Mittwoch, 19. Oktober 2011

Johannes /// Teil 1

Damals – ach ja, liebe Leser, wir reisen ziemlich weit zurück und auch noch in eine andere Weltgegend – damals also regierte ein gewisser Herodes als König in Judäa. Den besten Ruf hat er in der Nachwelt nicht, und wir werden es im Verlauf der hier erzählten Ereignisse auch noch mit ihm zu tun bekommen, aber jetzt noch nicht. Erst mal sind wir im Tempel, in Jerusalem. Dort verrichtete ein Priester namens Zacharias seinen Dienst. Der war mit Elisabeth verheiratet, ein Zölibat für Priester kannte man noch nicht, das wurde erst viel später ersonnen. Außerdem sind wir ja in Judäa, und bei den Juden war (und blieb) die Ehe keinem Menschen verboten, sogar wünschenswert war sie, auch für geistliche Würdenträger.

Zacharias und Elisabeth waren fromme Menschen, sie hielten sich an die Gebote und Satzungen ihres Volkes. Niemand konnte ihnen irgendwelche Verstöße dagegen vorwerfen, und das wollte etwas heißen angesichts der vielen und detaillierten Vorschriften, die es zu befolgen galt.

Es war zu der Zeit, von der wir reden, so etwas wie ein Fluch, keine Kinder zu haben, aber da Elisabeth unfruchtbar war und von künstlicher Befruchtung ungefähr die nächsten etwa 2000 Jahre noch nicht die Rede sein würde, hatte sich das mittlerweile betagte Paar damit abgefunden. Schweren Herzens, sicher, aber es blieb den beiden ja nichts anderes übrig.

Zum Dienstplan eines Priesters gehörte das sogenannte Räuchern. Zacharias ging an jenem Tag, der so vieles änderte, pünktlich in den Tempel, um in einem bestimmten Raum auf dem Räucheraltar die vorgeschriebenen Verrichtungen durchzuführen. Das Volk durfte nicht hinein; die Leute warteten draußen und sprachen die für diese Stunde üblichen Gebete.

Zacharias ahnte und bemerkte nichts Ungewöhnliches. Es war dies ein Dienst wie viele zuvor und noch viele weitere – dachte er zumindest. Bis er aufschaute und eine Gestalt sah, die rechts neben dem Räucheraltar stand. Zacharias Gesicht wurde ungefähr so weiß wie der Kalk an der Wand hinter dem Altar, die vom Alter sowieso schon leicht geschwächten Beine wollten beinahe ihren Dienst versagen, die Hände zitterten und der Schweiß brach ihm aus. Es war ja nicht nur verboten, sondern eigentlich unmöglich, dass sich jemand außer ihm selbst zur Räucherstunde in diesem Raum aufhielt. Es gab schließlich nur einen Zugang, und wenn jemand nach ihm durch die Tür gekommen wäre, hätte Zacharias das bemerken müssen. Einen Augenblick zuvor war er noch allein gewesen mit seinem Rauchwerk und mit Gott, den man allerdings nicht sehen konnte.

Sein erster Impuls war natürlich die Flucht. Naheliegend – aber wohin? Durfte er denn seinen Räucherdienst mittendrin abbrechen? Konnte man vor dieser Erscheinung überhaupt davonlaufen? War es grundsätzlich denkbar, dass ein Geist sich im Tempel des Herrn, noch dazu beim Räucheraltar, aufhalten konnte? Hätte die Heiligkeit Gottes das nicht verhindert? Oder war dies womöglich …

Im Gegensatz zum panischen Zacharias wissen wir, falls wir ein wenig in den biblischen Überlieferungen bewandert sind, dass dort ein Engel stand, denn diese Geschichte haben schon andere erzählt, von Mund zu Mund und später aufgeschrieben in Schriftrollen, und noch viel später sogar in Büchern und – was Zacharias wie Hexenwerk hätte vorkommen müssen – heutzutage in Form von Nullen und Einsen, aus denen vor dem Auge des Betrachters dann auf Knopfdruck Worte auf einem Bildschirm entstehen. Schon die Beschreibung eines Bildschirmes hätten Zacharias und Elisabeth am gesunden Verstand des Beschreibenden zweifeln lassen. Heute dagegen zweifelt mancher am gesunden Verstand des Erzählers, wenn der von einem Engel zu berichten weiß. Die Zeiten ändern sich, und mit ihnen das, was vorstellbar oder vernünftig zu sein scheint.

Anne Charlotte of Lorraine as Abbess of RemiremontRauschgoldengel mit blondgelockter Mähne in güldenen Gewändern, oder kleine nackte Buben mit Flügeln am Rücken, die in der Weihnachtszeit eine hölzerne Krippe bayerischer Bauart oder sonst etwas umschwirren … so etwas war dem alten Zacharias genauso unbekannt wie die Weihnacht an und für sich. Er kannte Überlieferungen von Engeln, die in Menschengestalt zu Besuch kamen, so bei Abraham vor etlichen Jahrhunderten; Abraham kam zwar auf die Idee, es nicht mit Männern, sondern mit himmlischen Wesen zu tun zu haben, aber andererseits ließ er eine köstliche Mahlzeit auftischen. Ober bei drei jungen Männern, die in einem Feuerofen hingerichtet werden sollten; ein Engel stand ihnen bei und bewahrte sie; auf die Zuschauer wirkte der himmlische Bote wie ein vierter Jüngling.

Doch wir sollten hier keine Zeitsprünge hin und her machen, sondern wir sind und bleiben im Damals, im Tempel, in der Kammer mit dem Räucheraltar. Zacharias starrte die Gestalt an und wusste nicht, was tun.

Der Engel ahnte wohl, dass dem Zacharias, der nicht mehr der Jüngste war, jeden Moment vor lauter Angst der Kreislauf versagen konnte. Also versuchte er zuerst einmal, den Mann zu beruhigen: »Fürchte dich nicht, Zacharias.«

Der Angesprochene beruhigte sich keineswegs. Jeder böse oder gute Geist konnte ihn schließlich so anreden, um sein Vertrauen zu erschleichen. Mit einem »fürchte dich nicht« war noch lange nicht geklärt, ob da ein Teufelswesen oder ein Engel Gottes neben dem Räucheraltar stand. Eventuell ja auch nur ein Mensch, der Arges im Schilde führen mochte?

»Dein Gebet ist erhört worden«, fuhr der Engel fort, »und deine Frau wird einen Sohn zur Welt bringen, der dann Johannes heißen wird.«

Zacharias hörte zu, obwohl er meinte, sich verhört zu haben. Von erhörtem Gebet konnte eigentlich nur ein gutes Wesen sprechen, das war einigermaßen beruhigend, aber gleichzeitig offenbarte sich in den Worten eine erschreckende Ahnungslosigkeit bezüglich der menschlichen Fortpflanzungsfähigkeit im fortgeschrittenen Lebensalter, von Elisabeths Unfruchtbarkeit seit ihren jungen Jahren ganz zu schweigen.

»Du wirst«, fuhr der himmlische Bote fort, als wäre er durch die misstrauisch zweifelnde Mine des Priesters, die jedenfalls keine übersprudelnde Freude über diese Nachricht ausdrückte, etwas irritiert, »eine Menge Freude an dem Jungen haben, und auch andere Menschen werden über ihn jubeln. Er wird einer der ganz Großen vor dem Herrn sein, vom Mutterleib an mit heiligem Geist erfüllt. Daher wird er übrigens keinen Wein oder andere alkoholische Getränke trinken wollen. Viele Menschen deines Volkes werden durch ihn den Weg zurück zu einer Beziehung mit Gott finden.«

Zacharias war, das wissen wir ja bereits, ein sehr frommer Mensch. Er war ein Priester, der seinen Beruf als Berufung verstand, nicht als eine von mehreren Möglichkeiten, sein Brot zu verdienen. Nein, er meinte es ernst, er glaubte an Gott. Daher war ihm diese Lobeshymne auf seinen nicht existierenden Sohn und das Wiederherstellen von menschlich-göttlichen Beziehungen ganz sympathisch. Allerdings blieb er skeptisch, denn die erfreuliche Voraussage hatte ja einen Haken, einen ziemlich widerspenstigen sogar. Seine liebe Frau hatte in ihren fruchtbaren Lebensjahren nicht schwanger werden können, und nun war es ganz einfach zu spät dafür. Viel zu spät.

Der Engel, offenbar keiner von der wortkargen Sorte, ließ sich derweil nicht aufhalten in seiner Rede. »Dein Sohn wird wie damals Elia mit bemerkenswerter Kraft und im Geist Gottes wirken. Die Kinder und die Eltern wird er miteinander versöhnen, den Ungläubigen wird er aufschließen können, wie klug die Gerechtigkeit Gottes ist. Er wird das ganze Volk vorbereiten.«

Vorbereiten? Worauf? Im Grunde war das zweitrangig, denn nach wie vor stand ja keine Schwangerschaft zu erwarten. Vielleicht hatte der Engel sich in der Adresse geirrt? Oder – da atmete Zacharias innerlich auf – er sprach nur bildlich von einem Sohn. Es konnte ja ein Jugendlicher in Frage kommen, der wie ein Sohn von Zacharias gelehrt und erzogen wurde. Das musste wohl die Lösung für das große Rätsel sein. Andererseits hätte der Bote Gottes dann nicht eher von einem Jünger, einem Schüler sprechen sollen?

Als er nun endlich selbst zu Wort kommen konnte, fragte der Priester zunächst das Naheliegende: »Woran soll ich denn erkennen, dass diese Prophetie stimmt? Meine Frau ist betagt, und ich bin auch nicht mehr der Jüngste. Oder ganz einfach ausgedrückt: Wir sind alt. Zu alt.«

Als hätte er es am Anfang vergessen, stellte sich der Engel nun endlich vor: »Ich bin Gabriel, der vor Gott steht.«

Zacharias erschrak. Wenn das stimmte, dann hatte er es mit einem der ganz großen Fürsten unter den Engeln zu tun. Solch einem Wesen kam man vielleicht besser nicht mit Fragen und Widersprüchen … aber nun war es ja zu spät.

»Und ich bin gesandt, um mit dir zu reden«, erklärte Gabriel. »Ich habe den Auftrag, dir das, was ich gesagt habe, zu verkündigen. Und nun achte auf meine Worte: Du wirst verstummen und nicht mehr reden können, weil du meinen Worten nicht geglaubt hast. Was ich gesagt habe, wird in Erfüllung gehen. Wenn es dann soweit ist, wirst du auch nicht mehr stumm sein.«

Zacharias, selbst wenn er es gewagt hätte, konnte nicht mehr widersprechen, weil er tatsächlich seiner Stimme verlustig gegangen war, von einer Sekunde auf die nächste. Hätte er sonst zu seiner Verteidigung darauf hingewiesen, dass Gabriel sich ja ruhig zuerst hätte vorstellen können? Vermutlich nicht, denn ein solch hochgestellter Engel war nun mal ein Bote Gottes, und was Gott tat oder durch seine Gesandten sagte, musste der Mensch weder kommentieren noch in Frage stellen.

Die Menschen draußen wunderten sich unterdessen bereits, dass der Räucherdienst an diesem Tag so ungewöhnlich lange dauerte. Sie murmelten und tuschelten, denn die vorgeschriebenen Gebete waren längst gesprochen. Eigentlich hätte man nachschauen müssen, ob der alte Zacharias womöglich einen Schwächeanfall erlitten hatte, aber der Zutritt zum Räucheraltar war ausschließlich Priestern vorbehalten. Es gab genug Geschichten von Menschen, die tot umgefallen waren, weil sie sich unbefugt auf verbotenes, auf heiliges Gebiet gewagt hatten. Keiner wäre freiwillig in den Raum gegangen, selbst wenn darin ein bewusstloser Zacharias liegen mochte, und vielleicht lebte er ja auch gar nicht mehr?

Dann erschien der Priester, endlich, ein Blick in sein Gesicht genügte, um zu wissen, dass irgend etwas Ungewöhnliches vorgefallen sein musste. Er sprach kein Wort, winkte, machte Zeichen mit der Hand. Die meisten Menschen waren sich relativ schnell einig: Er muss wohl ein Gesicht gesehen, eine Vision gehabt haben. Er schien, abgesehen davon, dass er offenbar stumm bleiben wollte oder musste, gesund zu sein. Sein Winken deutete man schließlich als Ersatz für die normalerweise übliche segnende Verabschiedung. Die Gebete waren gesprochen, der Priester hatte geräuchert, und das Volk ging nach Hause.

Zacharias blieb noch, denn seine Dienstzeit war mit dem Räuchern nicht beendet. Er war nicht nur fromm, sondern auch gewissenhaft, und die Begegnung mit einem Engel änderte schließlich nichts an den festgesetzten Zeiten und seinen Aufgaben. Erst zur üblichen Stunde ging er dann nach Hause zu seiner Frau.

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Fortsetzung folgt

P.S.: Das Bild hat ein Herr Bernard Verschooten gemalt. Na ja.

Montag, 17. Oktober 2011

Moderne Psalmen 8: Söhne Mannheims

Ich verstehe jeden Zweifel, schätze jeden Glauben hoch. Auch ich misstraue Übereifer. Es sei am besten jeder froh mit dem was er glaubt, oder mit dem was er weiß.  Doch der an den ich glaube, ist auch der den ich preis'.

Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.

Ich versuche zu verstehn, was andere in Dir sehn; warum sie Kriege anfangen und in deinem Namen Morde begehen;  warum sie Menschen dazu zwingen, an einem Virus zu sterben. 2000 Jahre nach Dir liegt hier alles in Scherben!

Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.

Vergib mir meine Schuld, dann wenn ich Dich seh. Solange trag ich meine Sünden, wenn ich schlaf und wenn ich geh. Ich will keine Versprechen, die mir Menschen geben, die sie dann wieder brechen, so sind Menschen eben! Alles was zählt, ist die Verbindung zu Dir, und es wäre mein Ende, wenn ich diese Verbindung verlier!

Vielleicht hör'n sie nicht hin? Vielleicht seh'n sie nicht gut?
Vielleicht fehlt ihnen der Sinn? Oder es fehlt ihnen Mut.

Freitag, 14. Oktober 2011

Italienische Erlebnisse /// Die Untote auf dem Trümmerhaufen

Es begab sich aber zu der Zeit, als die Abreise nahte, dass wir uns einen Tag am Meer gönnen wollten. Großstadtgetöse, Ruinen, erhabene Bauwerke, großzügig angelegte Parkanlagen und pittoreske Gassen hatten wir drei Tage lang genussreich durchstreift. Da Wetter geizte weiterhin nicht mit Sonne und Sommerhitze, obwohl auch in Italien der Kalender bereits seit Tagen auf Oktober geblättert worden war.

Auf Fiumicino fiel unsere Wahl, aus praktischen Erwägungen. Dort angekommen befanden wir uns dann in einer Welt, die hervorragend als Inspiration für einen Horrorfilm oder ein Buch jener Art, die man vor dem Schlafengehen lieber nicht zur Hand nehmen sollte, taugen würde. Nichts ist in dieser kleinen Stadt, was es zu sein scheint und ein Entrinnen ist so einfach nicht.

Ein Bus hatte uns vom Flughafen in den Ort transportiert, im Vorbeifahren sahen wir entlang der Hafenpromenade zahlreiche Restaurants mit schmucken Tischen und Stühlen im Freien, freuten uns schon darauf, am späten Nachmittag dort irgendwo Platz zu nehmen und vor der Rückkehr zum Flughafen eine letzte gemütliche Mahlzeit der italienischen Variante einzunehmen. Bis zum Abflug kurz nach 22 Uhr blieb eine Menge freie Zeit.

Wir spazierten zunächst auf die Mole hinaus, vorbei an Fischerbooten, zum Trocknen ausgelegten Netzen und zahlreichen Anglern. Die Sonne schien, die Temperatur lag bei 30 Grad im Schatten. Das Meer, so hofften wir, würde uns ein wenig Abkühlung bringen, falls es in der Nähe irgendwo einen Strand geben sollte.

Von der Spitze der Mole aus war jedoch erkenntlich, dass vor der Stadt ausschließlich Felsen und Steine das Wasser vom Land trennten. Jedoch lag ein gutes Stück entfernt, wir schätzten zu Fuß dreißig oder 40 Minuten, gelb und grün schimmerndes Ufer. Ob dort Menschen waren, Badende womöglich, war aus der Entfernung nicht zu erkennen. Zwischen uns und den vielversprechenden Uferabschnitten lag ein Industriegelände.

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Der Weg von der Mole zum anvisierten Ziel war schattenlos und mühselig. Um das industrielle Areal zu umgehen, war ein gehöriger Umweg notwendig. Wegen der Felsbrocken am Ufer war eine Wanderung am Meer entlang mangels eines Weges ausgeschlossen. Doch gut zu Fuß, wie wir nun einmal sind, hatten wir nach rund vierzig Minuten an den übermannshohen Mauern und den mit Sichtblenden versehenen Toren entlang das Gelände umrundet. Was mochte dort, so sorgsam vor jedem Blick geschützt, vor sich gehen? Wurden in den hoch emporragenden, fensterlosen runden Bauten gefangengenommene Touristen gefoltert oder zu medizinischen Versuchen missbraucht? Oder war dies ein militärisches Objekt? Beschildert war nichts, eigentlich ungewöhnlich in einem Land, in dem jede Firma ihren Namen so groß wie möglich an Fassaden und auf Plakaten zur Schau stellt. Zu gerne hätte ich einen Blick auf das Verborgene geworfen …

Vor uns lag nun der Strand, der aus der Ferne so verlockend ausgesehen hatte. Eine geschwungene Bucht. Sand gab es, allemal, aber auch jede Menge Dreck, Müll und Gerümpel. Zerrissene, verschmutzte Decken und Kleidungsstücke, Getränkedosen und -flaschen, Hausrat vom löchrigen Eimer über zerschlagenes Geschirr bis zu ihrer Beine beraubten Sitzmöbeln. Ein gebrauchtes Kondom zwischen weggeworfenen Taschentüchern und Speiseresten. Holzplanken, Trümmer undefinierbarer Herkunft, verbogene und löchrige Sonnen- sowie Regenschirme. Wir spazierten, die Füße von den angenehm warmen Wellen des Meeres umspült, fassungslos die Müllhalde entlang. Mal eine weggeworfene Flasche oder eine vergessene Decke - das wäre ja noch angegangen, aber dieser Strand war mit Unrat übersäht. Und dazwischen, auf von der Sonne gebleichten Baumstämmen oder sonstigen gerade paraten Unterlagen, saßen hier und dort die Strandbesucher. Herren überwiegend, nur eine Dame war zu sehen. Man genoss hier - was mich noch nie und nirgends gestört hatte - den Aufenthalt textilfrei, was uns in diesem Fall insofern entgegenkam, als wir vergessen hatten, die Badebekleidung vor der Deponierung des Gepäcks am Flughafen aus selbigem zu nehmen.

Wir hatten die Bucht rund zur Hälfte hinter uns gelassen, als wir ein verhältnismäßig wenig von Dreck und Müll übersätes Fleckchen fanden. Ein Baumstamm bot notdürftig Platz zum Sitzen, also entledigte ich mich kurz entschlossen meiner Kleidung und begab mich zur raschen Erfrischung in das kristallklare Wasser. Wir waren inzwischen mehr als eine Stunde zu Fuß in der Mittagshitze unterwegs gewesen - das Bad war wohltuend. Allerdings war die Stelle, da weit und breit nur Männer zwischen dem Müll saßen, die nichts zu tun hatten als uns zu beobachten, für die beste aller Ehefrauen eher ungeeignet, um sich ebenfalls zu erfrischen. Ich ließ meine Haut in der Sonne auf dem Baumstamm sitzend trocknen, zog mich wieder an und wir gingen auf der Suche nach einer Badestelle, die weniger mit einem Präsentierteller gemein hatte, weiter am Strand entlang dem Ende der Bucht entgegen. Es schien dort, aus der Entfernung betrachtet, so etwas wie ein Café zu geben, jedenfalls ein Gebäude direkt am Wasser, womöglich konnte man dort ja Getränke erwerben.

Das Gebäude erwies sich als Ruine, eingezäunt, mit handgeschriebenen Schildern dekoriert, die darüber aufklärten, dass dies Privatgelände und das Betreten verboten sei. Hinter einer Lücke im Zaun saß eine Frau auf einem Klappstuhl, eine Zeitschrift in der Hand, die sie zu lesen schien. Jenseits des eingezäunten Gebietes, an dem man nur schwimmend vorbeigekommen wäre, da der Zaun bis in das Wasser hinein reichte, war nun eine weitere Bucht mit Sandstrand zu erkennen, die einen etwas saubereren Eindruck erweckte. Um dort hin zu gelangen, war ein - den Schildern gemäß verbotenes - Durchqueren des Besitztums notwendig, das die Frau of dem Klappstuhl, obwohl sie uns bisher keines Blickes gewürdigt hatte, wohl bewachte. Scusi ..., versuchte die beste aller Ehefrauen die Aufmerksamkeit der Dame zu erwecken. Signora? Scusi! Keine Reaktion. Schlief die Dame? War sie gar keine Dame sondern eine Leiche? Bleich genug sah sie aus, trotz der Sonne, in der sie wer weiß wie lange schon saß. Vorsichtig setzten wir einen Fuß auf verbotenes Terrain. Es waren ja nur 20 Schritte zum Loch im Maschendrahtzaun auf der anderen Seite. Da wir auf dem ersten Meter weder erschossen, noch von einer geifernden Bestie aus dem Hinterhalt angefallen wurden, schlichen wir uns so schnell wie möglich an der Schlafenden oder Leiche oder Außerirdischen vorbei und atmeten auf, als wir auf dem Sand der nächsten Bucht standen.

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Auch hier gab es vereinzelt Sonnenhungrige, allerdings mit Badebekleidung, vom baren Busen einer jungen Dame einmal abgesehen, aber andererseits so viel Platz zwischen den Besuchern, dass man sich relativ unbeobachtet fühlen konnte. Unrat und Müll waren hier deutlich reduziert. Eine halbe Tischplatte diente uns als Sitzgelegenheit und nun konnte auch die beste aller Ehefrauen die Labsal des Eintauchens in die Meeresfluten genießen.

Zurück zur Ortschaft Fiumicino auf dem gleichen Weg? Nein, nicht noch einmal durch das verbotene Grundstück an der mittlerweile womöglich erwachten Leiche vorbei und dann über die Müllhalde zum rätselhaften Industrieobjekt. Ein Stück voraus gab es ein paar Häuser, also vermutlich auch eine Straße nach Fiumicino. Zu unserer großen Freude barg eines der Gebäude eine Bar mit einem kleinen schattigen Hof, in dem Tische und Stühle zum Verweilen einluden. Mehrere Männer spielten Karten, lautstark und offenbar mit großem Vergnügen, an einem anderen Tisch diskutierten andere Männer Gewichtiges, den Minen und erhobenen Stimmen nach zu urteilen. Italienische Frauen sind vermutlich eher zu Hause zu finden als an Stränden oder in Bars. Wir erfrischten uns nun auch inwendig mit gut gekühltem Trunk und strebten dann durch menschenleere Dorfgassen der vermuteten Straße zu, die uns zurück nach Fiumicino führen sollte. Es gab sie tatsächlich, und an einer notdürftig als Bushaltestelle erkenntlichen Stelle warteten zwei oder drei Menschen. Natürlich war weit und breit kein Tabakladen zu sehen, in dem man hätte Fahrkarten erwerben können, dafür kam ein Bus in Sicht und hielt. Wir stiegen, nachdem der Fahrer versichert hatte, in die gewünschte Richtung unterwegs zu sein, zu und fanden im Bus einen Automaten vor, aus dem man Tickets ziehen konnte, was uns vor dem Verbrechen des Schwarzfahrens bewahrte.

Nun stand uns der Sinn nach der schon Mittags avisierten Mahlzeit. Jedoch: Das erste Restaurant war zu, die Tische und Stühle verwaist. Nicht weiter schlimm, es gab ja entlang der Kaimauer eine ganze Reihe von Gaststätten ... doch auch die zweite war geschlossen, ebenso die dritte und alle weiteren. Um 17:30 Uhr konnte man in Fiumicino nicht essen gehen. Um 17:45 auch nicht. Um 18:00 immer noch nicht.

Nichts war an diesem Tag, an diesem Ort aus der Nähe betrachtet so, wie es aus der Distanz zu sein schien. Müllhalden statt Badestände, eine leblose Ruinenbewacherin mitten im Schutt, Restaurants, deren Tische mit Gläsern und Servietten dekoriert nur Kulisse waren ... also lautete unser Beschluss: ab zum Flughafen, dort würden wir sicher noch vor dem Besteigen der Maschine nach Berlin etwas essen können.

Doch Fiumicino wollte uns so einfach nicht aus seinen Fängen lassen. Die Suche nach einer Bushaltestelle, an der man die Linien und ihre Ziele hätte ablesen können, war vergebens, Taxis nicht zu sehen. Dass uns der Bus in Richtung Aeroporte, den wir schließlich bestiegen, an einen anderen Ort als den gewünschten brachte, hatte ich bereits im vorigen Bericht erzählt.

Was als Erinnerung an Fiumicino bleibt: Kristallklares Wasser, erfrischendes Bad in den Fluten, herrliches Sommerwetter und trotz des tollen Tages am Meer das Gefühl, Darsteller in einem Film zweifelhaften Genres zu sein. Kafkaesk beinahe. Gar nicht schlecht, so im Nachhinein betrachtet. So etwas erlebt man ja nicht alle Tage.

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Dienstag, 11. Oktober 2011

Italienische Erlebnisse /// Verkehr und Verhältnisse

The streets of Rome are filled with rubble, ancient footprints are everywhere, dichtete einst Bob Dylan, dem die Stadt seinem Lied When I Paint My Masterpiece zufolge ausnehmend gut gefallen haben muss. Was Herr Dylan in den Zeilen des Textes bezüglich der Straßen Roms nicht erwähnt, ist der Verkehr - allerdings mag der seinerzeit auch noch etwas weniger chaotisch gewesen sein als heutzutage.

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Wir fragten uns gelegentlich, inwieweit Fahrschüler Verkehrsregeln kennen lernen, ob zum Beispiel zum Unterricht eine Belehrung darüber gehört, dass eine rot leuchtende Ampel zum Anhalten auffordert oder wozu Fahrbahnmarkierungen gut sind. Es mag natürlich sein, dass der Römer und die Römerin das zur Fahrprüfung beherzigen, im Alltag jedoch hat es dann keine Bedeutung mehr.

Wir schlenderten durch eine Fußgängerzone, eine enge Gasse, links und rechts Tische und Stühle der Cafés und Restaurants, unsere Augen und Aufmerksamkeit waren auf die malerische Szenerie konzentriert, als von hinten, ziemlich dicht hinten sogar,  eine Hupe ertönte. Zwei Motorroller schlängelten sich mit nicht unerheblichem Tempo durch die Fußgängermassen. Kurz darauf kam uns ein PKW entgegen, der Herr am Steuer trug Anzug und Krawatte und bedankte sich für das Platzmachen mit freundlichem Lächeln. Nun wussten wir, dass Fußgängerbereich bedeutet, dass man es mit etwas weniger Fahrzeugen zu tun bekommt als auf anderen Straßen und ließen uns durch die pittoresken Straßenszenen die Aufmerksamkeit nicht mehr zu 100 Prozent rauben.

Weiß irgend ein Mensch oder eine Behörde, wie viele Motorroller und größere Maschinen in Rom unterwegs sind? Angesichts des chronischen und flächendeckenden Staus auf den Straßen ist so ein Zweirad wohl das einzige Fortbewegungsmittel, mit dem die römische Bevölkerung halbwegs zügig ans Ziel gelangen kann. Alle tragen Helm, aber ansonsten ... das Mobiltelefon zwischen Schulter und Kinn eingeklemmt plaudern sie beim Fahren vergnügt, die Damen tragen sommerliche Kleider, T-Shirt zu Jeans oder gepflegte Bürogarderobe, auch bei den Herren ist die Erfindung von Nierengurt oder robuster Schutzbekleidung unbekannt. Die Aktentasche oder der Einkaufskorb stehen zwischen den Füßen der Rollerfahrer, es hängen auch mal Tüten am Lenker. Kinder halten sich an ihren Müttern, Vätern oder den Griffen unter dem Sitz fest, immerhin ebenfalls behelmt. So geht es in Schlangenlinien munter durch den Stau, auch auf der Gegenfahrbahn kommt man bei Platzmangel oft recht zügig voran, und wenn man von ganz links nach ganz rechts muss, verlässt man sich darauf, dass Busse, LKWs und Autos Bremsen haben.

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Ach ja, das Stichwort Bremsen. In der Nähe des Colosseum beobachteten wir eine Ungeheuerlichkeit. Über die theoretisch dreispurige Fahrbahn, auf der vier Spuren Autos und dazwischen noch Motorroller unterwegs waren, führte ein Zebrastreifen, an dem einige Menschen warteten. Ein Autofahrer hielt an - was ein wildes Hupkonzert auslöste. Sein Fahrzeug wurde umrundet, manch böser Blick ging in seine Richtung. Wie konnte er auch einfach mitten auf der Fahrbahn anhalten, zum Verkehrshindernis zu werden! Die Fußgängergruppe blieb natürlich wo sie war, alles andere wäre lebensgefährlich gewesen. Schließlich fuhr auch das stehende Auto wieder an und alles war gut.

Zum Überqueren einer Straße benötigt man neben Mut und Entschlossenheit ein verlässliches Gespür für das eigene Tempo im Vergleich zu den herannahenden Fahrzeugen. Im Gehirn laufen blitzschnelle Berechnungen ab: Reicht die Lücke bei ungebremstem Fahrzeug? Reicht sie wenigstens, falls der Fahrer den Fuß vom Gas nimmt? Ob die Fußgängerampel, so es eine gibt, grün leuchtet oder nicht, hat mit dem Seitenwechsel nichts zu tun. Wir wussten das als deutsche Touristen nicht und betraten - blauäugig - die Fahrbahn, als das grüne Männchen dazu einlud. Ein Pulk wild hupender Mopedfahrer schoss vor und hinter uns vorbei, eine fesche Dame auf ihrem Roller streifte uns beinahe. Immerhin waren wir dann so geistesgegenwärtig, nicht etwa stehen zu bleiben, sondern fürbass zu schreiten, allerdings nun mit gebotener Eile und Augen für den trotz roter Ampel für die Fahrzeuge fließenden Verkehr.

Vom Bus aus konnten wir das bunte Verkehrsgeschehen - soweit ein Busfenster im Sichtfeld war - fasziniert beobachten. Zwar haben die Busse Fenster, große Fenster, aber die Sache mit dem Hinausschauen hängt davon ab, wo man eingequetscht wird. Ich hielt die Fülle in der Berliner S-Bahn in den vergangenen Wintern, als wegen Schnee und Eis so gut wie alle Züge ausfielen, für schlimm, bis wir nun in Rom mehrmals täglich den öffentlichen Nahverkehr als Transportmittel nutzten. Die Fahrkarte kostet nur einen Euro, erwerben kann man sie dort, wo Zigaretten verkauft werden. Das Entwerten des Fahrscheines im Bus ist dann allerdings häufig unmöglich, weil die Fahrgäste sich irgendwie noch in den Einstieg zwängen können, aber ein Durchkommen bis zum Automaten ist ausgeschlossen. Ganz vorbildliche Italiener reichen ihre Fahrkarte über die Köpfe hinweg in Richtung Entwerter und tatsächlich finden sich dann hilfsbereite Quetschgenossen, die das Wertpapier weiterreichen, entwerten und auf den Weg zurück zum zahlungswilligen Menschen bringen.

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In den Zügen dagegen kann man Fahrkarten nicht entwerten, das muss man am Bahnhof vor dem Einsteigen tun. Die Station Tiburtina, an der wir einmal die Eisenbahn bestiegen, war eine große Baustelle - weit und breit kein Automat zum Abstempeln der Billets in Sicht, weder vor, noch im Gebäude, auch auf dem Bahnsteig nicht. Wir stiegen trotzdem zu, denn bezahlte Fahrkarten hatten wir ja bei uns. Kurz vor dem Zielbahnhof erschien dann ein Herr mit amtlicher Uniform am Leib, dem die Aufgabe der Kontrolle schon von weitem anzusehen war. Er musterte stirnrunzelnd unsere ungestempelten Fahrkarten und machte dann mit Gebärdensprache, da er des Englischen nicht mächtig war, deutlich, dass er mit dem Anblick unzufrieden sei. Wir wiederum waren im Italienischen nicht bewandert, abgesehen von Floskeln des Alltags und klärten ihn in mustergültigem Englisch über die Zustände an unserem Einstiegsbahnhof auf. You can punch them now, versicherten wir ihm. Er kramte umständlich einen Zettel aus seiner Tasche, auf dem in fünf Sprachen zu lesen war, dass wir nun pro Person 50 Euro zu bezahlen hätten, weil die Fahrtausweise bei Antritt der Fahrt nicht ordnungsgemäß entwertet worden waren. Ich schüttelte den Kopf. No, Sir, we paid for the tickets, you may do the punching now, or whatever it takes to satisfy you. Er antwortete in seiner Muttersprache und wies mit strengem Zeigefinger auf den Zettel in seiner Hand. Ich widersprach erneut, die beste aller Ehefrauen erklärte ihm noch einmal das Fehlen jeder Entwertungsmöglichkeit am Bahnhof ... so ging es eine Weile hin und her. Schließlich steckte der Uniformierte frustriert seinen Zettel wieder ein und zog seines Weges, um vielleicht anderswo im Zug noch zahlungswillige Schwarzfahrer aufzutreiben, bevor wenige Minuten später der Endbahnhof erreicht war.

Wir sind es als Berliner gewöhnt, dass ein Bus das Ziel hat, das an seiner Stirnseite abzulesen ist. Es erwies sich als trügerisch, in Italien darauf zu vertrauen. Gewisse Zweifel waren uns bereits gekommen, als wir in Rom mit den Bussen unterwegs waren, aber unsere Stammlinie 60 fuhr - je nach Straßenseite der Haltestelle - in die gewünschte Richtung zum Hotel beziehungsweise ins Stadtzentrum, egal was vorne am Bus zu lesen war (falls die Anzeige nicht leer war). Mit einem Bus waren wir am letzten Reisetag vom Flughafen Leonardo da Vinci, wo wir unser Gepäck deponierten, in den am Meer gelegenen Ort Fiumicino gefahren. Von diesem Ort soll in einem späteren Bericht noch die Rede sein. Nach einem Nachmittag am Strand einschließlich Badevergnügen im angenehm temperierten Meer und dem vergeblichen Bemühen, in Fiumicino eine Mahlzeit in einem der zahlreichen Restaurants zu erwerben, wollten und mussten wir zurück zum Flughafen. Die Haltestelle auf der gegenüberliegenden Straßenseite der Haltestelle, an der wir ausgestiegen waren, schien uns der geeignete Platz zu sein, auf einen Bus zu warten. Fahrpläne oder Übersichten über die hier verkehrenden Linien gab es nicht. Schließlich rollte ein Bus heran, auf dessen Stirnseite uns erfreulicherweise Aeroporte entgegen leuchtete. Die Fahrscheine, die man uns im Tabakladen verkauft hatte, gehörten allerdings zu einem anderen Busunternehmen oder waren sowieso keine Busfahrkarten - ein Entwerten am Automaten war unmöglich, da das Format falsch war. Egal, dachten wir, wir haben bezahlt und es sind ja nur zwei oder drei Stationen. Im Verneinen der Erklärungen eines Kontrolleurs waren wir ja mittlerweile geschult, falls es dazu kommen sollte. Der Bus fuhr los und weiter und weiter ... nach Rom. Ein freundlicher Fahrgast erklärte auf Nachfrage, dass der Flughafen keineswegs auf der Strecke dieser Linie lag. Die Freundlichkeit und Hilfsbereitschaft der Italiener bewies sich erneut und auf der Stelle. Der Mann erkundigte sich bei anderen Fahrgästen und konnte uns dann sagen, an welcher Station wir in einen Zug zum Flughafen einsteigen konnten. Ein Tabakgeschäft war nicht in Sicht. Natürlich gab es auf dem Bahnhofsgelände keinen Schalter oder Automaten für Fahrscheine. Ich streckte den Kopf durch eine dienstlich anmutende Tür und fragte den Bahnbediensteten, der dort an einem Computerpult saß: Where can we buy train tickets, please? Er erklärte: To the right, leave the station, then turn left, there is a bar. Eine Bar statt einer Tabaccheria? Meinetwegen, dachte ich, fragte aber noch mal nach. Der Bahnhofsaufseher lächelte, stand auf und meinte follow me, worauf er uns bis zur Bar geleitete. Zwielichtige Gestalten tranken daselbst dieses oder jenes, beäugten uns, die wir als Touristen wohl leicht zu erkennen waren, interessiert. Es gab tatsächlich neben Schnaps, Wein und Bier auch Fahrkarten. Die Zeit reichte sogar noch, diese auf dem Bahnsteig ordnungsgemäß abzustempeln, bevor der Zug, der dann tatsächlich wie auf der Anzeigetafel versprochen zum Flughafen unterwegs war, mit uns an Bord abfuhr.

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Samstag, 8. Oktober 2011

Italienische Erlebnisse /// Die Freundlichkeit von Fremden

Der Flug verlief angenehm, die Ankunft am Fiumicino Flughafen gegen 8 Uhr morgens ebenso und auch der Zug in die Stadt war schnell gefunden und bestiegen. Am Zielbahnhof wollten wir einen Bus zum Hotel nehmen, für die letzten 6 Kilometer. Jedoch: Streik bei den Busfahrern und der U-Bahn.

Das schlaue Mobiltelefon gab über die Fußgängernavigation Auskunft, wie das Hotel in rund 60 Minuten zu erreichen wäre – und da wir gut zu Fuß sind und beide nur je eine Tasche als Handgepäck mithatten, beschlossen wir, in den Vormittag hinein zu wandern und auf dem Weg schon einmal Rom ein wenig kennen zu lernen. Ein leicht mulmiges Gefühl war allerdings dabei, da der Akku des Telefons halb entladen und die Navigation als Stromfresser bekannt war. Dennoch liefen wir los, in der Annahme, jederzeit ein Taxi finden zu können, falls uns der Weg zu lang werden oder der Strom ausgehen sollte.

image Rom präsentierte sich dort, wo wir unsere Wanderschaft begannen und fortführten, nicht von einer präsentablen Seite. Müll und Schmutz wohin man auch blickte, Lärm von Baustellen und dem uns noch ungewohnten Straßenverkehr, Bürgersteige, die plötzlich endeten und uns zwangen, die Fahrbahn zu begehen … aber tapfer hielten wir durch, obwohl die Hitze merklich zunahm.

Die Navigation führte uns in eine recht verlassene Gegend, eine Brücke wäre zu überqueren gewesen – jedoch erwies sich das als unmöglich. Der Zugang war Privatgelände, eingezäunt. Ein aufmerksamer Bewohner belehrte uns, dass an dieser Stelle finito sei, keinesfalls könne man an den Brückenaufgang gelangen. Noch etwas skeptisch umrundeten wir das eingezäunte Gebiet, um dann mit eigenen Augen zu sehen, dass tatsächlich alles abgesperrt war.

Mittlerweile waren wir über eine Stunde unterwegs, durstig, verschwitzt (die Temperatur hatte sich auf rund 28 Grad im Schatten eingepegelt) und nun mussten wir ein gutes Stück zurück gehen, um über eine größere Straße zu einer anderen Brücke zu gelangen. Als wir die Straße erreichten, verabschiedete sich das Mobiltelefon, da der Akku nun so leer war wie der Hundenapf nachdem Max, der in Berlin geblieben war, sich bedient hat. Immerhin wussten wir noch, in welche Richtung wir zu gehen hatten.

Straßen ohne Gehweg, Staub, Durst, das Gepäck mit jedem Schritt schwerer – nach 90 Minuten Wanderung war uns klar, dass nur noch ein Taxi helfen konnte. Jedoch: Es war keines zu sehen, nirgendwo, so lange wir auch weiter wanderten. An einer Tankstelle baten wir schließlich darum, uns ein solches zu rufen. Der Tankwart wusste zwar die Telefonnummer, aber er hatte wohl kein Telefon oder wollte es nicht benutzen. Mangels Strom im eigenen Telefon kam ein Anruf sowieso nicht in Frage, abgesehen davon, dass wir keine Ahnung hatten, wo wir uns befanden und wie wir das dem Taxifahrer erklären sollten. Ein Kunde an der Tankstelle kramte sofort sein Telefon aus der Tasche und bemühte sich längere Zeit, uns behilflich zu sein, aber er bekam keinen Anschluss über das Funknetz. Schließlich riet er uns, etwa 50 Meter weiter in einer Bar zu fragen.

Der Barkeeper war sofort und ohne Umstände hilfsbereit. Sein Festnetztelefon funktionierte, aber er bekam über mehr als 20 Minuten nur immer den Hinweis zu hören, dass es keine freien Taxis in der Region gäbe. Kein Wunder eigentlich, da ja Bus und U-Bahn streikten. Unverdrossen probierte er es weiter, unterhielt sich mit mehreren Kunden über unsere Angelegenheit und versicherte uns immer wieder: We will take care of your problem!

Soweit ich es mitbekam, gelang es schließlich einem der Barbesucher, über sein Mobiltelefon einen Freund zu erreichen, der sich in Bahnhofsnähe befand und von dort aus auf unerforschliche Weise einen Taxifahrer bewegen konnte, in der Bar anzurufen. Freudestrahlend verkündete unser freundlicher Barkeeper schließlich: Your taxi will be here in 20 minutes!

Wir bedankten uns herzlich und warteten dann, den Durst einigermaßen gestillt, vor der Bar. Nach einer Weile, die den 20 Minuten noch recht ähnlich war, fuhr tatsächlich ein leeres Taxi heran, allerdings hielt es nicht bei der Bar, sondern fuhr in die Tankstelle. War das doch nicht unser Wagen? Egal, dachten wir, es ist ein Taxi ohne Fahrgäste, also los! Der Fahrer stieg aus und kam uns entgegen – I didn’t find the bar, but this is your car.

imageDie Adresse unseres Hotels, Via Cilento, war dem Fahrer unbekannt. Er kramte seine Lesebrille aus dem Handschuhfach, um unseren Zettel mit der Anschrift des Hotels zu studieren. Er unterhielt sich anschließend mit seiner Zentrale und hatte dann wohl eine ungefähre Ahnung, wohin er fahren musste. Mit rund 60 Stundenkilometern ging es dann ab in den Verkehr, der an sich schon beunruhigend war. Als der Fahrer, ohne abzubremsen oder gar anzuhalten, seine Lesebrille aufsetzte, einen Stadtplan auf dem Lenkrad deponierte und eifrig die Via Cilento suchte, war der Moment für mich gekommen, nach dem Haltegriff über der Tür zu greifen und diesen bis zum Ziel nicht mehr loszulassen.

Wer noch nicht in Rom unterwegs war, kann sich vermutlich den Verkehr nicht vorstellen. Es gelten keine Regeln, sondern Geschicklichkeit ist Trumpf, tausende von Motorrollern schlängeln sich – gerne auch auf der Gegenfahrbahn – zwischen den Autos durch, Zebrastreifen sind lediglich Ornamente, damit der Asphalt nicht so eintönig aussieht, auch eine Ampel, die für die Fußgänger grün zeigt, hat keine Bedeutung. Es gibt kaum einmal ein Auto zu sehen, das keine Beulen und Kratzer hat, auch neue Modelle zeigen an den Kotflügeln und Stoßstangen, dass ihre Fahrer sich bereits durch Rom bewegt haben. Unser Taxi kam allerdings ohne Rempelei schließlich vier Stunden nach der Landung in der Nähe unseres Hotels an, und wir stiegen glücklich und erschöpft aus.

Die Freundlichkeit von Fremden hatte uns geholfen, als wir rat- und kraftlos schon am ersten Vormittag in Rom in einer Bar gestrandet waren. Die italienische (oder römische) Hilfsbereitschaft sollten wir in den nächsten Tagen noch mehrfach erleben.

Sonntag, 2. Oktober 2011

Pause

Der Blogger macht Urlaub, auch vom Bloggen, und sagt: Bis demnächst. Gehabt euch alle wohl!

Samstag, 1. Oktober 2011

A

Grafik via wordle.netAm Anfang ahnte Anton Aufstiegschancen. Aufgaben anderer Angestellter annektierte Anton als Arbeitsgebiet, allen Anschein artiger Anstrengung als anstehender Abteilungsleiter aufrechterhaltend.

Andrea andererseits achtete allezeit auf Ausgleich. Arbeitsam, aber auch auf Anzeichen anschwellender Anspannung achtend; aß Ananas als Aufbaukost, ausgleichende Abendgymnastik anwendend, anmutiges Aussehen anstrebend.

Als Analysen anstanden, arbeiteten alle Angestellten angestrengt. Allerseits argwöhnten aufgeregte Arbeitnehmer: Analysten? Alles abgefeimte Arschlöcher!

Aalglatt antwortete Anton auf Ausfragungen; Ausreden aufzählend arrangierte Anton Andreas Abgang. Ach Anton! Arglistiger Angeber!

Andrea ahnte Antons abgrundtiefe Arglist. Arithmetische Aufstellungen, angepasste Absatsziele, aufgestockte Anforderungen, astronomische Ansprüche an Arbeitseifer ...  Abscheu abwehrend antwortete Andrea angepasst an Abläufe, achtete Anton aber andererseits als artverwandten Angefeindeten; artikulierte Antworten also achtungsvoll, Afterreden ausweichend, angemessenen Anstand aufrechterhaltend. Ach Andrea! Anständige Außenseiterin.

Andrea atmete auf, als anderntags alle Abbruch ankündigten.

Anton atmete angestrengt, abgrundtiefen Absturz ahnend.

Am Abend, als alle Analysen abgeschlossen, angewendet, ausgewertet am Aushang angepinnt Auskunft ankündigten, annonciert Analystenmund: Anton arbeitslos, Andrea Abteilungsleiterin.

Ach, allerliebster Ausgang ahnungsschwangerer Aufregungen!

Amen

Donnerstag, 29. September 2011

Zweifel

Man hat uns – nein, das wäre verallgemeinernd – man hat mir das Zweifeln schlechtgeredet. Schon als Kind, aber auch später noch. So lange, bis Zweifel automatisch Gewissensbisse auszulösen in der Lage waren. Sich davon wieder zu lösen, das Zweifeln schätzen zu lernen, ist so einfach nicht und auch nicht überall und jederzeit angebracht.

Als kleiner Junge zweifelte ich an der Ernsthaftigkeit mütterlicher Warnungen bezüglich Kerzenflammen, bis ich mir die Finger verbrannt hatte. Ich zweifelte auch daran, dass ein »Christkind«, auf unerforschliche Weise mit Paketen beladen durch Wände oder Decken gleitend, für die weihnachtliche Bescherung zuständig war.

Die Zweifel an der Mär vom Christkind waren berechtigt, die Zweifel bezüglich der brennenden Kerzen nicht.

Mit dem Wissen wächst der Zweifel.–Goethe

Kustaktion in Berlin 2005Es gibt manches im Leben, was nicht bezweifelt werden muss, da handfeste Tatsachen den Sachverhalt belegen. Das braucht nicht selbst ausprobiert werden, da reicht der Verstand. Ich muss nicht daran zweifeln, dass ein Sprung aus mehreren Metern Höhe gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Unzweifelhaft ist mir auch, dass die Fähigkeit, ein Fahrzeug sicher zu führen, mit zunehmendem Genuss alkoholischer Getränke abnimmt.

Jedoch: Solange ich Zweifel hege, ob das Urteil eines anderen Menschen über einen bestimmten Sachverhalt oder eine Person wirklich zutreffend ist, behalte ich die Möglichkeit, zu einem eigenen Schluss zu kommen – und dann gegebenenfalls mein eigenes Urteil wieder anzuzweifeln, sobald es Anlass dazu gibt.

Ohne Zweifel gäbe es kaum nennenswerte Entdeckungen. Wenn mich jemand, vorausgesetzt ich hätte vor mehreren Jahrhunderten gelebt, belehrt hätte, die Erde sei eine Scheibe, über deren Rand man zu fallen droht, wenn man zu weit hinaussegelt, dann wäre es nicht verkehrt gewesen, das Schiff mit gebotener Vorsicht dem Horizont entgegen zu steuern und zu überprüfen, ob es sich wirklich so verhält. Ist die Welt erst einmal umrundet, dann können andere von den Erfahrungen profitieren.

Voraussetzung für das Abenteuer ist, dass ich den Abgrund am Ende der Erdenscheibe bezweifle und Zeichen der Vernunft ist es, wenn ich die Reise mit Vorsicht unternehme.

Zweifel ist etwas anderes als Ablehnung, denn Zweifel lässt immer auch die Optionen offen, von denen man – einstweilen zumindest – noch nicht so recht überzeugt sein kann.

In den Fällen, in denen etwas verifizierbar ist, zum Beispiel die Unverträglichkeit einer Kerzenflamme mit menschlicher Haut, wird schließlich der Zweifel beseitigt.

Die Vernunft trägt dazu bei, dass ich nicht alles selbst ausprobieren muss. Einem Kind fehlt diese Vernunft noch, beim Erwachsenen sollte sie eigentlich in ausreichendem Maße zur Verfügung stehen.

Dem Kind wird erzählt, dass die Babys vom Storch herbeigeflogen werden, sogar in der Mercedes-Werbung im Fernsehen ist das ja zu sehen. Doch irgendwann werden Zweifel entstehen ... da ist ein dicker Bauch gewesen, nun ist er wieder dünn und ein Baby ist da ... merkwürdige Zufälle gibt es ... – das Erlebte führt das Kind, wenn es die elterlichen Worte bezweifelt, zu neuer Erkenntnis.

Der sprichwörtlich gewordene Zweifler Thomas nahm die Berichte seiner Freunde, der hingerichtete und begrabene Meister sei auferstanden, nicht für bare Münze. Er wollte sich schon lieber selbst davon überzeugen. Als Jesus dann in den Raum trat gab es keine Vorwürfe, sondern die Aufforderung: Reiche deinen Finger her und sieh meine Hände … und Thomas war zufrieden. Er konnte fortan mit wirklicher, tiefer Überzeugung von der Auferstehung erzählen. Sein Zweifel hatte ihn zum Glauben geführt. Jesus lobte bei dieser Gelegenheit zwar diejenigen, die nicht sehen und dennoch glauben, aber er kam dem Zweifelnden doch persönlich entgegen, um ihn zu überzeugen.

Wer Recht erkennen will, muss zuvor in richtiger Weise gezweifelt haben.  -Aristoteles

Zweifel kann nicht nur zur Gewissheit und neuen Erkenntnissen führen. Er kann gleichzeitig vor törichten Ansichten bewahren. In unserer Gesellschaft ist der Zweifel längst von seinem mittelalterlichen Makel befreit. »Im Zweifel für den Angeklagten«, gilt in unserem Rechtssystem. Moralische Werturteile werden bezweifelt und gegebenenfalls revidiert, niemand muss heute mehr seine homosexuelle Veranlagung verheimlichen, Frauen dürfen selbstverständlich berufstätig mit gleichen Chancen wie die Männer sein … manche Zeitgenossen bedauern das, andere finden es gut. Grundlage aller Veränderung ist jedoch der Zweifel: Gehört eine Frau wirklich ausschließlich an den heimischen Herd? Ist die Erde wirklich eine Scheibe?

Dennoch ist der Zweifel, vor allem in frommen Kreisen, verpönt. Das Zweifelverbot dient häufig dem Selbstschutz der organisierten Religion, denn wenn deren Strukturen und Hierarchien zum Gegenstand des Zweifels würden, dann wäre – das wissen die Amtsinhaber – ein Ende ihrer Herrschaft über andere Menschen, ihrer hochgehobene Stellung, nicht auszuschließen. Die »normalen« Gläubigen sollen das Gepredigte glauben, ohne es zu hinterfragen. So bleiben sie abhängig von ihren »Hirten«.

Einer der größten Zweifler in der Geschichte des Christentums war Martin Luther, seine Zweifel am Wahrheitsgehalt dessen, was die Kirche verkündete, brachten ihn zu der Überzeugung, dass es gut sei, die Bibel dem Volk zugänglich zu machen, damit sich jeder selbst davon überzeugen kann, ob ihm Unsinn vorgesetzt wird oder nicht.

Dass Luther selbst auch so manchen Unsinn verbreitet hat, sei ihm – wie allen Menschen – nachgesehen, denn wer von uns wäre fehlerfrei?

Manche Zweifel bleiben übrigens bestehen, finden keine Auflösung. Gerade der Glaube gehört zu den Bereichen in unserem Leben, bei denen weder Vernunft noch Erfahrung Zweifel zu beseitigen vermögen, weil sie hierfür untauglich sind. Im deutschen Bundestag hielt der Papst kürzlich eine hochinteressante Rede, in der er auch dieses Thema streifte. Er sagte: »Was nicht verifizierbar oder falsifizierbar ist, gehört … nicht in den Bereich der Vernunft im strengen Sinn. Deshalb müssen Ethos und Religion dem Raum des Subjektiven zugewiesen werden und fallen aus dem Bereich der Vernunft im strengen Sinn des Wortes heraus.«

Nicht verifizierbar und nicht falsifizierbar ist in weiten Teilen unser Verhältnis zu Gott, welche Bezeichnungen wir auch immer für ihn wählen mögen.

Dass der Glaube ins Subjektive gehören könnte, stört naturgemäß gerade diejenigen, die im Auftrag Gottes zu handeln und zu reden meinen und ihr Selbstwertgefühl darauf gründen, wie groß oder klein ihre »Gemeinde«, ihre »Kirche«, ihr »Glaubenswerk« oder ihr »Tempel« ist.

Zweifel an dem, was die »geistliche Obrigkeit« lehrt oder tut, wird auch heute noch, vor allem in einigen charismatisch-evangelikalen und in fundamental-islamischen Kreisen, nicht gestattet, wird mit Auflehnung gegen den Allmächtigen gleichgesetzt und flugs steht der zweifelnde Mensch, wenn er nicht klein beigibt, draußen vor der Tür.

Wohlgemerkt: Das gilt nicht überall. Es gibt gottlob auch Geistliche (aller Religionen), die erstens zugeben, nicht alles zu wissen und zu kennen und zweitens dem fruchtbaren Gespräch, auch wenn es konträre Meinungen gibt, gerne Raum geben.

Glaube denen, die die Wahrheit suchen, und zweifle an denen, die sie gefunden haben. -André Gide

Vorsicht ist immer dann geboten, wenn jemand keinen Zweifel an seinen Worten zulassen will, sei er nun Imam oder Pastor, Politiker oder Wissenschaftler.

Wenn Zweifel mit Unglaube, mit Rebellion gegen Gott gleichgesetzt wird, wird es gefährlich, denn dann ist, falls der versprochene Erfolg nicht eintritt, sofort klar, wer die Schuld trägt: »Wenn du genug/richtig geglaubt hättest, hätte Gott deine Situation geändert. Meine/unsere Lehre ist auf jeden Fall richtig, du bist selbst Schuld an dem Unglück.«

Wie schnell wirft dann ein Mensch, der von ganzem Herzen geglaubt und vertraut hat, der alles so richtig gemacht hat wie er nur konnte, der jeden Zweifel unterdrückt hat, der dann aber trotz alledem keinen »Erfolg« erlebt hat, in seiner Enttäuschung und seinem Schmerz gleich jeden Glauben an einen Gott in den Mülleimer. Das Resultat des verbannten Zweifels ist Verzweiflung, aber das theologische Lehrgebäude bleibt unerschütterlich stehen.

Die Gefahr liegt jedoch nicht darin, wie oder wer Gott ist, sondern darin, was Menschen über Gott – oder im Auftrag Gottes – zu sagen haben.

Selbst der meist auf den Glauben ohne Beweise pochende Apostel Paulus empfahl der Gemeinde in Korinth nachdrücklich, die Worte der Propheten erst einmal zu bezweifeln und sie einer gründlichen Prüfung zu unterziehen. Dabei sollte dann zwischen »echt« und »unsinnig« sortiert werden – was noch lange keine Kritik an den Propheten an und für sich bedeutete. Paulus wusste einfach um die Tatsache, dass auch ein Mensch mit prophetischer Begabung daneben liegen kann.

Natürlich können wir uns auch beim prüfen, beim Behalten oder Verwerfen, irren. Paulus verwarf, wie wir aus dem Bericht des Lukas in der Apostelgeschichte wissen, die Warnung einer Gruppe von Propheten, die ihm im Falle der Reise nach Rom Unheil voraussagten. Das Unheil in Form von Gefangenschaft ließ dann nicht auf sich warten. Womöglich hätte der Apostel noch viele Gemeinden gründen können, wenn er die warnenden Worte angenommen hätte.

Ich habe, nicht zuletzt aufgrund bitterer Erfahrungen, gelernt, den Zweifel auch im Bereich des Glaubens, bei Dingen, die nicht verifizierbar oder falsifizierbar sind, zu schätzen. Das versetzt mich in die Lage, nicht alles wissen und verstehen zu müssen, Postulate hinterfragen zu dürfen, Dingen auf den Grund zu gehen, soweit mir das möglich ist.

Denkverbote lasse ich nicht mehr gelten, was mir vorgedacht wird, denke ich lieber nach.

Zweifel und Glauben – ich meine, dass sie einander keineswegs ausschließen müssen, sondern eine gesunde Ergänzung darstellen können. Niemand muss (oder sollte) seinen Verstand ausschalten, seine Vernunft aufgeben, wenn es um »geistliche« Dinge geht.

Im Gegenteil.

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Dienstag, 27. September 2011

to kill or to keel

Ach übrigens, vor der Lektüre: Dies ist ein Teil, vermutlich ein letzter Teil, einer Serie von Selbstsprächen, die hier anfing, hier weiterging, hier ein vermeintliches Ende fand  und hier wider Erwarten fortgesetzt wurde.  Aber das nur so nebenbei, das Ist überhaupt nicht interessant.

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Eigentlich hatte ich mich ja leergeschrieben, aber um überhaupt irgend etwas zu formulieren, griff ich natürlich nach diesem und jenem Notnagel. Die Blogbesucher hatten auch die Idee mit dem verbeulten Auto, dessen ich angesichtig wurde, für vielversprechend gehalten. Also stellte ich mir ein Fahrzeug mit Beule vor und begann zu schreiben.

Der Volkswagen hatte mehr als dreißig Jahre seinen Dienst getan. Er erfuhr ganz offensichtlich regelmäßige Pflege, sein Lack glänzte so tiefschwarz in der Nachmittagssonne, dass man hätte meinen können, das Fahrzeug sei gerade vom Band gerollt. Von Weitem betrachtet war der Käfer, der die Fahrbahn zur Hälfte blockierte, ein Schmuckstück.
Als ich an jenem 17. Juli, der alles änderte, um 16:48 Uhr die Unfallstelle erreichte, ging mir der Gedanke so schlimm kann es gar nicht sein durch den Kopf. In meiner Aufregung hatte ich das kurze Telefonat wohl missverstanden.

image»Mooooooooooment«, unterbrach ich mich, »so geht es doch nun wirklich nicht. Das hast du bereits geschrieben und veröffentlicht, das ist der Anfang von Sabrinas Geheimnis

»Und wenn schon! Im Fernsehen wird ja auch dauernd irgendwas wiederholt.«

»Nein, nein, nein.«

Missmutig musste ich mir dann doch recht geben. Ich grübelte noch ein paar Minuten, um dann festzustellen: »Ich habe mich leergeschrieben. Daran gibt es nun keinen Zweifel mehr.«

»O doch«, verbesserte ich mich, »Zweifel ist immer angebracht bei derartigen Angelegenheiten. Was ist zum Beispiel mit deinem Artikel über das Zweifeln oder den Zweifel an und für sich? Die ersten Absätze sind doch so schlecht nicht.«

Ich öffnete das Dokument und las, was ich bisher geschrieben hatte.

Man hat uns - nein, das wäre verallgemeinernd - man hat mir das Zweifeln schlechtgeredet. Schon als Kind, aber auch später noch. So lange, bis der Zweifel automatisch ein schlechtes Gewissen auszulösen in der Lage waren.
Es gibt natürlich manches im Leben, was nicht bezweifelt werden muss, da handfeste Tatsachen den Sachverhalt belegen. Ich muss nicht daran zweifeln, dass ein Sprung aus mehreren Metern Höhe gesundheitliche Risiken mit sich bringt. Unzweifelhaft ist mir auch, dass
Jedoch: Wenn ich Zweifel hege, ob ich eine Arbeit in einem zur Verfügung stehenden Zeitraum schaffen kann, dann hat das sein Gutes. Dann werde ich mich nämlich zusammenreißen und Ablenkungen abwehren, Unwichtiges beiseite lassen, Konzentration aufbringen und dann - falls alles gut geht, tatsächlich rechtzeitig fertig sein. Andernfalls habe ich es wenigstens versucht.

»Gar nicht so übel als Einstieg«, dachte ich. »Aber ...«

»Was aber? Nix aber!«

»Aber ...«

»Silence! I KEEL YOU!«

Ich zeigte mir einen Vogel. »Wer nicht bei Loriot klaut, der klaut auch nicht bei Jeff Dunham.«

»Na gut, wir streichen das Zitat von Achmed. Also was ist denn nun mit der Hymne auf den Zweifel?«

»Ja ja«, zweifelte ich vor mich hin, »was ist denn nun mit ihr, der Hymne?«

»Nix ist mit der Hymne, wenn du sie nicht schreibst.«

Kurz entschlossen öffnete ich das Dokument erneut und fuhr fort zu schreiben. Der geschätzte Blogbesucher mag nun daran zweifeln, dass aus dem Artikel tatsächlich etwas wird, aber warten wir es doch einfach ab. Einstweilen kann man sich zweifellos mit der Frage beschäftigen, ob es I kill you oder I keel you heißen muss. Die Antwort liegt in den Tiefen des Internet verborgen, zum Beispiel hier: [Achmed the dead terrorist]