Montag, 19. September 2011

Eine einfach nur nette Geschichte

»Warum«, fragte ich mich, »erzählst du nicht mal eine einfach nur nette Geschichte?«
»Nett?«
»Ja, nett. Einfach nur nett. Nicht schaurig, nicht blutig, nicht satirisch, nicht theologisch, nicht erotisch ...«
»Erotisch ist nicht nett?«
»Manchmal schon, ja, aber nicht für jeden und jede.«
»Also nett im Sinne von für die Frau, für den Mann und für das Kind?«
»Geeeeenau.«
»Nö.«
»Nö? Einfach nö?«
»Im ganzen Satz, von mir aus: Nein, ich beabsichtige nicht, eine Geschichte zu erzählen, die einfach nur nett ist.«
»Schade. Und warum nicht?«
»Weil mir keine einfällt. Und wenn mir eine einfallen würde, läge es nahe, dass sie beim Schreiben schaurig, blutig, satirisch, theologisch oder gar erotisch würde. Vielleicht auch alles gleichzeitig.«
»Ach.«
»Das Ei muss nämlich vier Minuten kochen.«
Ich runzelte wieder einmal die Stirn und wies mich zurecht: »Moooooooment ... es wird nicht bei Loriot geklaut! Und auch sonst nirgends. Basta.«
»Dann streichen wir das eben Gedachte.«
»Besser ist das.«
»Ja. Besser ist das.«
»Also«, fragte ich mich, hartnäckig wie ich manchmal mit mir bin, »warum erzählst du nicht mal eine einfach nur nette Geschichte?«
»Zu welchem Thema denn?«
»Such dir was aus.«
»Ich soll mir was aussuchen? Ich bin ja bekanntlich leergeschrieben, wie soll ich mir denn da ein Thema aussuchen.«
»Na gut. Dann eben anders. Schau mal aus dem Fenster.«
Ich blickte durch die Scheibe und betrachtete den Ausschnitt der Welt, der dort sichtbar war. »Und?«, fragte ich.
»Was siehst du?«
»Einen Baum.«
»Dann erzähl doch eine nette Geschichte von einem Baum.«
Ich nickte versonnen und begann zu tippen.

Selbst wenn jemand geahnt hätte, was es mit der alten Linde auf sich hatte, hätte vermutlich nichts vermieden werden können. Hinterher zu spekulieren, was gewesen wäre wenn dieses oder jenes nicht so sondern so verlaufen wäre, ist von vorne herein müßig. Allenfalls können solche Gedankengänge dazu beitragen, fürderhin ähnliche Situationen mit geschärften Sinnen wahrzunehmen, aber am bereits geschehenen Unglück ändert sich nichts mehr.

»Moooooooment«, unterbrach ich mich, »Unglück? Das sollte doch eine nette Geschichte werden.«
»Ach ja, stimmt ja.«

Der Baum sah majestätisch aus, seine Früchte luden förmlich dazu ein, gepflückt und verspeist zu werden. Es gedieh eine Vielzahl von unterschiedlichen Obstsorten in dem friedlichen Garten, von einem Mangel an Köstlichkeiten zu sprechen wäre dem jungen Paar nie in den Sinn gekommen. Es gab keine Veranlassung, von diesem einen Baum zu kosten, jedenfalls keine durch Hunger auf Frisches zu rechtfertigende Veranlassung. Dass die Frau nun die Hand ausstreckte, eine Frucht abpflückte und hineinbiss, sollten spätere Generationen dem Einfluss eines Geschöpfes zuschreiben, das es eigentlich in diesem Paradies, in dem alles gut war, gar nicht hätte geben dürfen.

»Moooooooment«, unterbrach ich mich, »das wird doch nicht etwa ein Ausflug nach Eden? Der wäre ja wohl unweigerlich theologisch.«
»Och menno! Jetzt wäre ich gerade in Fahrt gekommen«, schmollte ich.
»Fällt dir denn gar nichts mit einem Baum ein, was einfach nur nett ist?«
Trotzig grollte ich: »Doch! Na warte, du blöder Baum!«

Seine Krone spendet Schatten, wenn die Sonne die Haut zu verbrennen droht. Die Bank bleibt auch bei Regen trocken, so dicht ist das Laubwerk. Esmeralda liebt den Baum in ihrem Garten, schon als Kind war sie gerne bei ihm, denn an einem kräftigen Ast hing ihre Schaukel an zwei armdick geflochtenen Hanfseilen. Wie hoch sie damals fliegen konnte, mit jedem Schwung ein paar Zentimeter höher.
Später, als Teenager, war sie gerne hinaufgeklettert, hatte sich bäuchlings auf einen der schräg nach oben weisenden Äste gelegt, den sie fest umklammerte. Die Rinde war so weich und sanft, so angenehm mit der bloßen Haut der Arme und den Innenseiten ihrer Schenkel zu erspüren. Ganz behutsam bewegte sie ihr Becken einen Zentimeter auf und ab

»Ähem!«
»Was ist denn nun schon wieder?«
»Das weißt du ganz genau. Bloße Haut, sanfte weiche Rinde, ein Mädchenbecken in Bewegung - so geht es doch nun wirklich nicht!«
Resigniert schob ich die Tastatur von mir weg. »Sag ich doch! Es geht nicht.«
»Vielleicht ist der Baum ja wirklich ungeeignet als Gegenstand der Erzählung.«
»Nein, der Baum kann nichts dafür. Ich habe mich leergeschrieben und damit basta.«
»Von wegen!«
»Und wenn nicht, dann kann ich zumindest keine einfach nur nette Geschichte erzählen.«
»Doch. Nur eben nicht mit einem Baum.«
Ich blickte aus dem Fenster …

 

... und sah ...
... ein verbeultes Auto.
... eine lachende Familie.
... eine Wolke am blauen Himmel.
Auswertung

Fortsetzung folgt.

3 Kommentare:

die Vorgärtnerin hat gesagt…

apropos verbeultes Auto, bist Du den Cavalier eichentlich losgeworden?

Günter J. Matthia hat gesagt…

Der Cavalier is wech - und die beste aller Ehefrauen fährt jetzt Stratus. :-)

die Vorgärtnerin hat gesagt…

na, besser als umgekehrt, dass sie wech wäre!!
Mir fällt gerade ein, was ich lieber noch mal hier lesen würde.
Nämlich hattest Du schon ganz lange keine Psalmen mehr. Ich weiß nciht mehr genau, wie Du die genannt hattest, moderne Psalmen oder so?
Jedenfalls, schreib doch mal sowas!

Psalmen handeln auch von Schreibblockaden. Auf die eine oder andere Weise.