Dienstag, 5. Juli 2016

Wer ist eigentlich arm dran?


»Geld«, sagte mir kürzlich jemand, als wir über den vorgezogenen Ruhestand sprachen, »Geld ist ja nicht das Problem. Aber ich wüsste nicht, was ich dann den ganzen Tag mit mir anfangen sollte.«

Irgendwie tut er mir leid. Ich habe mich nach langem Abwägen und hin und her Rechnen dafür entschieden, mit dem 30. September 2016 vorzeitig aus dem Berufsleben auszusteigen, obwohl das eine deutlich spürbare finanzielle Einbuße bedeuten wird. Meinen Beruf habe ich gerne ausgeübt, lediglich das Arbeitsumfeld wurde mir in den letzten Jahren mehr und mehr zur gesundheitlichen Belastung. Da eine Änderung der Umstände nicht absehbar war und ein solcher Verlust an Lebensqualität und Gesundheit mit Geld nicht aufzuwiegen ist, war dann der Ausstieg die vernünftigste Variante. Wenn ich wie mein oben erwähnter Gesprächspartner über Geld wie Heu verfügen würde, wäre mir der Schritt noch leichter gefallen.

Aber eigentlich ist ja er arm dran, nicht ich. Es gibt doch so vieles zu entdecken, auszuprobieren, zu erleben und zu genießen! Bücher lesen, Musik hören, Texte schreiben, selbst musizieren, mit der Kamera hinaus ins Grüne oder ins urbane Leben, Konzerte und Ausstellungen besuchen, in der Wohnung dies und das renovieren und reparieren, neue Hobbies ausprobieren, fantasievolle Mahlzeiten zubereiten, Fahrradtouren und Wanderungen unternehmen … mir fallen schier unerschöpflich viele Aktivitäten und Unternehmungen ein, die kein oder nicht viel Geld kosten. Außerdem gibt es zahllose Möglichkeiten, sich ehrenamtlich, politisch oder gesellschaftlich zu engagieren, falls das alles nicht reichen sollte. Ganz abgesehen davon, dass auch das gelegentliche Nichtstun eine Wohltat für Körper, Seele und Geist ist.

Liebe geschätzte Blogbesucher, ich hoffe, dass unter Ihnen nicht allzu viele sind, deren beinahe einziger Lebensinhalt die Arbeit ist. Falls das aber zutreffen sollte, rate ich Ihnen dringend, dass Sie beizeiten ausprobieren, was Ihnen Spaß machen würde und wofür Sie sich begeistern könnten, wenn Sie plötzlich viel Zeit (und womöglich deutlich weniger Geld) zur Verfügung hätten.

Keiner von uns weiß, wie lange das Leben währt. Bitter wäre es, am Ende festzustellen, dass das, was man für das Stimmen der Instrumente gehalten hat, schon das Konzert war.
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P.S.: Bild von [Free Stock Fotos]
P.P.S..: Hilfreiches zum Thema steht auch in diesen beiden Büchern:
Entschleunigung und Achtsamkeit (Günter J. Matthia)

Das kleine Buch über die Zufriedenheit (Leo Babauta)

2 Kommentare:

die Vorgärtnerin hat gesagt…

krasses beispiel am schluss.
sehr wahr.

Günter J. Matthia hat gesagt…

Das mit dem Konzert und dem Stimmen der Instrumente habe ich (sinngemäß) vor ein paar Monaten in einem Fernsehkrimi gehört, womöglich aus der Serie »Der Dicke«.