Sonntag, 8. April 2012

Frohe Feiertage!

Allen Blogbesuchern wünsche ich ein erholsames und frohes Oster- oder Auferstehungsfest, je nach Vorliebe mit Schokolade, Eiern, Hasen, Kirchgang, Konzertbesuchen, Spaziergängen oder einer Mischung aus mehreren Zutaten.

Samstag, 7. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 3

Aktuelles in Kürze: Ab heute der nächste Schritt beim »Ausschleichen« des Morphin (Ärztedeutsch für langsam abgewöhnen). 40 mg täglich statt 50. Ab nächsten Samstag dann 30 mg täglich … in drei Wochen sollte ich also wieder clean sein. Fein.

So, nun zurück ins Krankenhaus zu den Tagen vor der Operation.

… auf eine ziemlich unappetitliche, aber außerordentlich erfolgreiche Weise …

Der Arztbericht formuliert nüchtern:

Unter regelmäßigem Anspülen der Entlastungssonde konnte Herr Matthia mehrere Liter Stuhl absetzen, sodass er aus dem Ileuszustand rekompensierte und am 19. 03. auf die Normalstation zurückverlegt werden konnte.

Die Verlegung fand gegen Mittag statt, ich kam in ein Zimmer mit drei Betten, am Fenster lag ein Patient, der schon seit einigen Tagen operiert war und aufstehen konnte, in der Mitte ein kaum jemals das Bewusstsein erlangender Sterbenskranker und dann eben ich, an der Türseite. An mir hatten die Pflegekräfte erst einmal nicht viel zu tun, ich konnte unter Mitnahme des fahrbaren Infusionsständers sowie der drei am Bett befestigten Beutel (Darm- und Blasenausscheidungen sowie Magensondenauffangbeutel) aufstehen, mir die Zähne putzen und mich einigermaßen erfolgreich waschen. Da der Darm unterhalb des Ileus ja seit Tagen restlos leer war, erübrigte sich jeglicher Toilettenbesuch. Ich bekam über die Infusion Flüssigkeit und zwei Mal täglich künstliche Ernährung zugeführt, ansonsten diverse Medikamente, darunter immer noch das Antibiotikum gegen die vermutete Bauchfellentzündung.

Am Abend des 19. März erfuhr ich, dass die Operation auf den 21. verschoben worden war. Die Begründung war, übrigens ein ab und zu auftretendes Phänomen in diesem Krankenhaus, von Person zu Person unterschiedlich. Es sei der Terminplan zu voll, sagte mir ein Arzt. Nein, es ginge um die Entzündungswerte in meinem Blutbild, sagte eine Ärztin. Die Stationsschwester erklärte, mein Bauch sei noch zu geschwollen, man hoffe darauf, dass die Entlastungssonde in den zusätzlichen 24 Stunden noch reichlich Stuhl aus dem Körper fördern würde. Womöglich stimmte ja alles oder nichts – aber für den Patienten wäre es schon einfacher, wenn sich die Ärzte und Pflegekräfte bezüglich möglicher Fragen des Patienten vorher auf jeweils eine Auskunft einigen würden.

In mir sah es so aus, dass die (sicherlich völlig normale) Angst vor der Operation Tag und Nacht nicht weichen wollte. Mal trat sie in den Vordergrund, mal konnte ich sie etwas vergessen. Beim Lesen reichte die Konzentration in der Regel nicht für viel mehr als 20 oder 30 Minuten, dann schloss ich wieder die Augen und dachte nach, schlummerte ein wenig, wurde wieder hellwach …

image Wenigstens war im Gegensatz zur Intensivstation in der Nacht mehrstündiger Schlaf möglich, auch tagsüber konnte ich einiges nachholen, da meine Mitpatienten beide ruhige Zeitgenossen waren. Lediglich die beiden am Klinikum stationierten Hubschrauber, deren Anflugweg zum Landeplatz fast direkt an unserem Fenster vorbei führte, verursachten bei ihrer lebensrettenden Tätigkeit einen ziemlichen Lärmpegel.

Am Abend des 20. März kam mein Chirurg zu mir ans Bett, um noch einmal die Operation mit mir durchzusprechen. Er untersuchte meinen Bauch und musste mir dann sichtlich betrübt mitteilen, dass angesichts des doch noch erheblich angeschwollenen Darms ein künstlicher Ausgang für ein paar Monate nicht zu vermeiden sei. Die Entlastungsonde förderte zwar weiter Kot, aber die Menge, die noch im Darm verblieben war, sei doch recht erheblich.

Eine Stunde später erschien dann eine Stoma-Fachkraft, um zwei mögliche Punkte für den künstlichen Darmausgang auf der Haut zu markieren. Im Sitzen und Stehen wurde vermessen, welche Stellen am weitesten von einem Hosengürtel weg lagen, ohne wiederum das Sitzen zu behindern. Die beiden Punkte wurden schließlich auf meinem Bauch gekennzeichnet.

Da lag ich nun, zur Angst vor der Operation kam jetzt die fast 100prozentige Gewissheit, dass das Befürchtete eintreten würde. Der Glaube an einen Gott, der unbedingt das Erbetene tut, wenn man nur a) genug Glauben aufbringt, b) keine Zweifel zulässt, c) fortwährend die Heilung proklamiert und d) noch sonstige Voraussetzungen erfüllt, war mir vor einigen Jahren beim qualvollen und schon nicht mehr menschlich zumutbaren Tod meiner Schwiegermutter abhanden gekommen. Ich hatte göttliches Handeln in meinem Leben erfahren, vor vielen Jahren, daran zweifelte ich nicht, denn was man selbst erleb hat, kann einem ja niemand ausreden. Aber ich hatte ebenso erlebt, dass jedes Flehen, jedes verzweifelte Schreien völlig ohne Antwort blieb, obwohl alle Beteiligten alles „richtig machten“, soweit es die frommen Lehren definierten.

Was ich an diesem Abend vor der Operation noch hatte, war die Hoffnung, dass dieser häufig so ferne, so unbeteiligte Gott vielleicht eine Ausnahme machen würde. Vielleicht. Das konnte ich mir nicht verdienen, nicht erarbeiten, ich wollte ihm auch nicht irgendwelche abenteuerlichen Versprechungen machen, quasi einen Tauschhandel anbieten: Wenn du mir jetzt hilfst, dann werde ich … was auch immer. Nein, dachte ich, wenn er überhaupt hilft, eingreift, wie auch immer das aussehen mag, dann ist das nichts als ein unverdientes Geschenk. Gnade, um das fromme Wort zu wählen.

Also formulierte ich ein aufrichtiges Gebet, ungefähr so habe ich es in Erinnerung: Du oft so ferner, manchmal aber auch naher Gott, an den zu glauben ich nicht lassen kann und will, ich bitte dich, dass mir der künstliche Darmausgang erspart bleibt. Wie das gehen soll, da kann ich dir keine Vorschläge machen, da ist ja sogar mein Chirurg ratlos. Höchsten ein Verschieben der Operation kann ich mir vorstellen. Dass du helfen kannst, daran habe ich keinen Zweifel, ob du es willst, weiß ich nicht. Aber falls ja, dann würde ich mich ungeheuer freuen und dankbar sein. Letztendlich bin ich ja wohl in deinen Händen, nicht in den Händen der Ärzte, die können aber immerhin als deine Helfer fungieren. Also, wie gesagt, falls du mir zuhörst und meine Bitte gewähren willst, sage ich im Voraus danke. Amen.

Sicher kein mustergültiges Gebet aus einem Katechismus, Gebetbuch oder frommen Erbauungswerk. Aber alles andere wäre gelogen gewesen, und, soviel wusste ich, falls Gott zugehört hatte, wäre ihm ein vorgeheucheltes »hach wie stark ist doch mein Vertrauen!« sicher genauso übel aufgestoßen wie mir selbst. Etwas Trost und Ruhe gab mir auch das Wissen, dass nach wie vor zahlreiche Freunde und Bekannte und Verwandte, gläubig und ungläubig, Atheisten und Christen, für Eva und mich auf ihre jeweilige Weise beteten und hofften und die Daumen drückten bis sie flachgequetscht waren. Damit schlief ich dann ein.

Die Entlastungssonde musste alle zwei Stunden gespült werden, Tag und Nacht. Der Beutel, der 2 Liter Inhalt speicherte, war in der Regel zwei Mal täglich ausgewechselt worden. Gegen Mitternacht hörte ich ein ziemlich erschrockenes „ach du liebe Güte, was ist denn hier los!“ und schlug die Augen auf. Die Nachtschwester stand neben meinem Bett und starrte entsetzt auf den Boden. Ich folgte ihrem Blick und sah die Bescherung: Der Beutel war – ganz offensichtlich wegen Überfüllung - geplatzt, ein gewaltiger See von Kot breitete sich auf dem Fußboden aus. Das Krankenzimmer stank ziemlich erbärmlich.

Zu zweit, die andere Nachtschwester kam zur Hilfe, beseitigten die Damen die Schweinerei und brachten einen neuen Auffangbeutel am Schlauch der Sonde an. Im Verlauf der Nacht wurde ich aus dem Halbschlaf noch vier Mal wach, weil der Beutel voll war, jeweils 2 Liter, und ausgewechselt wurde. In den nächtlichen Stunden vor der Operation floss so viel Stuhl ab, wie an mehreren Tagen zuvor nicht. Auch die Magensonde förderte auf einmal bisher nicht dagewesene Mengen Kot, der Auffangbeutel wurde in dieser Nacht zwei mal gewechselt. Ich sah am Morgen das Ergebnis mit eigenen Augen: Der am Vorabend noch deutlich gewölbte, gespannte Bauch war weich und flach und ganz unübersehbar geleert.

Zufall? Schwein gehabt? Ein merkwürdiges medizinisches Phänomen? Eine autosuggestive Reaktion des Körpers?

Man kann selbstverständlich alle möglichen und unmöglichen Erklärungsversuche anstellen. Für mich ist und bleibt die wahrscheinlichste Antwort, bei der ich mein Denken und meinen Verstand am wenigsten verbiegen muss: Der oft so unzugängliche Gott hatte sich zugänglich gezeigt und meine Bitte auf eine ziemlich unappetitliche, aber außerordentlich erfolgreiche Weise erhört. Ganz einfach so, als Geschenk und ohne eine von mir versprochene Gegenleistung.

Wenige Stunden später wurde ich dann zum Operationssaal gebracht.

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Freitag, 6. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 2

Vorab wieder Aktuelles: Gestern (Gründonnerstag) gab es einen gehörigen Schrecken. Von der Hausarztpraxis, wo sicherheitshalber vor den Feiertagen die Operationswunde/narbe in Augenschein genommen wurde, durfte ich direkt in die Notaufnahme des Krankenhauses zurück. Eva und ich waren zunächst ziemlich geschockt, wie man sich vorstellen kann, noch nicht einmal eine ganze Woche zu Hause und schon wieder in die Klinik?

In der Notaufnahme kümmerte sich dann eine Chirurgin, die mich bereits recht gut von meinem Aufenthalt kannte, um uns und meine Narbe. Es war alles im grünen Bereich, die Verhärtung darf so sein, wie sie ist, wird auch noch über Monate so bleiben, und dass wieder Wundsekret abgesondert wird, ist auch kein Grund zur Besorgnis. Vorsichtshalber schnitt die Chirurgin ca. einen Zentimeter der Narbe wieder auf – es kam kein Eiter zum Vorschein, und das ist auch gut so.

Also durfte ich, Gott sei es gedankt, wieder nach Hause fahren.

Ansonsten: Es geht weiter in kleinen Schritten täglich bergauf, meine Kraft nimmt zu, ich kann Tag für Tag ein wenig länger aufstehen statt liegen, die Entwöhnung vom Morphin funktioniert in ebenfalls kleinen Schritten bisher reibungslos (in ca. 4 Wochen sollte ich dann, wenn alles weiter so klappt, clean sein).

So. Nun zur Fortsetzung des Berichtes. Wir erinnern uns, der letzte Teil hörte so auf:

Das nahm ich aber eher am Rande zur Kenntnis, es schien mir nicht weiter besorgniserregend, die – wie ich inzwischen wusste – zwei Tumore belasteten meine Gedanken und Gefühle mehr.

Woher nimmt er bloß diesen Lebenswillen?

image Es dauerte ja, bis die Wahrheit ans Licht kam und bis ich sie nach und nach erfuhr. Eingeliefert worden war ich noch mit dem Verdacht auf eine akute Divertikulitis. Dann wurde klar, dass es sich um einen Ileus, also Darmverschluss, handelte. Es war die Rede von Zysten, die sich entzündet hatten. Es wurde versucht, auf konventionelle Weise die Darmtätigkeit in Gang zu bringen, als sich das als untauglich erwies folgten dann CT und Kolonoskopie (Darmspiegelung). Erst danach hörte ich von einem Tumor, dann von zwei Tumoren, und dann erst fiel endlich das insgeheim längst befürchtete Wort Darmkrebs.

Vom Hören zum Begreifen und schließlich Akzeptieren – für mich war das eine mentale Anstrengung. Ich wollte nicht akzeptieren, wollte wegschieben, Ausflüchte für meine Ängste suchen, beschwichtigen: Kann ja sein, dass es doch nur eine Zyste ist. Zwei, von mir aus. Kann ja sein, dass es auch einen Tumor gibt, der kein Krebs ist.

Aber schließlich schaffte ich es, zu sagen: Krebs. Ich habe Krebs.

Und damit war es mir dann auch möglich, weiter zu denken, zu fühlen. Die Tatsache war akzeptiert, und nun musste ich herausfinden, wie ich damit umgehen wollte. Natürlich war da Angst, große Angst. Schwiegervater und Schwiegermutter waren vor wenigen Jahren an Krebs gestorben, kurz nacheinander. Ich hatte in meinem Leben genug über Krebs gelesen, gehört und gesehen, um zu wissen, dass ich es mit einer ernsten, einer tödlichen Krankheit zu tun hatte. Einer heimtückischen noch dazu. Mehr als einmal hatte meine Schwiegermutter von Ärzten gehört: „Es ist jetzt sämtliches vom Tumor befallenes Gewebe aus dem Körper entfernt.“ An anderer Stelle trat relativ kurz danach dann jeweils ein neuer Tumor in Erscheinung.

Ich will mich, da ich diese Dinge jetzt einigermaßen chronologisch zur eigenen Erinnerung in späteren Jahren notiere, erst einmal auf das beschränken, was ich zur jeweiligen Zeit empfunden und erlebt habe. In diesen Tagen vor der Operation war es eindeutig sehr viel Angst, aber auch immer wieder Trost durch das Wissen, dass sehr viele Menschen mir alles Gute wünschten, an mich dachten, für mich beteten, sogar Freunde, die nicht gläubig sind, schickten Gebete für mich „ans Universum“ oder wohin auch immer. Am Anfang dieser Reihe von Texten hatte ich ja bereits davon berichtet.

Trotz all der Angst, obwohl mir jegliches Vermögen abhanden gekommen war, selbst an ein heilendes Eingreifen Gottes zu glauben, wollte ich leben. Ich wollte nicht resignieren, mich bemitleiden, als armes, unschuldiges Opfer bejammern. Nein. Wenn ich untergehen würde, dann aber nicht als Häufchen Elend, solange ich es irgendwie vermochte, wollte ich ein einziges Ziel im Auge behalten: Gesund werden. Auf die Beine kommen. Für meine Frau, meine Familie, und auch für Freunde und Bekannte da sein. Im Vordergrund stand aber eindeutig Eva, unsere Liebe, unsere gemeinsame Zukunft. Daran wollte ich mich festhalten.

Nach einer der besonders schlimmen Abführ-Erbrechen-Zusammenklappen-Aktionen hörte ich den Arzt zur Schwester sagen: „Woher nimmt er bloß diesen Lebenswillen, diese Kraft? So etwas habe ich noch nie erlebt.“ Die Schwester: „Ich auch nicht, ich staune genau wie Sie.“

Heute, im Nachhinein, beim Aufschreiben der Ereignisse, würde ich als Antwort anbieten, dass in mir Gottes Kraft wirkte, die über menschliche Möglichkeiten nun einmal erhaben ist. Ich habe damit im Krankenhaus nicht gerechnet, habe es nicht bewusst wahrgenommen, nicht darum gebetet oder auch nur geglaubt, aber woher ich die Kraft sonst gehabt haben soll, wäre mir noch rätselhafter als die Erklärung, dass Gott bei mir war, auch wenn ich damit nicht rechnete.

 

In den Tagen und Nächten auf der Intensivstation war aufgrund der ständigen Geräuschkulisse und des auch nachts häufig notwendigen hellen Lichtes von ungestörtem Schlaf über längere Zeiträume nicht die Rede. Das war auch meinen Ärzten klar. „Wir wissen, dass Schlafentzug eine anerkannte Foltermethode ist“, sagte mein Chirurg eines morgens zu mir, „aber einstweilen ist das nun einmal das kleinere Übel für Sie. Versuchen Sie, zwischendurch so oft wie möglich zu schlummern, zehn Minuten, eine halbe Stunde ... was immer möglich ist. Sobald wir es verantworten können, verlegen wir Sie zurück auf die Chirurgie.“

Am 19. März war es dann so weit, ich durfte die Intensivstation verlassen. Die Operation war für den 20. März vorgesehen. Dass sie dann auf den 21. verschoben wurde und welches Wunder sich in der Nacht vor der Operation ereignete, davon berichte ich im nächsten Kapitel.

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Donnerstag, 5. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 1

Zunächst, liebe Leser, ein paar aktuelle Fakten: Die schriftlichen Befunde liegen bis heute nicht vor. Ich habe nachher einen Termin beim Hausarzt, an den sie geschickt werden sollen - vielleicht ist ja heute was angekommen. Bisher weiß ich also nicht, wie es weiter geht, denn das hängt alles von der Histologie ab.

Es geht mir zu Hause Tag für Tag besser, in winzigen Schritten zwar, aber doch für mich deutlich sichtbar. Ich kann inzwischen bei mittags reduziertem Morphin völlig auf zusätzliche Schmerzmittel verzichten, zum Beispiel. Ich kann länger sitzen und durch die Wohnung laufen als vor ein paar Tagen, zum Beispiel. Die wunderhübsche Operationsnarbe sondert weniger Flüssigkeit nach außen ab als gestern und vorgestern, zum Beispiel.

Einige Leser haben via Facebook ihre Ungeduld bezüglich dessen zum Ausdruck gebracht, was denn nun in jener ersten Nacht auf der Intensivstation vorgefallen ist. Bitteschön, hier der Bericht:

Die akzidentelle Entfernung

Im Arztbericht liest sich das, was in dieser Nacht geschah, so:

… erfolgte die weitere Behandlung auf der Intensivstation. Dort kam es zu einer akzidentellen Entfernung der Entlastungssonde, die am Folgetag neu angelegt wurde.

Der Pfleger sah die ihm unbekannte Sonde samt Auffangbeutel, der sich eher langsam füllte. Er wusste aber offenbar nicht, was es mit der Vorrichtung auf sich hatte, dass mir diese Sonde nicht ohne Risiken vor wenigen Stunden gelegt worden war, um den Darm oberhalb der Tumore zu entleeren und mir auf diesem Wege wenn irgend möglich einen künstlichen Darmausgang zu ersparen und das Reißen der Darmwand zu verhindern. Natürlich hätte der Pfleger all das in der elektronischen Krankenakte, die auf der Intensivstation direkt neben dem Bett per PC abrufbar ist, nachlesen können. Müssen. Natürlich hätte er einen Arzt fragen müssen, wenn er etwas nicht verstand oder zuordnen konnte. Wäre ich so weit bei Bewusstsein gewesen, dass ich mitbekommen hätte, was der Pfleger tut, hätte ich natürlich Zeter und Mordio geschrien, energisch Einhalt geboten. Es kam aber anders.

image Der Pfleger hatte wohl irgendwann irgendwo gelernt, dass es für den Patienten angenehmere Ableitungen bei Darminkontinenz gibt als Sonden mit Schläuchen. Also entfernte er die Sonde und brachte statt dessen irgend eine andere Vorrichtung am Darmausgang an, die selbstverständlich völlig überflüssig war, da der Darm unterhalb der Krebsgeschwüre ja seit Tagen restlos leer war.

Im weiteren Verlauf der Nacht stieß der Pfleger dann auf den blinkenden Hinweis auf meinem Monitor: „Darmsonde spülen mit 200 ml NACL“. Erst jetzt wurde er stutzig, schaute sich die Krankenakte an und murmelte vernehmlich so etwas wie „ach du Scheiße“. Dann ging er zum Telefon und rief den diensthabenden Arzt an.

Die Aufregung an meinem und um mein Bett war groß. Einen gehörigen Teil bekam ich mit, was draußen vor der Tür geredet wurde, natürlich nicht. Der Arzt rief – es war 4 Uhr – meinen Chirurgen zu Hause an, erklärte den Sachverhalt, hörte zu und rief dann die Spezialisten der Abteilung an, auf der die Sonde Stunden zuvor gelegt worden war, um den frühestmöglichen Termin für einen zweiten Versuch zu vereinbaren. Derweil unterzog die Stationsschwester der Intensivabteilung den Pfleger einem Verhör, das von einer weiteren Schwester dokumentiert wurde. „Zum Wohle des Patienten … für ihn angenehmere Variante … erst zu spät in die Krankenakte geschaut“.

Am Morgen kurz nach acht Uhr wurde ich dann wieder eingeschläfert für den nun noch riskanteren zweiten Versuch, die Darmentlastungssonde einzuführen und zu fixieren. Selbstverständlich hatte ich in alle Risiken erneut eingewilligt, denn wenn mir irgend eine Vorstellung grauenhaft war, dann die des künstlichen Darmausganges für vier bis sechs Monate. Danach, so war mir versichert worden, könne man mit einer zweiten Operation den natürlichen Darmausgang wieder aktivieren, was in fast allen Fällen auch gelänge. Aber das wollte ich auf keinen Fall.

Um es kurz zu machen: Die zweite Sonde konnte am 18. März 2012 vormittags eingeführt, an die richtige Stelle gebracht und fixiert werden. Gott sei Dank ohne irgendwelche Schäden an der Darmwand.

 

Die folgenden Tage bewiesen mir, wie recht die Ärztin gehabt hatte, als es um die Magensonde ging. „Glauben Sie mir, das, was Sie womöglich in den nächsten Tagen über den Magen abführen, möchten Sie nicht im Mund haben. Da ist die Magensonde das kleinere Übel“, hatte sie gesagt. Denn der seit vielen Tagen oberhalb des Darmverschlusses gestaute Kot, den der Körper unbedingt loswerden wollte und musste, floss nicht nur durch die Sonde im Darm ab, sondern zunehmend über den Magen. Zweimal täglich wurden mir zusätzlich sehr aggressive Abführmittel über die Infusion verabreicht. Ich wusste, was mich danach jeweils erwartete. Beide Sonden schafften die Mengen nicht, ich erbrach literweise Kot. Die Details erspare ich mir an dieser Stelle, die vergesse ich garantiert nicht. Das Erbrechen und Würgen dauerte jeweils etwa 30 Minuten an, danach hatte ich Schüttelfrost, war klitschnass geschwitzt und so erledigt, dass ich vom Bett frisch beziehen und Nachthemd wechseln samt Wäsche nicht viel mitbekam.

Zur Besuchszeit war ich manchmal so geschwächt durch diese notwendigen Torturen, dass mir, obwohl ich gerne Eva, der besten aller Ehefrauen, manches erzählt hätte und manches erfragen wollte, die Augen zufielen. Aber das war zum Glück nicht immer der Fall.

Die Ärzte vermuteten aufgrund meiner Laborwerte und anderer Befunde inzwischen zusätzlich eine Bauchfellentzündung, daher wurden mir zu den anderen Medikamenten ab dem 19. März Antibiotika verabreicht. Das nahm ich aber eher am Rande zur Kenntnis, es schien mir nicht weiter besorgniserregend, die – wie ich inzwischen wusste – zwei Tumore belasteten meine Gedanken und Gefühle mehr.

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Mittwoch, 4. April 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 5

image Dies ist der letzte Teil der Notizen, die ich mir im Krankenhaus gemacht habe. Gegen 12:30 Uhr am Samstag, dem 31. März, wurde ich entlassen, die beste aller Ehefrauen holte mich ab und kutschierte mich im extra für diesen Anlass frisch gewaschenen Dodge Nitro nach Hause. Ich war glücklich, das Krankenhaus zu verlassen, so gut und umfassend und oft genug liebevoll ich dort auch betreut worden war.
Die Fortsetzungen zu diesem Text sind dann bereits in heimischer Behaglichkeit entstanden, aber hier zunächst der letzte Abschnitt, den ich vor Ort geschrieben habe.

Samstag, 31. März 2012 10:50 Uhr

Die „normale“ Vorgehensweise, erklärte mir Dr. Kruschewski, wäre eine sofortige Notoperation, um den Darmverschluss zu beseitigen, bevor die aufgeblähte Wand reißt. Er wolle jedoch angesichts meines unübersehbaren Lebenswillens und meiner körperlichen Konstitution, die belastbarer sei als bei den meisten Patienten, mit Hilfe der Fachärzte versuchen, vom Darmausgang einen Schlauch am Tumor vorbei in den aufgeblähten Bereich zu schieben, durch den Schlauch könne dann einiges abfließen. Je mehr, desto besser, denn je geringer der Unterschied im Durchmesser zwischen den beiden Schnittstellen bei der Operation sei, desto größere Chancen habe er, mir den künstlichen Darmausgang zu ersparen. „Ich kann nicht einen auf 15 Zentimeter geweiteten Darm mit einem mit 3 oder 4 Zentimeter Durchmesser normal großen Darm zusammennähen. Das geht einfach nicht.“

Ob ich mit dem Versuch, der nicht ohne Risiken sei, einverstanden wäre, wollte er wissen. Ich war einverstanden. Jemand fragte mich: „So, Herr Matthia, wollen Sie ein bisschen schlafen?“ Ich hätte gerne mit „ja“ geantwortet, war aber schon meines Bewusstseins ledig, bevor ich den Mund öffnen konnte.

Die Zeiträume und –abstände dieser Nacht und der nächsten Tage sind mir etwas unklar geblieben. Ich kam auf der Intensivstation zu mir, wo sich gerade ein Arzt und ein Pfleger damit beschäftigten, mich mit den diversen Geräten zu verbinden. „Wir legen jetzt einen ZVK“, sagte der Arzt zu mir. „Und was ist ein ZVK“? „Ein zentraler Venen-Katheder. Dadurch kommen wir mit verschiedenen Sonden, die unterschiedlich weit reichen, bis an die Herzkammer.“ „Na das ist doch sicher eine feine Sache“, meinte ich. „Legen Sie los.“ „Das Dumme ist, dass das nur ohne Betäubung geht – und damit wird es schon recht unangenehm für Sie.“

Es war unangenehm, aber als das Werk vollbracht war, hatte ich nun einen ganz patenten „Multi-Media-Anschluss“, wie ich meinen ZVK taufte, im Hals. Der taugte zum Blut entnehmen, zum Zuführen von Medikamenten und Flüssigkeit sowie künstlicher Ernährung und war hübsch bunt. Der hellgrüne Anschluss war der beste, wenn jemand Blut zu zapfen trachtete. Zeitweise brachte mein Multi-Media-Anschluss es mit zusätzlichen Adaptern auf neun Schläuche gleichzeitig, die mit ihm verbunden waren.

Das Drehen im Bett war auf der Intensivstation eine noch aufwändigere Angelegenheit als zuvor. Ich hatte nun

· durch die Nase eine Magensonde

· unter der Nase zwei Düsen, die mir Sauerstoff zuführten, die aber auch gerne mal verrutschten

· im Hals den ZVK, der gut fest saß

· am Finger einen hübsch rot leuchtenden Sensor, dessen Kabel zu den Geräten hinter mir führte

· im Darm den erfolgreich gelegten Schlauch, an dessen Ende ein Auffangbeutel sich langsam mit flüssigem Kot füllte

· im Penis einen Blasenkatheder

Nach der Operation kam später ein Schlauch aus dem Bauchraum dazu, durch den die Wundsekrete und Blut abließen konnten und eine Leitung zum Rückenmark, durch die Morphin direkt zu den geeigneten Nervenenden fließen konnte. Dafür war dann der Darm-Entlastungsschlauch weg.

Wie gesagt, die Zeiten verrutschten mir ein wenig, wie spät es war, als ich schließlich fertig verkabelt und verschlaucht war und die Müdigkeit mich immer wieder für ein paar Minuten dem ständigen Brummen, Piepsen und Summen um mich herum entriss, weiß ich nicht. Es lagen außer mir drei Patienten in dem Abteil der Intensivstation. Bei irgend einem von uns musste fast immer etwas getan, justiert, überprüft werden. Dazu sind Intensivstationen ja da und ich bin sehr dankbar, dass ich in den Genuss der technischen Möglichkeiten kommen durfte, die doch vieles erleichterten und schmerzärmer gestalten halfen.

Dann kam es wenig später zu einem ernsthaften Anschlag auf den Erfolg meiner Behandlung. Nicht böswillig, sondern aus gut gemeintem, aber ziemlich einfältigem Handeln eines Pflegers. Man könnte natürlich auch von ziemlich grenzenloser Dummheit reden. Er war, wie ich am nächsten Tag mitbekam, als Leasingkraft für die Nacht eingeteilt und wird wohl nach dem Vorfall mit mir dieses Krankenhaus nie wieder von innen sehen. Ob er überhaupt jemals wieder auf einer Intensivstation arbeiten darf, war, soweit ich die Gespräche der Ärzte verstand, sowieso fraglich.

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Dienstag, 3. April 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 4

Auch heute vor dem Text aus dem Krankenhaus ein paar aktuelle Worte: Es sind für die meisten Menschen unbedeutende Kleinigkeiten, aber für mich Grund zur Dankbarkeit und zum Staunen:

  • Ich kann eine Mahlzeit zu mir nehmen, ohne dass mich schon während des Essens ein anschließend stundenlang andauernder Schluckauf befällt.
  • Gestern brauchte ich nur noch zwei Novaminsulfon Tabletten (Schmerzmittel), um die Reduzierung der mittäglichen Morphin-Dosis (Opiat) abzufedern. Bisher waren es 4 oder 6 gewesen.
  • Ich kann wieder auf der linken Seite liegen, ohne dass Schmerzen und Übelkeit die Folge sind.

Kleinigkeiten? Möglich, aber für mich bemerkenswerte Fortschritte.

Nun also die nächste Dosis dessen, was ich mir zum niemals vergessen im Krankenhaus notiert habe. Für mich in erster Linie, und natürlich ist jeder, den es interessiert, eingeladen. Hier beginnt dann auch so etwas wie eine chronologische Ordnung der ganzen Krankheit.

30. März 2012, 7:25

imageDie Umstellung von der Schmerzmittelpumpe auf Tabletten könne etwas holperig verlaufen, hatte man mir angekündigt. Na ja. Am Mittwoch war das Gerät morgens leergelaufen und dann abgeschaltet worden, so gegen 7 Uhr. Um 6 Uhr hatte ich bereits Morphin in Tablettenform erhalten, um 8 Uhr bekam ich Novalgin flüssig dazu – und gegen 13 Uhr wüteten die Schmerzen so bösartig in meinem Bauch, dass mich Schüttelfrost und Krämpfe überfielen. Der Zustand besserte sich dann ein wenig, in Nuancen, als via Infusion weiteres Novalgin zugeführt wurde. Erst am Abend, weil es wirklich keine wesentlichen Fortschritte gab, entschlossen sich die Ärzte, die Dosis auf 3 x 20 mg Morphin heraufzusetzen, die 22 Uhr Gabe waren schon 20 mg. Doch war es in der Nacht gegen 1 Uhr wieder so schlimm, alle Novalgin und sonstigen Beigaben halfen nicht, dass eine erfahrene Schwester mir Paracetamol an die Infusion hängte. Und siehe da: Binnen zwanzig Minuten war ich endlich soweit schmerzfrei, dass ich an Schlaf denken konnte.

Am Donnerstag bewährte sich die Dosierung 3 x 20 mg Morphin, am Morgen war noch eine Infusion mit Paracetamol notwendig, dann kam ich mit dem Morphin aus. Ich bekam zwar Tropfen (Novalgin) ans Bett gestellt für zwischendurch, aber die konnte ich stehen lassen.

Und heute, am Freitag, nach einer Nacht ungestörten Schlafes, ohne Übelkeit aufgewacht, bisher auch ohne quälenden Schluckauf, kann ich mir ernsthaft vorstellen, zu Hause besser aufgehoben zu sein als hier. Zum ersten Mal seit dem 15. März, als ich nachts mit dem Notarztwagen hier eingeliefert wurde.

Am 14. März war ich morgens ganz normal aufgestanden, um mich für den Tag im Büro fertig zu machen. In den Tagen zuvor hatte ich hin und wieder Schmerzen und Übelkeit verspürt, es kam wieder zu häufigem Schluckauf und Aufstoßen – alles Symptome, die mich Anfang Februar schon einmal zum Arzt, in ein anderes Krankenhaus und zu der Diagnose Divertikulitis gebracht hatten. Nur war es jetzt nicht so schlimm wie im Februar. Ich stand also auf, ging in die Küche, um der Kaffeemaschine meinen Wunsch nach Café Latte kundzutun, und dann ins Bad, wo die Zeit gerade noch reichte, den Klodeckel hochzuklappen, bevor sich das gestrige Abendessen kaum verdaut aus dem Magen ergoss. Ich war ziemlich überrascht, weil keine Übelkeit vorangegangen war – die kam nach dem Erbrechen und blieb. Ich rief im Büro an, dass ich eher zum Arzt als zur Arbeit fahren würde und legte mich wieder hin, mit zunehmender Übelkeit. Zweimaliges Erbrechen in den Stunden vor der Praxisöffnung brachte wenig Mageninhalt zum Vorschein, aber doch gewisse Erleichterung, was die Übelkeit betraf.

Die Ärztin, die schon im Februar auf die (wie ich jetzt weiß) Fehldiagnose Divertikulitis hereingefallen war, erklärte mir, ich habe wohl einen Magen-Darm-Virus, solle aber, falls es nicht besser würde, umgehend ein Krankenhaus aufsuchen.

 

30. März 2012, 11:45 Uhr

Das geschah dann am 15. März in den Abendstunden mit Notarztwagen, Blaulicht und neugierigen Nachbarn an den Fenstern und vor der Türe. Die Papiere von der Februar-Behandlung aus dem Bethel-Krankenhaus nahm ich mit.

Es war schon am nächsten Tag ziemlich klar, was ich nicht hatte: Eine Divertikulitis. Einer der zahlreichen Fachärzte knurrte etwas ungehalten vor sich hin: „Mit einem Ultraschall diagnostiziert man überhaupt nichts. Niemals.“

Erleichterung gegen die ständige Übelkeit brachte die Magensonde, so unangenehm die Minuten des Einführens durch die Nase auch waren. „Glauben Sie mir, das, was Sie womöglich in den nächsten Tagen über den Magen abführen, möchten Sie nicht im Mund haben. Da ist die Magensonde das kleinere Übel“, erklärte mir eine Chirurgin. Heute weiß ich: Sie hatte recht. Die Magensonde wurde meine Freundin in den folgenden Tagen und Nächten.

Nach zwei Tagen Untersuchungen durch alle in Frage kommenden Fachrichtungen wurde ich dann am 17. März auf die Chirurgie verlegt. Mehrere Röntgenuntersuchungen sowie all die Blut- Urin- und sonstigen Proben (Stuhlproben gab es nicht, seit dem 12. März hatte ich keinen Stuhlgang) ließen an der Diagnose Darmverschluss keine Zweifel mehr zu. Wie gefährlich die Lage war, zeigte sich aber erst bei der Computertomographie am Nachmittag des 17. März. Man brachte mich zurück auf mein Zimmer, und kaum dass die Ergebnisse vorlagen, wurde eine sofortige Verlegung auf die Intensivstation vorbereitet. Ich konnte gerade noch der besten aller Ehefrauen mitteilen, dass sie mich am nächsten Tag dort finden würde, da ging es auch schon los: Das Pflegepersonal sammelte meinen persönlichen Besitz ein, um ihn wegzuschließen und ich wurde abtransportiert. Allerdings zuerst zur Endoskopieabteilung, auf dem Weg versuchte mir der Arzt, der persönlich mein Bett schob, weil das Warten auf die Transportkräfte zu lange gedauert hätte, zu erklären, was er vorhatte und versuchen wollte.

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Montag, 2. April 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 3

Bevor der nächste Text aus dem Krankenhaus folgt, eine kurze aktuelle Meldung: Seit Samstag Nachmittag bin ich ja zu Hause, und das tut mir sichtlich gut. Meine Stimmung hellt sich auf, das Essen schmeckt besser (wird ja auch von der besten aller Ehefrauen zubereitet statt aus einer Großküche geholt) und in den Nächten kann ich abgesehen von zwei oder drei Besuchen auf der Toilette (hat sich meine Blase verkleinert oder trinke ich mehr?) durchschlafen.

Ich bedanke mich weiterhin für alle guten Wünsche, Gedanken, Daumen drücken, Gebete, Zuschriften … es tut gut, nicht allein zu sein mit all den Problemen.

 

27. März 2012, 14 Uhr

Täglich ein paar Sätze aufzuschreiben war ein Vorsatz, dessen Erfüllung nicht Realität wurde. Es war und ist doch vieles zu anstrengend, um dann noch die Kraft zu finden, den Computer aus dem Nachttisch zu nehmen. Zum Beispiel das Erbrechen ohne Vorwarnung in der Nacht vom 25. zum 26. März. Als ich wach wurde, es mag gegen 1 Uhr oder 2 Uhr gewesen sein, bemerkte ich, dass es wohl geboten war, sich in die Nähe der Toilettenschüssel zu begeben.

imageDas ist nun in meinem Fall nicht so einfach wie im normalen Leben. Ich muss zunächst die Klammer, an der der Beutel befestigt ist, in dem sich die Wundsekrete aus dem Bauchraum sammeln, links von vom Bettzeug lösen und am Nachthemd befestigen. Dann rechts am Infusions- und Geräteständer den Netzstecker des Novalgin-Perfusors lösen (die Akkus reichen für rund 40 Minuten). Langsam und vorsichtig wegen diverser Kabel und Schläuche am und im Körper zu Geräten und Beuteln kann ich mich dann aufsetzen und aufstehen. Als nächstes muss ich die Schmerzmittelpumpe, die wegen der recht kurzen Leitung zum Rückenmark am Galgen über dem Bett hängt, an den Infusionsständer hängen und den Urinbeutel, der am Bett befestigt ist, in die Hand nehmen, damit er nicht am Blasenkatheder zieht. Dann erst kann ich mich in Richtung Toilette in Bewegung setzen.

In jener Nacht nun reichte es nach der Prozedur einen Schritt vom Bett weg, dann ergoss sich schwallartig Erbrochenes auf den Boden, die Füße, die Hausschuhe. An die Klingel auf dem Nachttisch kam ich nicht mehr heran – zum Glück war mein Bettnachbar wach geworden und drückte auf seinen Alarmknopf. Ich holte krampfhaft Luft, schon kam der zweite Schwall. Mein Bettnachbar befürchtete, dass ich umkippen könnte, und er als wie ich relativ frisch Operierter konnte mich sicher nicht auffangen oder halten. Daher eilte er zur Tür und rief in den leeren Gang: „Schwester, es ist wirklich ein Notfall! Dringend!“ Nun wurden eilende Schritte hörbar, und bei meinem vierten Schwall (fünf wurden es) betrat die Nachtschwester den Raum.

Als die ganze Schweinerei rund zwanzig Minuten später beseitigt war, bekam ich eine Infusion wegen des erheblichen Flüssigkeitsverlustes und schlief bald ein. Jegliche Übelkeit war verschwunden. Gegen vier Uhr drehte ich mich dann von der einen Seite auf die andere (auf dem Rücken kann ich nur sehr schlecht schlafen) und fühlte dabei, dass mein Po nass war. Ein unangenehmer Gestank kam unter der Bettdecke hervor. Sollte ich etwa – hatte ich womöglich – ach du liebe Güte! So ungern ich auch die Pflegekräfte mittels Alarmknopf holte, in diesem Fall hielt ich es für angebracht, nicht selbst das Unheil noch zu vergrößern, sondern Hilfe in Anspruch zu nehmen. Um es kurz zu machen: Ich hatte ins Bett gemacht, allerdings war es sehr dünne Flüssigkeit und die Nachtschwester versicherte mir, dass ich das im Schlaf ganz einfach nicht merken hätte können, dass ich Patient und im Krankenhaus sei, eine schwere Operation hinter mir hätte und dass ich mich für nichts schämen müsse.

Als ich gesäubert wieder in meinem Bett lag und auf den Schlaf wartete, fiel mir auf, für wie selbstverständlich ich es immer gehalten hatte, Ausscheidungsvorgänge, Körperhygiene und überhaupt die täglichen Dinge wie Duschen, Hände waschen, Pinkeln gehen, selbst und diskret zu erledigen, ohne überhaupt darüber nachzudenken. Und nun, auf einmal auf Hilfe sogar beim Abwischen nach dem Stuhlgang angewiesen, konnte ich es mir nicht leisten, irgend etwas zu peinlich zu finden. Nun konnte ich mich nicht dagegen wehren, dass mein Körper keine Rücksicht auf meine Hemmschwellen nahm. Natürlich versicherten mir die Pflegekräfte, dass sie mit allen menschlichen Befindlichkeiten und Ausscheidungen umzugehen gelernt hatten, dass ich mich nicht schämen müsse und wirklich in meinem Zustand nichts dagegen tun konnte. Aber wesentlich leichter fiel es mir trotzdem nicht, mich damit abzufinden.

Für die nächsten Nächte und während der Schlafphasen der Tage zumindest trage ich nun ein vermutlich absolut sexy wirkendes Höschen mit Einlage, damit im Fall des Falles nicht das ganze Bett frisch bezogen werden muss.

Nach solchen Nächten kommen dann Tage, die sowieso ja andere Anstrengungen und Unbill mit sich bringen … zusätzlich die Tatsache, dass wenig Schlaf möglich war … da schreibt man dann nichts mehr auf.

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Sonntag, 1. April 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 2

25. März 2012, 11 Uhr

imageChronologisch aufschreiben, wie alles kam und verlief … für heute scheint mir das noch zu anstrengend. Statt dessen notiere ich ein paar herausragende Empfindungen, besondere Momente, wertvolle Dinge, die ich nicht vergessen möchte, wenn ich irgendwann wieder zu Hause sein werde.

  • Der tägliche Besuch von Eva, so traurig und entkräftet sie auch aussieht, gibt mir Kraft und Mut und Entschlossenheit: Ich will durchhalten. Vor allem in den Tagen vor der Operation waren diese Stunden mit ihr an meinem Bett unschätzbar wertvoll, um nicht zu verzweifeln. Ich hätte ihr gerne mehr erzählen wollen, fragen wollen, reden wollen, aber alle paar Minuten fielen meine Augen zu … sie war trotzdem da, hielt meine Hand, und Liebe strömte in mich hinein.
  • Besuche von Teresa und meinen Söhnen, Sam auch mit Tanja und einmal sogar den Enkeln - Vico hat es bis an mein Bett auf der Intensivstation geschafft, weil die Schwester gerade abgelenkt war. Niki durfte dann leider nicht mehr herein, schade, aber Tanja hat Videobotschafterin zwischen ihm und mir gespielt … immerhin. Sam nimmt Eva und mir auch eine wichtige Arbeit ab, die termingebunden ist, das ist mir eine gewaltige innere Entlastung, diese Sorge los zu sein. Wichtiger noch als diese ganz praktische Entlastung: Ich sehe all diejenigen, für die es sich weiter zu kämpfen und weiter zu leben lohnt. Ich bin nicht allein, da gibt es eine Familie, die ich liebe und die mich liebt.
  • Die Besuche meines Freundes und Pastors Martin, der zuhört, keine theologischen Patentrezepte aus der Tasche zieht, zugibt, dass er Gottes Handeln oder Nichthandeln nicht verstehen kann. Der für mich am Bett betet - selbst kann ich nicht glauben oder beten, sondern nur hoffen und gegen die Mutlosigkeit kämpfen. Es tut trotzdem ungeheuer gut, dass Martin für mich an höchster Stelle vorspricht, samt der ganzen Gemeinde bei den sonntäglichen Gottesdiensten.
  • Der Besuch meines Freundes Harald. Ich darf endlich weinen, meine Sorge um Eva, die immer erschöpfter und trauriger wirkt, obwohl sie versucht, mir Mut zu machen, aussprechen und ich darf schwach sein, weinen, weinen. Mein Freund ist da und er versteht. Und er erinnert mich, dass der emergente Jesus nicht weniger Kraft hat als der charismatische Jesus. Womöglich sogar viel mehr Kraft, weil nämlich die ausbleibenden falschen Hoffnungen und Versprechungen vor tiefen und großen Enttäuschungen schützen und das angestrengte, qualvolle „ich muss mehr glauben!“ wegfällt.
  • Die vielen, wirklich vielen E-Mails und Facebook-Nachrichten, die Eva mir täglich ausgedruckt mitbringt, zeigen mir, wie viele Menschen hinter uns stehen und mit uns leiden und uns mit allen Mitteln, die sie haben, unterstützen. Ich lese die Seiten, wenn Evas Besuch vorüber ist und oft genug fließen die Tränen der Dankbarkeit über so viel Anteilnahme. Ich bin vor allem auch für Eva froh, dass ihr Mut gemacht wird. Ich freue mich über Menschen, die nicht gläubig in irgend einer typisch christlichen Weise sind, und die für mich und uns „zum Universum“ oder wohin auch immer beten - das ist so kostbar! Oder die Daumen drücken, bis sie platt sind - danke!
    Ich lese die vielen Seiten mehrmals. Und schöpfe Kraft und Hoffnung. Und meine Dankbarkeit wächst.

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Samstag, 31. März 2012

Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus /// Teil 1



Darmkrebs. Intensivstation. Darmverschluss seit mehreren Tagen, die Gefahr, dass der mittlerweile auf 15 Zentimeter  Durchmesser aufgeblähte Darm reißt oder bricht, ist akut. Ein lebensbedrohender Zustand. Notoperation wird vorbereitet, aber ein Chirurg hat noch eine Idee, eine Hoffnung, wie mir vielleicht, nicht wahrscheinlich aber immerhin auch nicht ausgeschlossen, ein künstlicher Darmausgang erspart werden kann...

Dass sich durch solche Erlebnisse, wenn sie überstanden sind und auch schon während die Krise andauert, im Leben innerlich wie äußerlich einiges ändert, liegt auf der Hand. Mein Leben, das mir geschenkte zweite, das Weiterleben, ist anders. Bleibt anders. Das wird sich auch auf diesem Blog, der in der Zukunft wieder mehr zu einem persönlichen Tagebuch wird, bemerkbar machen. Ich schreibe auf, was ich nicht vergessen will, für mich selbst zunächst einmal, und wer es lesen möchte, ist herzlich eingeladen. Wer weiß, vielleicht ist sogar für den einen und den anderen etwas dabei, was ihm hilfreich werden kann.
Die ersten Aufzeichnungen, die hier in den nächsten Tagen zu lesen sein werden, sind bereits im Krankenhaus entstanden, ich werde sie so,wie sie mir in den Sinn kamen, bloggen. Unsortiert, ungefiltert, ungeschminkt.Für mich, für später, gegen das eigene Vergessen. Und für diejenigen, die es interessiert.

Am 15. März wurde ich mit dem Notarztwagen in das Universitätsklinikum Benjamin Franklin in Berlin Steglitz gebracht. Am 31. März zu mittäglicher Stunde ging es wieder nach Hause. GJM, der Blogger, ist wieder da und sagt seinen Lesern nach der langen Pause guten Tag mit dem ersten Teil der Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus.

24. März 2012, 17 Uhr

Plötzlich steht alles still, was so lange und so ungehindert in Bewegung war, auf einmal ist alles Wichtige vollkommen nebensächlich und was im Alltag so gut wie keine Beachtung fand, ist mit einem Schlag entscheidend wie nichts anderes. Das Überleben der nächsten Stunden und Tage rückt nach vorne, alles andere verschwindet im Nebel der Bedeutungslosigkeit.

So ging es mir, als feststand, dass ich an einem Darmkrebs erkrankt war und der Darm bereits seit mehreren Tagen, fast einer Woche wohl, vollständig verschlossen war. So ging es mir, als ich literweise Kot erbrechen musste, als schon das Luftholen zwischen dem Würgen zur Willensanstrengung wurde. Der Darmdurchmesser auf 15 Zentimeter aufgebläht, viel konnte da bis zum Platzen nicht mehr fehlen, und um den Druck zu mindern führten die Ärzte auf der Intensivstation immer wieder äußerst aggressive Abführmaßnahmen durch,damit ich noch mehr und noch mehr Kot erbrechen konnte, denn die Magensonde allein schaffte die Mengen nicht, obwohl sie pausenlos Braunes in die Beutel transportierte. Flüssigkeit und ich weiß nicht was für Medikamente wurde durch die Infusionen in meinen Körper zugeführt,der mittlerweile zu schwach war, um noch viel mehr zu tun als auf dem Bett zu liegen.

„Er ist ansprechbar“, wurde meiner Frau, der besten aller Ehefrauen, nach einer dramatischen Nacht am Telefon gesagt, was gar nicht mal so falsch war, denn ansprechen kann man ja jeden. Die Frage ist, ob derjenige zu antworten in der Lage ist. Das Telefon zu mir herüberreichen wäre wohl gegangen, aber ein Gespräch wäre daraus in jenen Stunden kaum geworden.


Während ich jetzt diese Zeilen schreibe, es ist Samstag, der 24. März 2012, liege ich auf der Chirurgischen Station, die dreieinhalbstündige Operation wurde am vergangenen Mittwoch, dem 21. März 2012, durchgeführt. Nun fehlt mir ein Stück Dickdarm mitsamt zwei aprikosengroßen Tumoren, und die will ich auch nicht wieder haben. Vom Operationstag bis zum Donnerstagnachmittag behielten mich die Ärzte auf der Intensivstation, dann waren sie wohl so weit mit meinem Zustand zufrieden, dass sie einer Verlegung in den „normalen“ Krankenhausbetrieb zustimmten. Es war in den Stunden vor, während und nach der Operation so vieles so unwahrscheinlich positiv verlaufen, dass es an Ignoranz grenzen würde, hier noch von Zufall oder „Glück gehabt“ sprechen zu wollen. Das Wort Wunder ist, ob jemand nun gläubig ist oder nicht, eher am Platz.

Habe ich gebetet in jenen schlimmsten Stunden zwischen Leben und Sterben, die so um den Samstag und Sonntag vor der Operation lagen? Nein. Dazu war ich nicht in der Lage. Ich habe in den mehr oder weniger wachen Augenblicken meine Frau vor Augen gehabt, die ich nach der tragischen Familiengeschichte der vergangenen Jahre nicht allein zurücklassen wollte. Ich habe gelegentlich schwarz gesehen, Trauerflor, erschütterte Gesichter meiner Familie und mich gezwungen, die Bilder immer wieder wegzuschieben. Ich wollte leben. Die Schmerzen waren grauenhaft trotz hochdosierten großzügigen Gaben dessen, was die pharmazeutische Forschung zustande gebracht hat, manchmal dachte ich, es wäre besser, alles ginge jetzt zu Ende, aber nein: ich wollte leben.

Ich lebe. Und ich schreibe erst einmal ziemlich ungeordnet auf, was so an Bildern, Erinnerungen, Eindrücken auftaucht, um es nicht zu vergessen. Ich habe noch ungefähr zehn Tage im Krankenhaus und dann eine Rehabilitation vor mir, kenne noch keine Resultate, was die Tumorproben betrifft, die ins Labor geschickt wurden (die können den weiteren Behandlungsverlauf ab heute auf ca. 10 Wochen verkürzen oder auf viele Monate verlängern). Ich fange heute an, aufzuschreiben, werde morgen vielleicht die Entwicklung bis zu Operation zu notieren versuchen, oder darüber nachsinnen, wie viel es mir bedeutet, dass so viele Menschen Anteil nehmend meine Frau gestützt und mir Segen und Gutes gewünscht haben. Wenn ich in hoffentlich spätestens zehn Tagen, gerne früher, wieder zu Hause bin, soll dieses erste Kapitel auf meinem Blog erscheinen. Nach und nach dann, was ich die nächsten Tage so notieren werde, falls die Kraft reicht. Jetzt ist sie erst einmal ziemlich aufgebraucht, das Schreiben im Bett ist doch anstrengender, als gedacht.

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Den gesamten Bericht über mein Leben seit der und mit der Krebserkrankung (regelmäßig aktualisiert und chronologisch) finden Sie hier: [Mein Leben seit dem Darmkrebs].
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Dienstag, 13. März 2012

Dieser Blog macht ...

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... Pause.

Denkpause? Neuerfindungspause? Krankheitsbedingtepause? Überarbeitetpause? Einfachnurpause?

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