Wir wollen mal ein wenig schwarz-weiß-Malerei betreiben:
Der Theoretiker stellt Fragen. Warum ist das so, wie es ist? Muss das so bleiben, wie es ist? Ist das zwingend so, wie es ist? Was wäre, wenn das nicht mehr so wäre, wie es ist?
Dabei ist es erst einmal gar nicht entscheidend, ob eine Veränderung möglich ist, ob eine Veränderung irgend eine Verbesserung bewirkt. Es geht um das Quer- Weiter- und Nachdenken. Der Theoretiker ist neugierig, hat keine Angst vor Sackgassen und Irrwegen; Erfolg ist für ihn nicht zwingend daran gebunden, ein Ergebnis vorzeigen zu können.
Der Praktiker orientiert sich am Machbaren. Er will etwas erreichen, zum Positiven verändern, seinen Auftrag erledigen; und wenn das bisher Machbare dazu nicht ausreicht, blickt er sich um: Was machen andere, erreichen sie ihre Ziele besser als ich, indem sie anders handeln? Wenn ja, welchen Rezepten, welchen Erfahrungen folgen sie? Kann ich aus ihrem Beispiel lernen und mit meinen Zielen vorankommen?
Erfolg ist für den Praktiker messbar an den Ergebnissen seines Handelns.
Genug schwarz-weiß? Jawohl. Also ab in die Grauzone, aber dalli!
Wahrlich gibt es kaum den Praktiker und den Theoretiker, sondern wir Menschen tendieren entweder in die eine oder in die andere Richtung, mehr oder weniger ausgeprägt. Das führt zu mehr oder weniger ausgeprägten Reibungen. Und das muss noch nicht einmal von vorne herein als missliche Situation verstanden werden.
Es mag sein, dass die »emerging church« in den USA aufgehört hat, zu existieren. Manche schreiben das so nieder. Ich weiß auch nicht, wie es regional in Deutschland aussieht, womöglich ganz anders, aber zumindest in meinem Umfeld ist die »emerging church« nicht des Todes gestorben. Es hat sie nämlich nie gegeben.
Statt dessen gab und gibt es ein »emergentes Gespräch« auf vielfältige Weise. Da wird auf Blogs und in Büchern geschrieben, bei Konferenzen und an Stammtischen diskutiert. Und mancher Mitmensch fragt sich oder die Allgemeinheit, wo denn die praktischen Auswirkungen, die sichtbaren Früchte wären. Jahrelange Diskussionen, gut und schön, aber was ist dabei herausgekommen?
Man könnte nun darauf verweisen, dass missionales Handeln mit emergentem Denken in vielen Aspekten sehr verwandt ist, man könnte darauf hinweisen, dass so manche Kirche und Gemeinde angefangen hat, dort zu sein, wo die Menschen sind, anstatt im sicheren Hort der eigenen vier Wände zu verharren und (vergeblich) darauf zu warten, dass die Ungläubigen hereinströmen. Man könnte auf so manche andere positive Entwicklung, positiv zumindest im Empfinden emergenter Theoretiker, verweisen.
Doch diese Reaktion bleibt weitgehend aus, weil es beim emergenten Dialog gar nicht darum ging und geht, ein neues Rezept, eine To-Do-List mit zehn Punkten vorzulegen. Es geht nicht darum, eine endgültige Wahrheit in Stein zu meißeln. Die Frage, wer Recht hat und wer sich irrt, ist nicht relevant. Und die Definitionen, was eigentlich emergent und was missional ist, sind Legion. Statt schwarz-weiß zu malen verharren emergente und missionale Christen ganz gerne in der Grauzone.
Ich meine, dass wir beide brauchen, die Theoretiker und die Praktiker, und all die Mischformen zwischen den Extremen sowieso. Es wird - wie gesagt, ich rede nur vom mir persönlich vertrauten Umfeld - keine emergente Vorzeigekirche geben. Wenn es eine gäbe, müsste man ihre Praktiken, Regeln, Hierarchien, Ämter und Lehrgebäude umgehend in Frage stellen.
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