Sommer. Urlaub. Idylle. So weit, so gut.
Am frühen Vormittag kam - nennen wir ihn Paul - von einem langen Ausflug mit seinen Angeln, Ködern und Netzen zurück ins Ferienhäuschen und beschloss, ein Nickerchen zu machen. Die Utensilien ließ er im Boot, er konnte sie ja später noch verstauen. Gefangen hatte er sowieso nichts außer etwas Schlick und einem Tennisball.
Obwohl sie eher ungern ruderte, hielt es seine Frau - nennen wir sie Paula - für eine gute Idee, mit dem Boot ein Stück hinauszufahren und dort in der friedlichen Stille ein Buch zu lesen. Womöglich hatte das etwas damit zu tun, dass Paul, verlässlichen Quellen zufolge, zum Schnarchen neigte? Verlässlicher als die Ehefrau kann ja kaum eine Quelle sein, wenn es um nächtliche Gewohnheiten geht.
Jedenfalls ruderte Paula ein Stück hinaus, machte es sich bequem und begann zu lesen. Sie hatte noch nicht eimal fünf Seiten umgeblättert, als sie ein unschönes Knattern aus der Ferne vernahm. Nein, nicht ihr Paul. Um seine Geräusche wahrzunehmen, war sie zu weit hinausgefahren. Es klang eher wie ein Außenborder. Tatsächlich kam ein Wildhüter mit seinem Motorboot quer über den See gefahren und hielt neben ihr an.
»Guten Morgen gnädige Frau, was tun Sie hier?«
»Ich lese ein Buch«, antwortete sie und dachte: Ist das nicht offensichtlich, du Dösbaddel?
»Sie befinden sich in einem Naturschutzgebiet, Fischfang ist an dieser Stelle des Gewässers verboten«, informierte er sie. Er zeigte auf eine Boje in der Nähe. »Das ist durch die Bojen klar ersichtlich, gnädige Frau.«
»Das wusste ich nicht, ich kenne mich mit Bojen nicht aus. Aber ich fische ja auch nicht. Ich lese.«
»Schon, aber Sie haben die komplette Ausrüstung dabei. Soweit ich die Situation überblicken kann, könnten Sie jeden Augenblick damit anfangen. Ich muss eine Anzeige gegen Sie aufnehmen.«
Paula runzelte die Stirn. »Für das Lesen eines Buches?«
»Sie befinden sich in einem Sperrgebiet für Angler«, wiederholte er und griff nach Kugelschreiber und Vordruck für Anzeigen samt Klemmbrett als Unterlage.
»Wenn Sie das tun, dann erstatte ich Anzeige gegen Sie wegen sexueller Belästigung.«
»Ich habe Sie doch überhaupt nicht angerührt!«, rief der Wildhüter entrüstet.
»Das mag sein, aber Sie haben die komplette Ausrüstung dabei. Soweit ich die Situation überblicken kann, könnten Sie jeden Augenblick damit anfangen.«
»Ich wünsche noch einen schönen Tag«, sagte der Mann und fuhr eilends mit laut knatterndem Motor davon.
Und die Moral von der Geschicht: Leg dich nicht mit einer Frau an, die Bücher liest. Es ist sehr wahrscheinlich, dass sie denken kann, mag sie nun Paula heißen oder einen anderen Namen tragen.
11 Kommentare:
Ein klarer Knockout verbaler Art.
Er hätte wenigstens das Boot umkippen können...
Sein Boot oder ihres?
Da hört sich doch alles auf!
;-)
Nicht nur Frauen, die Bücher lesen. :-)
Schöne Geschichte für einen müden Dienstag Morgen.
in der tat, sehr schön.
Frauen die lesen, sind GEFÄÄÄÄHRLICH!!
...gut, dass ich kein Wildhüter bin. Obwohl - ich hätte der Dame ja nicht solche Unannehmlichkeiten zu bereiten versucht.
Tausend Dank! Nette Geschichte, genau wie ich sie mag!
Hey, GJM:
Welche Art Unannehmlichkeiten hättest Du der Frau zu bereiten versucht?
Na, Juppi, das ist ganz einfach. Ich hätte sie vom Lesen abgehalten, indem ich mit ihr über das Buch, den Autor, die Literatur an und für sich geplaudert hätte. Ich hätte ihr erzählt, welche guten Bücher ich in letzter Zeit gelesen habe, hätte gefragt, ob sie Stephen King mag, was sie von Marcel Reich-Ranicki hält und ob sie Kafka versteht...
wer weiß, was sie dann mit Dir gemacht hätte............
Ich freu mich schon auf die nächste Geschichte über Paula: "Neulich, als der GEZ-Fahnder klingelte"
@juppi: Vermutlich hätte sie mich mir einem Bleigewischt am Fuß im See versenkt.
@thomas: Paula bezahlt ja treu ihre Gebühren, was soll der GEZ-Fahnder da schon ausrichten?
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