Montag, 23. April 2012

Nebenbei und zwischendurch ein paar …

… von meinen Instagram-Kunstwerken.

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Wer meine Bilder daselbst suchen oder gar verfolgen möchte: gjmberlin ist der werte Instagram-Name.

Aber das nur so zwischendurch und nebenbei.

P.S.: Instagram ist dir kein Begriff, lieber Blogbesucher? Dann frag mal Tante Google. Die weiß fast alles.

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Samstag, 21. April 2012

Gut für die Seele

»Shopping for plants. Good for the soul.« Diese Inschrift hat die beste aller Ehefrauen auf Facebook dem Foto beigegeben, das sie heute im Pflanzenmarkt von meiner Wenigkeit aufgenommen hat:

Von den Olivenbäumen durfte dann allerdings keiner mit nach Hause, die waren nämlich entweder noch viel zu klein für den vorgesehenen Standort auf unserem Balkon, oder bereits über das gewünschte Maß hinausgewachsen. Es gab nur die kleinen (50 cm) und die riesigen (2 Meter und mehr).

Statt dessen hat nun eine Hanfpalme den Platz rechts neben der Türe zum Wohnzimmer eingenommen, die verträgt (behauptet die vor dem Einkauf studierte Fachliteratur) immerhin bis minus 15 Grad im Winter:

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Etwas kahl sieht noch die Pflanze aus, die links von der Sitzbank ihren Platz gefunden hat, ein Feigenbäumchen, das ebenfalls mit den Witterungsverhältnissen in Berlin zurechtkommen sollte, falls die Beschreibung im Pflanzenmarkt eine wahrheitsgemäße war:

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Unser Farn aus dem Garten von Freunden in Zehlendorf ist seit vielen Jahren Dauerbewohner unseres Balkons, der hat noch jeden Winter und jeden Sommer überlebt. Er wird auch von Jahr zu Jahr üppiger, noch ist er recht niedrig, aber im letzten Jahr streckte er sich schon auf halbe Türhöhe. Mal sehen, was ihm dieses Jahr so einfällt.

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Seit Jahren wollte ich statt eher exotischen Blütenpflanzen mal wieder eine simple, völlig langweilige und vermutlich altmodische Hängegeranie haben. Gestern vor dem Supermarkt wurden Geranien stehend und hängend für ganz wenig Geld vor dem Eingang feilgeboten – dieses noch zarte Pflänzchen fand seinen Weg in unseren Einkaufswagen und heute schließlich in das passende Gefäß auf unserem Balkon:

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Die beste aller Ehefrauen hatte schon während ich im Krankenhaus war eine Magnolie gekauft, die wohnt in dem Topf mit der orangen Glaskugel, und die kleine fette Henne kommt wie der Farn Jahr für Jahr wieder aus dem Winterschlaf zum Vorschein.

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Auf dem Fensterbrett in den Gefäßen sind ebenfalls Gewächse zu Hause, die schon mehrere Jahre bei uns und mit uns den Balkon genießen. So. Nun muss es nur noch richtig warm werden, alles gut sprießen und dann können wir die schon durch den Kauf von Pflanzen gekräftigte Seele in all dem Grün baumeln und sich erholen lassen. Ich bin fest entschlossen und die meiste Zeit auch zuversichtlich, dass ich noch viele Jahre Gelegenheit dazu haben werde.

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Donnerstag, 19. April 2012

Der erste Tag in der Rehabilitationsklinik

Das Gefühl, in guten Händen zu sein, ist für den Erfolg medizinischer und therapeutischer Maßnahmen sicher von nicht zu unterschätzendem Wert. Der erste Tag in der Rehabilitationsklinik des Auguste-Viktoria-Klinikums in Berlin hat mir ein solches Gefühl vermittelt, was nicht zuletzt daran liegt, dass sich erstmals seit ich von meiner Krebserkrankung weiß, eine Ärztin runde 90 Minuten Zeit genommen hat, um mich zu untersuchen und mit mir über die Krankheit, den bisherigen Verlauf, meinen Zustand und die nächste Zukunft zu sprechen. Diese Frau Dr. Brandis betreut mich während der drei Wochen, die ich voraussichtlich in der Rehabilitationsmaßnahme verbringe, als behandelnder Arzt weiter. Auch einige Fragen, die mich bezüglich der Chemotherapie quälen (wirklich quälen), konnte ich bereits stellen, dazu wird es weitere Gespräche mit Antworten geben, wurde mir heute zugesagt.

Andere Ärzte, sei es im Krankenhaus vor und nach der Operation, sei es in der Hausarztpraxis, haben sich auch Zeit genommen, zugehört, Fragen beantwortet, aber immer unter einem spürbaren Termindruck, der aus meiner Sicht auch völlig verständlich ist. Ich war und bin ja nicht der einzige Patient weit und breit, die Wartezimmer sind voll, im Krankenhaus herrscht Personalmangel … beschweren will ich mich nicht, habe auch keinen ernsthaften Grund dazu. Aber das heutige lange und in ruhiger, offener Atmosphäre geführte Aufnahmegespräch war eine wohltuend andere Begegnung mit einer Fachfrau.

Zuerst, nach meiner morgendlichen Ankunft, wurden ein Ermittlungen durchgeführt: EKG aufzeichnen, Blutdruck messen, Körpergewicht ermitteln, Blut zapfen … na ja, das übliche eben. (Warum wollte eigentlich niemand Urin haben? Kommt das vielleicht morgen dran?) Dann kam das Gespräch mit der Ärztin, anschließend ging ich zur Atemschule und lernte schon am ersten Tag, dass Atmen nicht gleich Atmen ist und wie die Atmung auf Anspannung des Körpers (Beine / Füße / Arme / Hände / Hals / alle zusammen) reagiert.

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Ihre Majestät, Königin (oder war sie Kaiserin?) Auguste Viktoria bewacht den Weg zur Kantine, daselbst bekam ich einen Hähnchenschenkel, Kartoffeln, Gemüse (Karotten/Erbsen) und zum Nachtisch einen Joghurt.

Anschließend durfte ich noch an einer Führung teilnehmen, während der ich erfuhr, in welchem Gebäude und wo dort genau welche Behandlungsräume zu finden sind, wo mein verschließbarer Spind sich befindet, dass ich mit dem Spindschlüssel auch meinen persönlichen Briefkasten im Untergeschoss öffnen kann (wo vielleicht wichtige Informationen zu finden sein könnten) und wie das mit den Flucht- und Rettungswegen so gedacht ist.

Zu guter Letzt lauschte ich nebst anderen heute aufgenommenen Patienten noch einem Vortrag über Inhalte und Ziele der Rehabilitation und was zu tun ist, wenn irgendwelche Maßnahmen oder Therapien dem Patienten nicht gut zu bekommen scheinen.

Und dann? Ja dann! Das ist das, was ich so wunderbar finde: Dann fuhr ich nach Hause, denn meine Rehabilitation ist eine ambulante. Circa sechs Stunden pro Tag bin ich in der Klinik, der Rest des Lebens spielt sich ohne Kasernierung ab. Darüber bin ich sehr froh.

Morgen werde ich, so der Plan, unter anderem in den Genuss von »PC Ausgleichstraining«, »Atemschule 2«, »Gehtraining (bitte warm anziehen)« und einer »Wirbelsäulen-Gruppe« kommen. Na denn!

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Dienstag, 17. April 2012

Das Leben verlängern oder verkürzen mit einer einzigen Entscheidung

Das Bewusstsein unserer Sterblichkeit ist ein köstliches Geschenk, nicht die Sterblichkeit allein, die wir mit den Molchen teilen, sondern unser Bewusstsein davon. Das macht unser Dasein erst menschlich. -Max Frisch, Tagebuch
Was gibt es nicht alles für schlaue, weniger schlaue und ziemlich dumme Sprüche und Aphorismen über das Sterben und den Tod. Es lässt sich ja auch ziemlich leicht über etwas schwadronieren, was weit weg zu sein scheint. Ganz anders sieht es aus, wenn das Bewusstsein der eigenen Sterblichkeit nicht eine ferne Theorie ist, sondern zu einer Tatsache wird, die unerwartet nah sein könnte.

Ich weiß nicht, wie viele Jahre mir auf dieser Welt noch bleiben. Ich hoffe und wünsche mir, dass es sehr viele sind. Aber ich komme nun auch nicht mehr an den Fakten vorbei, dass es für Darmkrebspatienten, auch wenn der Tumor operativ vollständig entfernt wurde, ein von Statistik zu Statistik unterschiedlich hohes Risiko einer erneuten Krebserkrankung gibt. Nur derjenige, der die ersten fünf Jahre nach der Operation ohne erneutes Auftreten von Krebs übersteht, hat relativ gute Chancen, wirklich geheilt zu sein.
Es wurde bei meiner Operation – soweit ich das, was die Ärzte erklärten und was ich am Befund selbst entziffern kann – sämtliches vom Krebs befallene Gewebe entfernt. Restlos. Keine Metastasen, keine weiteren Tumore sind im Körper verblieben. So weit, so gut.

Jedoch kann es sein, so die Mediziner, dass einzelne Krebszellen, die mikroskopisch nicht festzustellen sind, irgendwo verblieben sind. Verblieben sein könnten. Möglicherweise, vielleicht, unter Umständen … feststellen kann man das schlicht und einfach nicht. Daher ist die Standardprozedur (mir sagte man im Krankenhaus: »Das macht man eben so.«) eine »adjuvante Chemotherapie«. Dabei wird der Körper auf Verdacht hin, dass es womöglich irgendwo solch eine oder mehrere Zellen geben könnte, über sechs Monate mit starkem Gift »beschossen«.

Die Nebenwirkungen sind unstrittig, die habe ich auch schwarz auf weiß vom Krankenhaus mit nach Hause bekommen. Sie treten unabhängig voneinander auf und können ganz ausbleiben oder in verschiedener Stärke (von mild bis tödlich) auftreten: Veränderungen im Knochenmark führen zu Blutbildveränderungen, daher erhöhte Anfälligkeit für Infektionen; Übelkeit und Erbrechen; Appetitlosigkeit; Erschöpfung; Haarausfall; Schleimhautentzündungen; ein paar weitere Nebenwirkungen gibt es auch noch.

Strittig ist der Erfolg. Laut einer Untersuchung in Australien und den USA aus dem Jahr 2005 wird der Gesamtbeitrag adjuvant angewandter zytotoxischer Chemotherapien zur Fünf-Jahres-Überlebensrate bei Erwachsenen auf 2,3 % in Australien und 2,1 % in den USA geschätzt. Der Facharzt im Klinikum Steglitz, der mich vor der Entlassung noch aufsuchte, um mir die adjuvante Chemotherapie zu empfehlen, behauptete, dass eine Verbesserung um 10 bis 15 % möglich sei.

Über die mittel- und langfristigen Schäden, die eine solche Chemotherapie auslöst, gibt es schlicht und ergreifend noch keinerlei verlässliche medizinische Forschungsergebnisse. Dazu ist das Prozedere noch zu neu.

Question MarkUnd nun? Nun sitze, stehe und liege ich da und weiß nicht, was richtig und was falsch ist. Natürlich möchte ich alles tun, um meine Jahre auf der Erde zu verlängern, nichts versäumen, was womöglich positive Wirkung hätte. Aber alles in mir sträubt sich gegen den Gedanken, in die adjuvante Chemotherapie einzuwilligen.
Das Leben verlängern oder verkürzen mit einer einzigen Entscheidung – um nichts weniger könnte es gehen. Muss nicht sein, könnte aber sein. Das ist kein angenehmer Zustand.

Ein wenig Zeit bleibt ja noch. Am Donnerstag beginnt meine ambulante Rehabilitation; vor Ort stehen mir dann – so die Ankündigung – auch Fachärzte zur Verfügung, mit denen ich über die Histologie und das weitere Vorgehen sprechen kann. Und am Dienstag der kommenden Woche habe ich einen Termin bei einer onkologischen Praxis zur Beratung über den gleichen Sachverhalt. So werde ich zumindest zweierlei von einander unabhängige Meinungen zu hören bekommen.

Am liebsten hätte ich so eine Schrift an der Wohnzimmerwand nach biblischem Vorbild des Menetekel: »Mach die Chemotherapie.« oder »Lass das bloß sein!«. Aber man bekommt ja selten das, was man am liebsten hätte …
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Montag, 16. April 2012

Seine Majestät, der Kaiser …

… von Japan, hat uns in Berlin Lichterfelde, als die Mauer zwischen uns und der DDR entfernt war, mit einer mehrere Kilometer langen und von Jahr zu Jahr ansehnlicher werdenden Allee von Kirschbäumen beschenkt. Auf dem Streifen Land zwischen Teltow (links im Foto) und Berlin Lichterfelde (rechts auf dem Bild) stand sie, die Mauer.

Gestern wollte ich doch mal sehen, ob nicht bald mit der Baumblüte gerechnet werden kann. Die Allee sah so aus:

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Mit den Kirschblüten wird es also noch ein Weilchen dauern.

Aber es war auch nicht so, dass noch gar nichts blühen würde. Unser nachmittäglicher Spaziergang brachte meine Kamera und mich zu weißen Blüten …

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… und rosarot geschmückten Pflanzen …

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… ein frisches kräftiges Gelb hier und dort fehlte auch nicht …

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und kurz bevor wir wieder zu Hause waren fand die beste aller Ehefrauen dann noch dieses nette Farbenspiel:

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Es wird also langsam aber sicher doch Frühling in Berlin.

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Sonntag, 15. April 2012

Nein danke, Herr Baudelaire

Das Leben ist ein Hospital, in dem jeder sein Bett wechseln möchte.
-Charles Baudelaire, französischer Schriftsteller *09-Apr-1821, † 31-Aug-1867

Nicht ganz, lieber Herr Baudelaire, würde ich antworten, wenn besagter Herr das heute und in meiner Gegenwart geäußert hätte. Denn ich möchte das Bett eigentlich nicht wechseln, falls ich mich in einem metaphorischen Hospital befinden sollte.

Glücklich aus dem Krankenhaus entlassen wieder zu Hause am 31.3.2012 Sicher könnte es mir vielleicht besser gehen, wenn ich einen anderen Platz im Leben einnehmen würde, theoretisch wäre das allemal denkbar. Ich könnte, dem Gedankenspiel folgend, zum Beispiel der aller materiellen Sorgen enthobene Sohn eines Multimillionärs sein, meine Zeit ausschließlich für Tätigkeiten verwenden, die mir Freude machen, mein Interesse und meine Begeisterung wecken. Ich könnte auch das Bett von jemandem einnehmen, der keinen Krebs bekommt, nie im langen und gesunden Leben bekommen wird.

Aber. Aber abgesehen davon, dass beim Bettentausch ja wohl keineswegs die Gewissheit gegeben wäre, dass ich in ein »besseres« Schicksal hinein wechseln würde (wie viele reiche Menschen bringen sich um oder saufen sich langsam ins Grab, wie viele körperlich gesunde Menschen sind innerlich totunglücklich?), abgesehen davon würde mir vieles fehlen, was mir wichtig und wertvoll ist.

Hätte ich nach dem Bettentausch meine Familie um mich? Wäre da die beste aller Ehefrauen an meiner Seite, in guten wie in schlechten Tagen, in sehr guten wie in hundsmiserabel schlechten Tagen? Wären da meine Kinder samt Ehefrauen und Enkeln? Wäre da Teresa, wären da all die guten Freunde, wären da die vielen Menschen, die mein Leben auf unterschiedliche Weise bereichern?

Und hätte ich all die bösen und guten Stunden und Tage und Wochen und Monate erlebt, die mich geprägt haben, die mein Denken, mein Glauben, mein Wissen geformt und geprägt haben? Könnte ich so wie jetzt in diesen Tagen das Alltägliche als wunderbares Geschenk begreifen und mich daran freuen? Wäre ich dankbar, wäre ich zufrieden, wäre ich ich?

Lieber Herr Baudelaire, Sie sehen schon: Das Wechseln des Bettes gehört zu meinen Wünschen im Hospital des Lebens nicht. Ich würde mein Leben und mein Erleben nicht hergeben wollen. Ich bin dankbar für das, was ich genießen und erleben darf, ich bin zufrieden mit dem, was das Leben mir trotz aller Widrigkeiten oder gerade auch in allen Widrigkeiten gebracht und gezeigt hat.

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Freitag, 13. April 2012

Von der Relativität des Befindens

»Es geht mir gut«, sagt der eine. »Es geht ihr sehr schlecht«, beurteilt jemand den Zustand einer anderen. Dabei mag letztere Dame selbst der begründeten Meinung sein, es ginge ihr gut, während der Erstgenannte aus der Sicht seiner Mitmenschen ziemlich erbärmlich dran sein könnte. Und alle haben irgendwie gleichzeitig recht. Die Ampel leuchtet nicht einfach rot oder grün, nein nein, so leicht ist es nun einmal nicht.

Während der Wochen im Krankenhaus ging es mir nicht gut, objektiv gesehen zumindest, denn wenn es jemandem gut geht, besteht in der Regel keine Veranlassung für einen Aufenthalt im Krankenhaus, Pflege auf der Intensivstation oder Durchführung einer vierstündigen Operation. Doch ging es mir mehrmals durch den Kopf, dass es mir mit einigen Mitpatienten verglichen richtig gut ging.

Da war der Komapatient, der Wochen zuvor aus der Narkose nicht wieder zu sich gekommen war. Täglich bekam er Besuch von seiner Frau, meist kam auch der Sohn. Die beiden erzählten ihm, was sich so im Alltag ereignete, wer einen Brief oder eine Karte geschrieben hatte, wie sich im Garten die ersten Knospen zeigten. Und der Patient reagierte nicht, nicht einmal ein Zucken des Mundes oder eines Fingers konnte als Zeichen gedeutet werden, dass er irgend etwas mitbekam. Die Pflegekräfte sprachen ebenfalls mit ihm, erklärten jeden Handgriff. »Ich wechsle jetzt den Verband … wir drehen Sie jetzt auf die andere Seite … das wird jetzt kalt auf der Haut, wegen des Desinfektionssprays … ich muss Ihnen Blut abnehmen, das piekst gleich ein wenig.« Ich vermochte nicht zu sagen, wer mir mehr leid tat, der Patient oder seine Familie. Aber verglichen mit diesem Mann ging es mir gut.

Da war die serbische Frau auf der Intensivstation (dort werden die Räume nicht nach Geschlechtern getrennt belegt), die wohl nichts oder nur ein paar rudimentäre Brocken von dem verstand, was Ärzte oder Pflegepersonal ihr sagten oder von ihr wissen wollten. Sie war, wenn sie nicht schlief, stets und ausschließlich schlecht gelaunt, brüllte vernehmlich »will nix haben!« oder »nein!«, sobald jemand sie berührte, versuchte ständig, sich vom zentralen Venenkatheder oder anderen medizinischen Vorrichtungen zu befreien … Besuch hatte sie niemals, so lange ich auf der Intensivstation war. Eine der Putzfrauen konnte ein paar Worte mit ihr wechseln, das war alles, was an Kommunikation gelang.

Da war der Patient auf der Chirurgie, der Tag und Nacht, rund um die Uhr, alle zwei Stunden (zu Hause mit Hilfe seiner Frau) seinen künstlichen Darmausgang reinigen und den Auffangbeutel wechseln musste. Seit inzwischen sechs Monaten. Man muss sich das vorstellen: Schlafen gehen mit dem Wissen, dass in zwei Stunden der Wecker klingelt. Weiter schlafen mit dem gleichen Wissen. Egal, wo man ist, was man tut oder nicht tut, alle zwei Stunden … fürchterlich. Er wurde am Tag meiner Entlassung aufgenommen, wir lernten uns nur flüchtig kennen. Es sollte nun der zweite operative Versuch unternommen werden, den natürlichen Darmausgang wieder zu aktivieren, eine vorangegangene Operation hatte nicht das erhoffte Ergebnis gehabt. Verglichen mit diesem Mann ging es mir, da mir der künstliche Darmausgang erspart geblieben und die Operation ohne nachträgliche Komplikationen verlaufen war, rundum gut.

Da waren noch so manche anderen Patienten, deren Schicksal mir so leid tat, dass mir mitunter das Herz schwer wurde, weil ich nichts tun konnte, um ihren Zustand auch nur ein wenig zu verbessern. Mein Mitleid machte es auch nicht besser für diese Menschen, aber es schärfte mir den Blick für die eigene Situation und die vielen oft so klein scheinenden Schritte zur Genesung, die ich an mir beobachten konnte: Gestern konnte ich nur zehn Minuten auf den Beinen sein, heute schon 15. Gestern habe ich das Joghurt wieder erbrochen, heute blieb es im Magen.

Wann geht es einem Menschen also gut, wann geht es ihm schlecht? Und wie geht es mir heute?

Gut, würde ich sagen, verglichen mit diesem oder jenem Mitmenschen. Zwar liegt vor mir womöglich noch eine Chemotherapie, deren Nutzen zweifelhaft, deren Nebenwirkungen felsenfest sicher sind – falls ich mich ihr unterziehe. Seit heute erst habe ich die schriftlichen Befunde (die zu verstehen und zu interpretieren mir als medizinischem Laien nicht gelingt). Nächste Woche werde ich mit meinem Hausarzt und dann gegen Ende der Woche mit Fachärzten über die Befunde und Sinn und Unsinn der Chemotherapie reden können. Das liegt vor mir, womöglich. Vor mir liegt auch ein Leben mit der Möglichkeit, dass der Krebs irgendwann irgendwo im Körper wieder auftaucht. Das muss nicht so sein, ich bin auch zuversichtlich und voller Hoffnung, dass es nicht passiert – aber die Wahrscheinlichkeit ist nun einmal größer als bei einem Menschen, der noch nie Krebs hatte. Dennoch: Es geht mir gut, verglichen mit anderen Menschen, die zum Beispiel mitten im Bürgerkrieg in Syrien leben, in Japan den Folgen der Atomverstrahlung nach dem Tsunami wehrlos ausgeliefert sind, Opfer von Gewalttaten oder Unfällen werden … Tag für Tag und überall gibt es schlimmere Schicksale als meines.

Daher geht es mir gut. Darum habe ich genug Grund, dankbar zu sein, mich zu freuen, Gutes ganz bewusst zu genießen und Alltägliches zu schätzen, weil es zwar alltäglich, aber nicht selbstverständlich ist.

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Mittwoch, 11. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Ende

Welcher Idiot hat Ihnen denn das gegeben?

Meine letzte Mahlzeit hatte ich am 14. März zu mir genommen und am 15. morgens wieder erbrochen. Als ich dann am dritten postoperativen Tag, also am 24. März zum ersten Mal wieder etwas anderes als künstliche Ernährung per Infusion zu mir nehmen durfte, nämlich einen schlichten Magerjoghurt ohne Fruchtzusatz, war das ein kleiner Sieg, ein weiterer kleiner Schritt zurück in Richtung normales Leben. Dann kam die erste klare Brühe, der erste Haferschleim … dann Joghurt mit Frucht, dann Gemüsesuppe, das erste Mal Brot … vor der Erkrankung war Nahrungsaufnahme eine Selbstverständlichkeit, Gedanken machte man sich höchstens in Richtung »was essen wir morgen« oder »welches Restaurant besuchen wir«, und nun war der Vorgang des Essens auf einmal etwas, worüber ich mich freuen konnte, wofür ich dankbar war.

image Zunächst plagte mich noch ziemliche Übelkeit, nach jeder Mahlzeit, so klein sie auch ausfallen mochte, wurde die Übelkeit schlimmer, es kam der gefürchtete Schluckauf unweigerlich dazu, der oft stundenlang anhielt und mehr als einmal musste ich einen Teil des Gegessenen nach ein oder zwei Stunden wieder erbrechen. Ich bekam Medikamente gegen die Übelkeit, und nach und nach, jeden Tag ein kleines bisschen, ging es mir beim und nach dem Essen ein wenig besser. Ich kann mich lebhaft an den glücklichen Abend erinnern, als ich eine ganze Brotscheibe mit Butter und Käse schaffte und anschließend keinen Schluckauf bekam, es stellte sich keine Übelkeit ein und ich schlief ohne die Angst ein, gleich nach dem Beutel auf dem Nachttisch greifen zu müssen, der zum Auffangen des Mageninhaltes bereit lag.

Auch die »Spaziergänge« auf dem Gang wurden täglich etwas länger, gelangen mit weniger Schweißaufwand, aus 20 Minuten Bewegung wurden 30, dann 40 … lauter kleine Fortschritte, alle in die richtige Richtung, denn ich wollte nur eins: Zügig zu Kräften kommen, bald nach Hause.

Am 29. März wurde endlich der Schlauch entfernt, der links aus dem Bauch kam und der Drainage diente. Es war reichlich Wundsekret, in den ersten Tagen nach der Operation auch Blut, abgeflossen, und das Problem, dass ständig Nachthemd und Bettzeug feucht oder nass waren, weil Flüssigkeit nicht nur durch den Schlauch, sondern auch am Schlauch vorbei durch das Loch in der Haut abfloss, konnte bis zum Schluss trotz allerlei Variationen des Verbandes und zusätzlicher Drainageumhüllungen nicht wirklich behoben werden. Als dann der Schlauch gezogen worden war, konnte wenigstens ein Druckverband auf der Wunde angebracht werden, der bei regelmäßigem Wechsel nicht durchnässte.

Was die Klammern in der Operationsnaht betraf, erlebte ich wieder mal die kuriosesten Widersprüche. Mein Chirurg meinte am 29., als die Drainage entfernt war, bei der Untersuchung der Naht: »Die Klammern können morgen raus, sagen Sie der Schwester bitte Bescheid.« Das tat ich. Die Stationsschwester (Frühdienst) erklärte: »Nein, auf keinen Fall, das geht frühestens am 10 Tag nach der Operation.« Die Stationsärztin kam am Nachmittag vorbei, ich fragte sie wegen der Klammern und bekam die Antwort: »Die hätten ja, zumindest jede zweite, schon gestern entfernt werden können. Ich schreibe das nachher in Ihre Akte, dann kann das morgen früh erledigt werden.« Als die Schwester im Spätdienst gegen 17 Uhr zum Verbandwechsel der Drainagewunde kam, schaute sie sich die Naht an und meinte: »Die Klammern müssen aber raus, das ist ja schon ganz rot geworden.« Am nächsten Morgen meinte eine andere Chirurgin: »Nein nein, die lassen wir alle drin, das kann dann, falls Sie am Wochenende entlassen werden, der Hausarzt machen.«

Was soll man als Patient machen, außer sich das alles anhören und zu dem Schluss kommen, dass niemand von den Fachkräften so recht weiß, wann und ob solche Klammern entfernt werden können, dürften, sollten. Letztendlich ging es so aus, dass am Tag der Entlassung, also am 31. März, morgens jede zweite Klammer entfernt wurde.

Ähnliches erlebte ich mit den Ernährungsratschlägen. Ein Diätassistent kam auf Anforderung zu mir, um mir die Ernährung für die nächsten Wochen und lebenslange Einschränkungen zu erläutern. Ich bekam von ihm auch eine schriftliche Liste in die Hand gedrückt, auf der es unter anderem heißt:

Trinkmenge maximal 1500 ml pro Tag, zwischen den Mahlzeiten, kleine Mengen, ggf. schluckweise. … Ernährung eiweißreich, fettreich, lactosearm … ungeeignete Lebensmittel u. a.: Handelsübliche Milcherzeugnisse (Fruchtjoghurt, Fruchtquark) …

Nun bekam ich drei oder vier Fruchtjoghurt pro Tag hingestellt und die Krankenschwestern lagen mir dauernd in den Ohren, ich müsse mehr trinken, 2 Liter sei das mindeste, besser wäre 3 Liter pro Tag. Als ich der Stationsschwester dann, als sie mich ermahnte, mehr als die 2 Liter, die ich bereits notiert hatte, zu trinken, das Dokument zeigte, war sie ziemlich entsetzt. »Welcher Idiot hat Ihnen denn das gegeben? Das wäre etwas für jemanden, dem der Magen entfernt worden ist, aber doch nicht für Sie! Ihnen fehlt ein großes Stück Dickdarm, da kann man doch nicht mit einer Dumping-Prophylaxe arbeiten!«

Sie beriet sich dann sofort mit dem Ärzteteam und ich bekam anschließend eine Ernährungsliste, die so gut wie gar nichts mehr mit dem zu tun hatte, was der Fachmann von der Abteilung Ernährungsberatung mir gegeben hatte.

Schließlich konnte ich am 31. März, nach vielen kleinen Fortschritten in den Tagen nach der Operation und auch etlichen Rückschlägen und schwierigen Tagen (ich hatte hier bereits über den Wechsel von der Schmerzmittelpumpe zu oralen Medikamenten berichtet) nach Hause entlassen werden. Dankbar für die insgesamt überraschend zügige Erholung und für das neue Leben, das für mich mit dem Tag der gelungenen Operation begonnen hat.

Vieles ist heute noch offen und unklar. Die Histologie liegt noch immer nicht vor, daher kann über Anschlussbehandlungen (Chemotherapie zum Beispiel) noch nicht gesprochen und entschieden werden. Eine Rehabilitationsmaßnahme ist beantragt, aber ich weiß bisher nicht, wann sie gegebenenfalls beginnen kann und wie lange sie dauert. Die Operationswunde nässt nur noch wenig, ist aber immer noch nicht völlig geschlossen. Ich bin dabei, schrittweise und ärztlich begleitet den Morphinkonsum abzubauen, was bisher sehr gut gelingt und in drei Wochen geschafft sein sollte. Dann kann ich auch auf die Abführmittel verzichten, die jetzt notwendig sind, weil Morphin nun einmal Verstopfung verursacht.

Also manches ist offen – aber ich bin glücklich und dankbar für das, was erreicht und geschafft ist. So soll es jetzt auch weiter gehen. Mein Wunsch ist, dass der Krebs nicht wieder auftritt, weder im Darm noch an anderen Organen. Ich möchte noch viele Jahre leben, mit der besten aller Ehefrauen glücklich sein und dabei dankbar bleiben, nichts mehr für selbstverständlich halten, was dem Menschen – wie ich erlebt habe – von einem Moment zum anderen entrissen werden kann. Möge Gott mir und uns helfen, dass diese Pläne für die Zukunft Wirklichkeit werden.

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Dienstag, 10. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 5

Norovirus? Clostridienkolitis? Oder eine Wohltat?

Der Arztbericht formuliert es so:

Am zweiten postoperativen Tag kam es allerdings zu heftigem Erbrechen und Durchfällen, sodass wir den Patienten bei V. a. Norovirusinfektion vorsorglich isolierten.

Wie sich dieses Erbrechen und die Durchfälle aus meiner Patientensicht ereigneten, hatte ich bereits am 2. April bei den Aufzeichnungen aus dem Krankenhaus hier kundgetan. Wer es noch nicht gelesen hat oder wegen der unappetitlichen Details noch einmal lesen möchte: [27. März, 14 Uhr]

Ziemlich Hals über Kopf wurde ich am frühen Vormittag nach den nächtlichen Übelkeits- und Durchfall-Attacken aus dem 3-Bett-Zimmer geschoben und fand mich kurz darauf in einem Zimmer für Privatpatienten wieder. Ein Flachbildfernseher von vernünftigen Ausmaßen hing in günstigem Winkel an der Wand, das Mobiliar war aus ansehnlichem Holz gefertigt, ich hatte ein eigenes Badezimmer mit Toilette und Dusche und – da Isolation angeordnet war – ich war allein im 2-Bett-Zimmer.

In Krankenhäusern geht man bei einem Verdacht auf Norovirus wohl heutzutage überall auf Nummer sicher. Ich erfuhr von der Schwester (die mit Mundschutz und Extra-Kittel zu mir kam), dass eine Dame der Reinigungskräfte, die auch im Zimmer, in dem ich vorher lag, sauber gemacht hatte, sich am Abend vorher wegen Erbrechen und Durchfall krank gemeldet hatte. Als nun bei mir nachts die gleichen Symptome auftraten, schrillten sofort die Alarmglocken: Norovirus!

Für einen von einer großen und schwierigen Operation geschwächten Organismus ist eine Virusinfektion natürlich noch wesentlich gefährlicher als für den gesunden Körper. Ich erfuhr sehr viel Aufmerksamkeit, regelmäßig wurden Kreislauf, Puls, Temperatur und Blutwerte kontrolliert. An den ersten beiden Tagen (und zugehörigen Nächten) kamen alle, Ärzte und Pflegekräfte, mit Mundschutz und Überkittel, ich war gehalten, bei meinen noch kurzen Gehversuchen auf dem Gang anderen Patienten weder die Hand zu geben noch ihnen überhaupt zu nahe zu kommen, die Teeküche war verbotenes Terrain für mich und meine Besucher wurden gebeten, von den Desinfektionsmitteln vor meinem Zimmer Gebrauch zu machen.

Mein Privatzimmer Nach zwei Tagen waren auf einmal die Masken und Extra-Kittel weg. Der Verdacht hatte sich offenbar nicht bestätigt. Die Stationsärztin erzählte mir etwas von Clostridienkolitis, allerdings eher halbherzig, als suche sie nach einer halbwegs stichhaltigen Begründung, mich nicht in ein 3-Bett-Zimmer zurück zu verlegen.

An dieser Stelle fällt mir etwas ein, was mir im Krankenhaus von der Aufnahmestation über die Intensivstation bis zur normalen Chirurgie aufgefallen ist: Die Mehrzahl der Patienten, soweit sie bei Sinnen und zurechnungsfähig sind, zeichnet sich durch ein gehöriges Maß an Undankbarkeit, rüpelhaftem Benehmen und Mangel an gesellschaftlichen Verhaltensmaßstäben aus. Ich habe mich mehr als einmal gefragt, woher Ärzte und Pflegekräfte eigentlich die Geduld und Ruhe nehmen, mit solchen Patienten geduldig und freundlich zu bleiben. Mir wäre da öfter mal die Hutschnur geplatzt, obwohl ich ja nur Zuschauer war.

Für mich stand von vorne herein fest: Diese Menschen, vom Reinigungspersonal über Pflegekräfte bis zu den Ärzten, wollen mir mit ihrer Arbeit helfen. Manches, was sie taten, hat mich gequält, mir Schmerzen bereitet, war mehr als nur unangenehm – aber ich wusste ja, dass dahinter nichts anderes stand als der Wunsch, mich einer Heilung und Genesung näher zu bringen. Daher habe ich, soweit es meine Kräfte zuließen, von der ersten bis zur letzten Minute im Krankenhaus jedem ein Lächeln geschenkt, immer danke und bitte gesagt, so oft wie möglich zum Ausdruck gebracht, dass ich die Dienste sehr zu schätzen weiß und so gut wie irgend möglich bei allem aktiv mitgemacht, was ich irgendwie unterstützen konnte.

Ich bin überzeugt, dass mein Verhalten allen Beteiligten gegenüber dafür ausschlaggebend war, dass man mir auch ohne eine medizinische Notwendigkeit das Einzelzimmer bis zum Tag der Entlassung gegönnt hat. Ich genoss dadurch ungestörte Nachtruhe, meine Besucher konnten in angenehmer Umgebung und ohne weitere Anwesende bei mir verweilen und mit mir reden, ich konnte auch am Tag hier und da ein Stündchen schlummern … es war eine Wohltat, ein Extra-Bonus, den ich zwar nicht verdient oder durch eine private Krankenversicherung finanziert hatte, den ich aber dankbar und gerne in Empfang nahm.

Eine Virusinfektion hatte es gar nicht gegeben. Es war ein Fehlalarm, Erbrechen und Durchfall waren lediglich Folgen der Operation gewesen. Ein Fehlalarm, der mir zum Segen wurde.

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Montag, 9. April 2012

Aufzeichnungen nach dem Krankenhaus /// Teil 4

»Ohne!«

In der Medizinern nun einmal eigenen Sprache heißt es:

Am 21.03. führten wir den Eingriff als Hemikolektomie links unter Mitnahme von Anteilen des Zwerchfells durch. Die Darmkontinuität wurde mittels Transversorektostomie wiederhergestellt. Die postoperative Behandlung erfolgte für einen Tag auf der Intensivstation.

Um 10 Uhr wurde ich am 21. März zum Operationstrakt gefahren. Zunächst wurde der Periduralkatheder gelegt, das ist eine Leitung, die wenige Millimeter vom Rückenmark entfernt endet, durch die dann nach der Operation eine Schmerzmittelpumpe Morphin und andere Medikamente direkt zu bestimmten Nervenbahnen führen kann. Dadurch entsteht ein tauber Gürtel rings um den Körper. Man hatte mir diese Methode sowie zwei andere für die Schmerzbehandlung vorgestellt, mir schien die automatische Variante trotz der genannten Risiken (Querschnittlähmung, Impotenz, Verlust von Gefühl in bestimmten Regionen … ) am praktischsten und ich unterschrieb nun die Belehrung, so dass der Zugang gelegt werden konnte.

Anschließend unterschrieb ich, dass ich über die Risiken und Nebenwirkungen der Narkose aufgeklärt worden war und um 10:30 Uhr schaute ich zum letzten Mal auf die Uhr über dem Durchgang zum eigentlichen Operationssaal. »Wir fangen jetzt an«, sagte jemand, und bevor ich noch ja oder nein dazu sagen konnte, war ich schon weggetreten aus dieser unserer Wirklichkeit.

Der Schnitt ein paar Tage späterDer Rest des Mittwochs ist ziemlich vernebelt in der Erinnerung. Um 15:30 kam ich kurz zu mir, bemerkte, dass ich mich wieder auf der Intensivstation befand und fragte mich, ob das ein schlechtes Zeichen sein mochte. Dann tauchte mein Chirurg in meinem Blickfeld auf, strahlte mich an und sagte: »Ohne!« Es dauerte wohl einen Moment, bis ich verstand. Ich fragte: »Kein künstlicher Darmausgang?« »Nein. Wir müssen abwarten, ob die Nähte halten und der Darm so zusammenwächst, aber erst einmal sind Sie ohne davon gekommen.« Ich wollte mich bedanken, aber die Augen fielen wieder zu.

Um 16:30 Uhr war dann Eva, die beste aller Ehefrauen, da. Sie hielt meine Hand, sah sehr müde aus, aber sie lächelte und es tat mir gut, dass sie da war. Viel zu reden war ich nicht in der Lage, immer wieder überwältigte mich der Schlaf ohne dass ich es wollte, aber immerhin brachte ich es fertig, sie zu fragen, ob ich ihr irgend etwas holen könnte, einen Tee vielleicht?

Ansonsten, wie gesagt, ist der 21. März in meiner Erinnerung nur bruchstückhaft und vernebelt vorhanden. Ich weiß noch, dass zwei Menschen vom Schmerzdienst kamen und mir erklärten, dass die Schmerzmittelpumpe in Betrieb sei und dass ich mich sofort melden solle, wenn ich Schmerzen hätte, die Krankenschwestern oder Ärzte würden dann rund um die Uhr jemanden vom Schmerzdienst erreichen und holen können.

Am nächsten Tag musste ich einige Male Gebrauch davon machen. Im Laufe des Vormittags stellten sich Schmerzen ein, die ziemlich rasch zunahmen. Da niemand von den Pflegekräften und auch niemand von den Ärzten die »sündhaft teure« Schmerzmittelpumpe bedienen oder irgend welche Einstellungen ändern wollten (»da gehen wir nie und nimmer ran, das machen nur die Spezialisten vom Schmerzdienst«), bekam ich zunächst Tropfen und dann über die Infusion zusätzliche Schmerzmittel. Die Spezialisten für die Pumpe kamen alle paar Stunden vorbei und am späten Nachmittag, als ich schon wieder auf der chirurgischen Station lag, war dann die richtige Dosierung gefunden.

Ich bin ja, da ich schon als Kind Karl May gelesen und mich mit Winnetou und Old Shatterhand verbündet hatte, überzeugt, dass ein Indianer (also ich) keinen Schmerz kennt (also nie und nimmer zugibt, dass er ebendiesen erleidet). Im Krankenhaus allerdings machten mir die Ärzte sehr ernsthaft klar, dass es der Heilung förderlich sei, wenn ich tatsächlich völlig schmerzfrei war, denn andernfalls verkrampft sich der Mensch, Indianer hin oder her, und ein verkrampfter Organismus heilt langsamer oder gar nicht an den entscheidenden Stellen.

Was, wie der Arztbericht formuliert, »am zweiten postoperativen Tag allerdings« passierte und inwiefern mir das zugute kam, obwohl es erst einmal ganz böse aussah, davon berichte ich dann in der nächsten Fortsetzung.

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