vom air traffic controller und von shit on a marble floor

…der Zustand hält einstweilen an:

I'm busier than a cross-eyed air traffic controller.

Dies nur für die geschätzten Blogbesucher, die kopfschüttelnd feststellen, dass ich hier nach wie vor kaum etwas einstelle, was irgendwie eigene Mühe erfordern würde.

Nun kam zur sowieso schon reichlichen Arbeit noch ein eiliger Auftrag hinzu, der am Wochenende zu erledigen sein wird. Aus unserem geplanten Flohmarktstand wird daher nichts. Und für den Blog gilt auch die nächsten Tage:

I'm busier than a three-legged cat trying to cover shit on a marble floor while having to go five miles for dirt.

Donnerstag, 1. Juli 2010

Wenn man wüsste…

…was Katzen beim Bücherlesen so denken…

Miau oder wuff?

…wäre man dann schlauer?

Mittwoch, 30. Juni 2010

Not amused…

…Frau Merkel & Co blicken etwas bedröppelt vor sich hin.

Da hatte jemand Durchfall im ersten Wahlgang.