Samstag, 22. August 2009

Christian - polizeilich gesucht!


Die folgende wahre Begebenheit habe ich für die »Hochzeitszeitung« meines Sohnes Christian, der gestern geheiratet hat, aufgeschrieben - soweit die Erinnerung rund 23 Jahre später noch reichte. Die Grafik dazu hat sein Bruder Sam angefertigt.

Er mag etwa 5 Jahre alt gewesen sein, als er eines Tages neugierig war. Den Spielplatz vor dem Haus in der Lobeckstraße (A) kannte Christian zur Genüge, aber was mochte wohl jenseits des bekannten Wohnblocks los sein?
Beim Vater, der kurz in die Wohnung gegangen war, um Getränke zu holen, abmelden, den Ausflug ankündigen? Nein, wozu denn, Christian würde ja in ein paar Minuten wieder da sein. Er ging auf Erkundungstour. Die Ritterstraße hinunter, über die Alexandrinenstraße, immer geradeaus. Glaubte er zumindest.

Sein Fehlen wurde wenige Minuten später bemerkt, aber Christian war bereits außer Sichtweite. Sein Vater fragte die Kinder und Eltern auf dem Spielplatz und wurde zunächst in die richtige Richtung gewiesen. Doch Christian war abgebogen, um den Rückweg abzukürzen. Er wanderte inzwischen – soweit das später rekonstruierbar war – in Richtung Landwehrkanal. Oder zunächst in Richtung Mauer? Vater und Sohn trafen sich nicht.

Nach rund einer Stunde vergeblicher Suche wurde die Polizei um Hilfe gebeten. Ein Beamter war schnell zur Stelle, er bekam ein aktuelles Foto und eine Beschreibung der Kleidung. Seinerzeit war die Technik noch nicht soweit fortgeschritten, dass Bilder elektronisch an die diensthabenden Polizisten übermittelt werden konnte, aber zumindest die Beschreibung wurde per Funk durchgegeben. Das Foto sollte auf der Wache vervielfältigt und dann verteilt werden.
Die Suche blieb über etliche Stunden erfolglos. Telefonate mit Bekannten und Freunden in der Umgebung offenbarten nur, dass Christian nirgends gesehen worden war. Christians Eltern waren abwechselnd unterwegs, um zu suchen. Es begann zu dunkeln.

Wie die Besorgnis wächst und zur Verzweiflung wird, wenn ein Kind über Stunden vermisst wird, können vermutlich nur Eltern nachvollziehen. Jedenfalls war der Vater am Ende seiner Nerven und an der richtigen Adresse: Er schickte ein Gebet zum Himmel, in dem es sinngemäß darum ging, dass er nun mit dem Fahrrad losfahren würde und mit göttlicher Hilfe genau bei seinem Sohn ankommen wollte. Mit dem »Amen« kam die Sicherheit, dass genau dies geschehen würde.
Er holte das Fahrrad aus dem Keller und fuhr die Lobeckstraße hinunter, nicht in die Richtung, die Christian beim Verlassen des Spielplatzes eingeschlagen hatte. Ein Streifenwagen fuhr gerade langsam die Ritterstraße entlang und hielt an der Kreuzung. »Haben Sie«, fragte der Polizist aus dem geöffneten Fenster, »diesen Jungen irgendwo gesehen?« Er zeigte ein vergrößertes Foto von Christian. »Ich bin der Vater. Also noch keine Spur?« »Nein, leider.«
Der Vater radelte weiter geradeaus. Kurz vor der Gitschiner Straße (E) sah er schon von weitem seinen Sohn, der unsicher umherschaute und zögernd die Straße entlang ging. Die Erleichterung auf beiden Seiten war nicht unerheblich.
Mutter und großer Bruder freuten sich nicht weniger über den glücklichen Ausgang der Episode. Die Polizei wurde informiert und die Suche eingestellt.
Wo genau Christian überall gewesen war, ließ sich nicht herausfinden, seinen Beschreibungen zufolge war er am Landwehrkanal (B) gewesen, aber auch an der Mauer (C) und vermutlich am Kottbusser Tor (D). Des Lesens noch unkundig hatte er mit den Straßenschildern nichts anfangen können, Passanten, die er um Hilfe gebeten hatte, wiesen ihn in unterschiedliche Richtungen. Er hatte zwar Polizisten gesehen, aber sich »nicht getraut«, diese anzusprechen.

»Weißt du«, erklärte ihm der Vater am Abend beim Zubettgehen, »wenn du wieder einmal nicht weiterweißt, dann geh zur Polizei. Das sind die Guten!« Dass die Polizei schließlich viele Jahre später Christians Berufswahl würde, konnten weder Vater noch Sohn wissen.

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