Donnerstag, 25. Februar 2010

Transforum 2010

Heute um 18:00 begann das Transforum 2010 - treue Blogleser wissen, dass ich dabei bin. Der Blog liegt dessenthalben ein wenig brach in diesen Tagen.

Ich war schon vor 17 Uhr vor Ort, habe mit prominenten und nichtprominenten Menschen geplaudert, einige getroffen, die ich seit langem nicht gesehen hatte und dann mit Interesse die Auftaktveranstaltung verfolgt. Sicher wird sich so manches, was ich vor Ort höre, erlebe und mitschreibe, auch in der einen oder anderen Form auf meinem Blog wiederfinden.

Einstweilen bitte ich um Nachsicht, wenn ich auf Kommentare nicht reagiere und auch nichts neues hier zu finden ist. Freitag und Samstag sind tranforumös ausgefüllt. Morgen unter anderem mit dem ersten Besuch meines Lebens in einer Moschee. Ich bin gespannt...

Mittwoch, 24. Februar 2010

Es menschelt hier wie dort

Der eine oder andere hat sich schon hinter das Steuer seines Autos gesetzt, obwohl der Fahrt Alkoholgenuss vorangegangen ist, dessen Quantität zumindest bedenklich war. Meist passiert nichts, und relativ selten wird jemand erwischt. Wenn doch, dann steht das höchstens in einer Statistik, aber in keiner Zeitung auf der Titelseite.
Interessant wird eine bei Rot überfahrene Kreuzung und die anschließende Blutprobe für die Medien dann, wenn es um prominente Verkehrssünder geht. Bei Margot Käßmann, die gerade Kraft des Amtes zum Fasten, speziell unter anderem zum Verzicht auf Alkohol und Autofahrten, aufgerufen hatte, war die Häme um so größer. Auch in einigen Leserkommentaren. Da las ich unter einem Zeitungsbericht: »Erst geschieden, jetzt auch noch Alkoholikerin. Diese unchristliche Frau muss weg aus dem Amt!« Aus welcher religiösen Ecke der anonyme Leserbriefschreiber wohl kam?

Viele Ehen werden geschieden, das ist bedauerlich, aber dennoch eine Tatsache. In besonders »bibeltreuen« christlichen Kreisen, in denen eine Ehescheidung als schlimme Sünde gilt, die hinfort die Ausübung eines geistlichen Amtes unmöglich macht, wird gerne verlautbart, dass christliche Ehen haltbar sind, wenn genug »Salbung« vorzufinden ist.
Nun wird einer der in solchen Kreisen als ganz besonders »gesalbt« geltenden »Männer Gottes« geschieden, Benny Hinn. Kann man noch geistlicher, noch gesalbter sein als er? Seit Jahrzehnten predigt er Heilung, auch Heilung von Beziehungen. Nach seinen Aussagen trifft ihn die Scheidung völlig unvorbereitet. Offenbar hat er mit seiner Ehefrau nicht sonderlich viel Kontakt gehabt, wenn ihm so lange verborgen geblieben ist, dass seine Ehe zerrüttet und in Gefahr geraten war.

Es menschelt in der evangelischen Landeskirche. Es menschelt in charismatischen Sphären. Frau Käßmann hat klare Worte des Bedauerns, der Reue gefunden und ist von ihren Ämtern zurückgetreten. Das verdient Respekt. Von Herrn Hinn ist bisher nichts zu hören, was auf Einsicht in eigene Fehler deuten würde. Er ist mitten in einer Miracle Crusade und lässt sein Team verlautbaren: »Pastor Hinn also wants everyone to know that he remains firmly and unquestionably committed to God's calling...«

Zwei prominente Menschen, bei denen es öffentlich menschelt. Wie sieht es wohl bei Otto Normalverbraucher und Renate Mustermann aus? Dort, wo keine Presse die Nase hineinsteckt?

Ehniss, Wagner und andere: Beziehungsweise Leben

bzwl Viele Köche sollen ja angeblich den Brei verderben. Man müsste den Brei probieren, um zu wissen, ob das stimmt.
Jedoch: Ein Buch ist nachweislich kein Brei, also dürften sowieso andere Gesetze gelten. Dass viele Autoren, 17 an der Zahl, gemeinsam eine hervorragende Lektüre zu Papier bringen können, zeigt »Beziehungsweise Leben«, herausgegeben von Daniel Ehniss und Björn Wagner.
Es geht in diesem knapp 200 Seiten umfassenden Werk um »Inspirationen zum Leben und Handeln im Einklang mit Gott und Menschen« - um Inspirationen wohlgemerkt, nicht um eine Anleitung. Ob die überhaupt gelingen könnte, wage ich zu bezweifeln. Ich bin froh, dass diese Autoren es gar nicht versuchen, sonst hätte ich nicht bis zur letzten Seite durchgehalten.
Die Inspirationen in diesem Buch sind vielfältig und zielen auf unterschiedliche Bereiche. Es stellt sich uns doch zunehmend die Frage, wie gelebte »Gemeinschaft« heute gelingen kann, im Zeitalter von Blog, Twitter, sogenannten sozialen Netzwerken, Smartphones und anderen Errungenschaften der modernen Kommunikationsgesellschaft. Es wird kommuniziert, noch und noch, aber kann das Ergebnis guten Gewissens als »Gemeinschaft« bezeichnet werden?
Das Buch beleuchtet hauptsächlich drei Themenbereiche. »Beziehungsweise beten«, »beziehungsweise handeln« und »beziehungsweise organisieren«. Das klingt erst mal recht theoretisch, aber die Lektüre zeigt schon auf den ersten Seiten, dass hier Frauen und Männer aus ihren persönlichen Erfahrungen heraus schreiben, Misserfolge und Irrwege eingeschlossen. Nur wer gar nichts wagt, ist einigermaßen sicher vor Fehlern, doch ein solch langweiliges Leben ist das Anliegen dieses Buches nicht. Sondern ein Leben in Beziehungen - göttlichen wie menschlichen.
Wer rundum und völlig damit zufrieden ist, dass Christsein sich auf den sonntäglichen Kirchgang (oder Gemeindebesuch) beschränkt, bei dem dann ein Programm konsumiert werden kann und die eigene Beteiligung sich auf Gesang und eventuell gemeinsames Gebet beschränkt, der wird diesem Buch nicht viel abgewinnen können.
Falls sich jedoch jemand fragt, warum das Modell aus der Apostelgeschichte nicht mehr funktioniert, ob eine Versammlung von Gläubigen unbedingt aus Gesang - Ansagen - weiterer Gesang - Gebet - Predigt - noch mehr Gesang bestehen muss, oder falls sich jemand Gedanken macht, warum Christsein in der Gesellschaft fast nur noch wahrgenommen wird, wenn es darum geht, Missbrauch aufzudecken oder andere Schandtaten an den öffentlichen Pranger zu stellen, dann kann das Buch durchaus die zündenden Impulse vermitteln, um selbst etwas zu bewirken, was die Lage ändert. Das Warten darauf, dass »irgendwas geschieht«, idealerweise eine Erweckung vom Himmel purzelt, ist jedenfalls nicht Anliegen dieses Werkes. (Man kann übrigens - dies nur zur Beruhigung für meine Freunde aus entsprechenden Kreisen - das Buch lesen und trotzdem eine Erweckung erwarten, wenn man möchte.)
Es sind spannende Geschichten in »Beziehungsweise Leben« zu finden, vom Entstehen der »Arche Hamburg«, von spür- und sichtbaren Veränderungen in Stadtteilen durch aufgewachte Christen, von einer Abschiebung, von mittelalterlichen Pfarrhäusern, von Gottesdiensten, die nicht Gottesdienst heißen sondern »SundayPlaza«...
Ja, und damit bin ich beim einzigen, ganz subjektiv empfundenen Manko dieses Buches. Einige wenige Kapitel schwelgen förmlich in merkwürdigen Wortschöpfungen mit Großbuchstaben mitten im erfundenen Wortungetüm und zweifelhaften Anglizismen. Vieleicht bin ich diesbezüglich altmodisch, konservativ...
Doch dieses - wie gesagt ganz subjektiv empfundene - gelegentliche sprachliche Entgleisen ändert nichts an meinem Fazit: Unbedingt lesenswert, wirklich inspirierend, alles andere als langweilig. Kein trockenes Theologenwerk, sondern von und für Menschen geschrieben, die mitten im echten Leben stehen und mehr sein wollen, als Platzinhaber in Kirche oder Gemeindesaal. Die Lektüre hat mich an vielen Stellen inspiriert, weiter oder anders zu denken als bisher.
Das Buch gibt es für 12,95 Euro beispielsweise bei Amazon: Beziehungsweise leben: Inspirationen zum Leben und Handeln im Einklang mit Gott und Menschen

Dienstag, 23. Februar 2010

Bierchen oder Weinchen?

Ich bin ja nun nachweislich keine geistliche Würdenträgerin, aber ich habe mal überlegt und dann internetös nachgerechnet: Wenn ich eine weibliche Person wäre, die ca. 1,75 m groß ist und etwa 68 Kilogramm wiegt, und wenn ich dann in froher Runde einen Liter Wein trinken würde, bevor ich mich an das Steuer des Phaeton setzen würde, den ich dann hätte, wenn ich diese weibliche Person wäre, dann sähe das mit den Promille so aus:

Wenn ich dieselbe Person wäre, und zwischen 20:00 Uhr und 23:00 Uhr statt einem Liter Weinchen lieber einen Liter Bierchen tränke, dann könnte ich eventuell noch - kräftige Speise zum Bierchen vorausgesetzt, meinen Phaeton in die heimische Garage steuern:
Aber ich bin ja keine weibliche Person, wiege mehr als 68 Kilogramm, bin auch größer als 1,75 Meter, und ich fahre auch keinen Phaeton. Schon gar nicht in Hannover. Und zum Abendessen im Restaurant lasse ich mir sowieso lieber ein Bierchen schmecken. Weiß gar nicht, wie ich auf solche Ideen komme und den Promillerechner solches Zeug ausrechnen lasse...

P.S.: Ironie ist das Körnchen Salz, das das Aufgetischte überhaupt erst genießbar macht. -Johann Wolfgang von Goethe

Kundendienst - alles gelogen bei »amardi«!

Ein amerikanisches Automobil braucht fuzzy dice, Plüschwürfel am Rückspiegel. Jedenfalls dann, wenn es sich um meinen fahrbaren Untersatz handelt.
Da das aktuelle Fahrzeug mit schwarzer Lackierung versehen ist, passten die blauen Würfel aus dem vorigen Auto nicht so recht zur Optik. So bestellte ich über Amazon schwarze fuzzy dice, die auch relativ zügig vom »armardi-shop« geliefert wurden. Der Versand hat zwar auch so einiges im Angebot, was ich eher nicht bestellen würde, aber solche Waren brauchte ich ja nicht anzufordern. Mir reichten die Plüschwürfel.
Beim Auspacken stellte ich fest, dass bei beiden Würfeln die Punkte auf den Seiten mit den zwei Augen fehlten. Das war nun optisch nicht so überzeugend, wie ich es erhofft hatte.
Es schien mir allerdings nicht sinnvoll, nun die ganze Sendung zurückzuschicken, da das Porto bei einem Warenwert von 8,50 Euro unangemessen hoch wäre. Ich schrieb am 13.02.2010 an den Versand:
Bei beiden Würfeln fehlen die Punkte für die Seite mit der 2. Diese Flächen sind nur schwarz. In der Plastiktüte sind keine abgelösten Klebepunkte vorhanden, die ich wieder befestigen könnte.
Eine Rücksendung deswegen scheint mir zu aufwändig. Können Sie vier Klebepunkte per Brief nachliefern?
Am 15.02.2010 erhielt ich diese Antwort (Originaltext mit bedenklicher Rechtschreibung):
Hallo
Erst mal entschuldigung das die Ware schadhaft ist.
Ich werde mich erkundigen wie wir in Ihrem Fall verfahren,
da ich glaube das die Klebepunkte allein nicht lieferbar sind.
Leider erreiche ich die Firmenleitung wegen Fasnacht bei uns erst wieder am dienstag.
Ich werde mich dann umgehend bei IOhnen melden.
Mfg
A. R.
Womöglich, dachte ich, wird ja die Geschäftsleitung die Fastnacht unbeschadet überstehen und ich bekomme nach Abklingen des Karnevalstreibens tatsächlich eine etwas klarere Antwort. Das Warten zog sich jedoch in die Länge, und so schrieb ich am 22.10.2010:
Guten Tag Frau R.,
meines Wissens sind der Fasching, die Fastnacht und der Karneval vorbei. Schon einige Tage, genau genommen.
Lassen wir die Angelegenheit nun im Sande verlaufen?
Mit freundlichem Gruß
G. Matthia
Prompt kam noch am gleichen Tag eine Rückmeldung bei mir an:
Hallo


Bitte entschuldigen Sie, das ich mich noch nicht wieder gemeldet hatte.
Leider war ich krank.
Ich  habe das mit der Geschäftsleitung besprochen und wir senden Ihnen neue Würfel zu.
Die Würfel gehen heute an Sie herraus...
Mfg
A. R.

Aha. Und das kostenlos? Das klingt ja immerhin ganz kundenfreundlich, dachte ich mir, fragte aber vorsichtshalber nach:
Hallo Frau R.,


darüber freue ich mich natürlich. Die fehlerhaften Würfel schicke ich dann unfrei an Sie zurück?
Freundliche Grüße
G. Matthia
Das Misstrauen war unbegründet, denn Frau R. antwortete prompt:
Hallo
nein das würde sich nicht lohnen da eine unfreie Sendung 12 Euro kostst.
Prima. Also werden - ich vertraue mal auf die Zusage - in den nächsten Tagen zwei ringsum mit den entsprechenden Punkten versehene fuzzy dice bei mir eintrudeln.
Im Gegensatz zu ASUS hat dieser eher kleine Versand bewiesen, dass Kundendienst noch möglich ist. Was es mit ASUS auf sich hat, werde ich in den nächsten Tagen berichten. Heute bekommen die Herr- und Damenschaften vom sogenannten ASUS-Kundendienst erst noch eine vorerst letzte Mail mit der Bitte um Aufklärung von mir...

Nachtrag am 12. März: Alles gelogen. Keine Ware geliefert. Ich empfehle ausdrücklich, den »armadi-shop« zu meiden.

Montag, 22. Februar 2010

Unzumutbare Tätigkeiten

Jeder, der jung und gesund ist und keine Angehörigen zu betreuen hat, muss zumutbare Arbeiten annehmen - sei es in Form von gemeinnütziger Arbeit, sei es im Berufsleben, sei es in Form von Weiterbildung. -Guido Westerwelle
Wer Schlagzeilen will, muss provozieren. Das ist nicht neu. Das gehört zur Grundausstattung des politischen (und journalistischen) Handwerks. Guido Westerwelle weiß mit seinem Handwerkszeug umzugehen.

In der Debatte über seine Äußerungen wurde in den letzten Tagen vor allem deutlich, dass die Mehrheit der Journalisten und zum Teil auch der Politiker sich nicht die Mühe gemacht haben, das Interview überhaupt zu lesen, mit dem Westerwelle den Trubel ausgelöst hat. Genauso wenig haben die meisten, die sich zum anderen »Skandal« unserer Tage äußern, das Interview gelesen, das Bischof Mixa gegeben hat.
Es genügt ja, einen oder zwei Sätze aus ihrem Zusammenhang herauszulösen und dann loszuwettern. Das Volk wird schon glauben, dass Mixa / Westerwelle tatsächlich gesagt und gemeint haben, was man ihnen da unterstellt.
Das Muster ist nicht neu. Eva Hermann benutzt das Wort Autobahn, der Papst will eine Weltautorität installieren... - so löst man Skandale und Schlagzeilen aus, treibt die Auflage der Zeitung in die Höhe und stellt sich selbst als untadeliges Vorbild in den Mittelpunkt.

Klar ist, dass unser Sozialstaat so wie er jetzt aussieht nicht mehr allzu lange funktionieren wird. Man müsse die Schwachen vor den Faulen schützen, meint Westerwelle. Denn nur ein Sozialsystem, das finanzierbar ist, kann den Schwachen beistehen. Ich wüsste nicht, was an dieser Meinung verkehrt sein soll.
Als mir keine »zumutbare« Arbeit zur Verfügung stand, habe ich über mehrere Jahre in Hochhaussiedlungen Heizkostenverteiler montiert und abgelesen, in Biergärten Tische abgeräumt und Bierkrüge geschleppt, als ungelernter Packer Maschinen versandfertig gemacht und als angelernter Spritzlackierer Geräte mit giftigen Lacken eingesprüht. Mir waren solche unzumutbaren Tätigkeiten lieber, als vom Staat Geld zu beziehen. Gleichzeitig habe ich in den Abendstunden fehlende Qualifikationen erworben, um meine Chancen auf zumutbare Jobs zu verbessern.
Als ich einige Jahre später schwer erkrankte und wirklich nicht arbeiten konnte, habe ich mit gutem Gewissen Geld aus der Solidargemeinschaft angenommen, bis ich wieder in der Lage war, den Lebensunterhalt selbst zu verdienen. Die Starken haben in dieser Zeit mir, dem Schwachen, ein menschenwürdiges Leben ermöglicht.

Was ist zumutbar? Darüber wird nun heftig debattiert. Vielleicht hat so mancher andere Vorstellungen als ich, aber ich gebe Herrn Westerwelle in diesem Punkt recht. Ich würde sogar das »zumutbar« in Frage stellen. Die »unzumutbaren« Arbeiten, die ich über Jahre ausgeübt habe, haben mir keinen Schaden zugefügt.

Aber das darf man vermutlich nicht laut sagen, heutzutage?

Samstag, 20. Februar 2010

Klaus ist tot.


»Klaus ist tot«, erklärte meine Mutter mit Tränen in den Augen. »Er hat sich das Leben genommen.«
Ich war dreizehn Jahre alt. Klaus war einige Wochen zuvor aus unserem Freundeskreis entschwunden, aus Gründen, die mir damals zunächst nicht verständlich waren, weil niemand mir Auskunft geben wollte. Nun war Klaus tot. Ich hatte einen Freund verloren, der mein Freund nicht hatte sein dürfen.

Wir lebten in Memmingen, einer Kleinstadt mit seinerzeit rund 38.000 Einwohnern. Klaus gehörte zur gleichen freikirchlichen Gemeinde, die wir besuchten, er stammte wie meine Familie aus Berlin – vermutlich war die Freundschaft aufgrund dieser Tatsache entstanden. Exilberliner im bayerischen Exil halten zusammen.
Klaus war vierundzwanzig Jahre alt, als wir ihn kennen lernten. Ich freundete mich schnell mit ihm an, er hatte Humor, Ideen, die einen Jungen wie mich begeisterten und er war mir ein zuverlässiger Helfer bei Hausaufgaben und Lernproblemen. Häufig kam er nach dem sonntäglichen Gottesdienst mit zu uns, wir aßen gemeinsam zu Mittag, spielten, unternahmen Ausflüge. Klaus besaß ein Auto und fuhr gerne mit uns irgendwo hin, so konnten wir allerlei Gegenden im Allgäu kennen lernen, die für uns sonst unerreichbar gewesen wären.
Doch dann verschwand Klaus aus der Gemeinde und unserer Familie. Ich fragte meine Mutter nach ihm, und sie gab ausweichende Antworten. Er habe eine »schwere Sünde« auf sich geladen, deshalb sei er aus der Gemeinde ausgeschlossen worden, erfuhr ich. Ich dachte an Mord – nun ja, die Phantasie eines dreizenjährigen Jungen, der mit Vorliebe »erwachsene« Bücher las, damals gerade Hemmingways Kurzgeschichten, kommt auf solche Ideen. Also nahm ich an, dass er nun wohl im Gefängnis saß.
Doch Memmingen war klein genug, um mich schon bald eines besseren zu belehren. Klaus saß in einer Eisdiele beim Kaffee, als ich nach der Schule dort ein Eis kaufte. Ich war glücklich und setzte mich sofort zu ihm.
»Mensch Klaus«, rief ich begeistert, »wo steckts du denn die ganze Zeit?«
Er sah gar nicht aus, wie ich ihn kannte. Er wirkte bedrückt und meinte nur: »Du solltest dich nicht mit mir sehen lassen. Oder ich mit dir.«
»Was ist los?«
»Günter, hör zu, ich darf hier nicht mit dir sitzen. Ich würde gerne, aber es geht nicht. Es ist besser, wenn du verschwindest.«
Mehr war nicht aus ihm herauszubekommen, und schließlich ging ich verunsichert und voller Fragen nach Hause. Dort fragte ich meine Mutter aus.
»Was ist los mit Klaus?«
»Das verstehst du noch nicht.«
»Wieso verstehe ich das noch nicht?«
»Du bist zu jung.«
»Woher willst du das wissen?«
»Ich bin deine Mutter.«
»Aber ob ich es verstehe wird sich erst zeigen, wenn ich es gehört habe. Klaus ist mein Freund. Warum darf er nicht mit mir gesehen werden?«
»Hast du ihn etwa getroffen?«
»Ja. In der Eisdiele Pick. Er hat mich weggeschickt.«
Meiner Mutter war das Thema sichtlich unangenehm. Mein Bruder war so ratlos wie ich. Schließlich rief ich meinen Großvater an, der war Pastor im Ruhestand und hatte immer ein offenes Ohr für mich. Er kannte Klaus von etlichen Besuchen.
Ich erzählte von dem plötzlichen Verschwinden aus der Gemeinde und dem rätselhaften Kontaktverbot. Mein Opa hörte zu und fragte dann: »Seit wann ist das denn so?«
»Ein paar Wochen.«
»Ich werde mich umhören, Günter. Und wenn ich weiß, was da los ist, erfährst du es. Versprochen.«
Mein Großvater war jemand, auf dessen Wort ich mich felsenfest verlassen konnte. Dass ich mich ein paar Jahre später, als das vorzeitige Ende meines Lebens drohte, an ihn wendete, hatte eine Menge damit zu tun, dass mein Vetrauen in ihn nie enttäuscht, nie auch nur erschüttert wurde. So auch in diesem Fall. Bereits am nächsten Tag erklärte mir mein Großvater, was los war:
»Klaus ist schwul. Deshalb hat man ihn aus der Gemeinde geworfen.«
»Wie bitte?« Ich war fassungslos. Was schwul bedeutete, da hatte ich noch keine allzu klaren Vorstellungen, aber dass man jemanden aus einer christlichen Gemeinschaft warf, weil er »anders« war, schien mir unerhört.
»Ich habe mit eurem Pastor gesprochen«, erklärte mein Opa. »Der Ältestenrat hat – gemäß der biblischen Anweisungen – zunächst mit Klaus geredet, und da er, wie mir euer Pastor sagte, unbußfertig ist, hat man ihn gebeten, nicht mehr zu kommen, bis die Gemeindeversammlung eine Entscheidung trifft. Das soll wohl in ein paar Wochen passieren.«
»Findest du das okay, Opa?«
»Nein. Ich finde das schlimm. Ich werde versuchen, Klaus zu erreichen um ihm zu sagen, wie leid mir dieses unmögliche Vorgehen tut und ihn zu bitten, sich eine andere Gemeinde zu suchen.«
»Ist schwul sein denn ansteckend?«
»Überhaupt nicht. Und soweit ich weiß, hat Klaus niemanden belästigt oder auch nur Andeutungen gemacht. Hat er dich denn jemals komisch angefasst?«
»Nö. Im Gegenteil, wenn es ums Balgen ging, hat er sich immer zurückgezogen.«
»Ich werde auch mit deiner Mutter reden. Ich finde es nicht in Ordnung, dass Klaus euch nicht mehr besuchen soll.«
Am Abend sagte meine Mutter: »Opa hat mich angerufen. Du hast ja auch mit ihm gesprochen, stimmts?«
»Ja. Du hättest mir ruhig sagen können, was los ist. Vielleicht werde ich ja auch schwul, und dann weiß ich gleich, dass man mich rauswerfen wird.«
»Um Himmels willen! Wie kommst du denn darauf?«
Ich gab meiner Mutter keine Antwort, denn das Thema Sexualität war in unserer Familie ein Tabu. Mit meinem Großvater konnte ich über alles reden, aber zu Hause war das undenkbar. Aufklärung hatte nie stattgefunden, abgesehen davon, dass mir, als ich zwölf war, meine Mutter ein Heftchen in die Hand gedrückt hatte, das sie in einer katholischen Kirche gefunden hatte. Das Heftchen zeigte einige schematische Darstellungen der Geschlechtsorgane sowie zwei nackte Kinder, Mädchen und Junge, beim Baden und gab schwammig Auskunft, dass mit Penis und Vagina irgendwie für Nachwuchs zu sorgen wäre. Später, wenn man groß sei…
Ich war nicht der einzige pubertierende Junge, der über eine Menge Phantasie aber kein Wissen verfügte. Meinen Schulfreunden ging es nicht anders. Wir hatten kürzlich im Schlafsaal des Skilagers gemeinsam masturbiert, daher kam ich nun auf die Idee, dass ich womöglich schwul werden könnte. Aber darüber mit meiner Mutter reden? Vollkommen ausgeschlossen.
Ich war und wurde nicht homosexuell, wie sich später herausstellte. Viel später, als Klaus längst tot war.
Meine Mutter blieb jedenfalls dabei, dass wir mit Klaus keine Gemeinschaft mehr haben konnten, weil ja die Bibel sagte, dass man sich schmutzig macht, wenn man die Sünde nicht meidet wie die Pest. Und Homosexualität war nun einmal Sünde, so einfach war das Weltbild der kleinen Gemeinde diesbezüglich.
Niemand schien sich Gedanken darüber zu machen, wie es Klaus dabei ergehen mochte. Mein Großvater erzählte mir Jahre später, dass er mit Klaus viele Gespräche führte, um das zu verhindern was dann doch geschah. Sogar zu einem Umzug in eine andere Stadt riet er ihm, er wollte sich gerne an den Kosten beteiligen.
Doch Klaus war schon einmal umgezogen, weil er als Homosexueller nicht in der Gemeinschaft der Gläubigen willkommen war, nämlich von Berlin nach Memmingen. Doch irgendwie war die Kunde nun in der Gemeinde in Memmingen angekommen und Klaus wollte nicht lügen.
In der kleinbürgerlichen Gesellschaft damals wäre ein unerträgliches Spießrutenlaufen entstanden, wenn nun im Kollegenkreis und sonstwo in der bayerischen Kleinstadt seine Homosexualität bekannt geworden wäre. Er zog sich aus der Gemeinde zurück und bat um Verschwiegenheit. Die Gemeindeleitung lud ihn jedoch vor die Vollversammlung, wo er eine letzte Chance bekommen sollte, öffentlich Buße zu tun und »von seiner Sünde umzukehren«, wie immer man sich das auch vorstellen mochte.
Klaus zog es vor, sich das Leben zu nehmen. Ich hörte, als das bekannt wurde, jemanden aus der Gemeinde sagen: »Der Sünde Sold ist der Tod. Das ist nun also die Folge seiner Homosexualität, er hätte ja umkehren können.«
Wäre mein Großvater nicht gewesen, ich hätte wohl für alle Zeiten jegliche Verbindung zum Christentum weit von mir gewiesen, nachdem ich das gehört hatte. Mein Großvater ließ es sich nicht nehmen, zur Beerdigung zu kommen und mich ans Grab mitzunehmen. Außer uns beiden war eine Nichte von Klaus anwesend und zwei Kollegen aus dem Krankenhaus, in dem Klaus gearbeitet hatte. Fünf Menschen standen am Grab, und ein Trauerredner vom Beerdigungsinstitut. Wo waren all die anderen, die ihn gekannt hatten?
Anschließend ging mein Großvater mit mir in die Eisdiele Pick, und dort saßen wir dann lange. Er sprach mit mir auf seine wunderbare Weise, nämlich aufrichtig, offen und unter dem Eingeständnis eigener offener Fragen und Unstimmigkeiten in seiner Theologie.
»Wichtig ist, Günter, dass du nicht Gott die Schuld gibst für Fehler, die Menschen machen. Niemand hat alle Antworten, und oft sind die Antworten, die jemand zu haben meint, falsch. Das gilt auch für die Gemeinde. Als die religiösen Vorbilder seiner Zeit eine Frau steinigen wollten, die gesündigt hatte und nach den Gesetzen der Bibel den Tod verdiente, schrieb Jesus etwas in den Sand. Er gab keine Antwort. Was er schrieb, wissen wir nicht. Er hat nicht gesagt, dass der Ehebruch nicht so schlimm wäre, aber er hat die Frau auch nicht verurteilt. Jesus ist gekommen, um die Sünde auf sich zu nehmen, nicht, um sie den Menschen heimzuzahlen.«
»Also ist das nun Sünde, wenn jemand schwul ist?«, fragte ich.
»Im Gesetz des Alten Testamentes heißt es: Wenn jemand bei einem Mann liegt wie bei einer Frau, so haben sie getan, was ein Greuel ist und sollen beide des Todes sterben. Das ist so eindeutig wie die Anweisung, dass eine beim Ehebruch ertappte Frau gesteinigt werden muss. Jesus hat keinen Stein geworfen.«
»Also was denn nun?«
Mein Großvater lächelte und fragte, statt eine Antwort zu geben: »Wer von uns ist denn kein Sünder? Du? Ich? Diejenigen, die Klaus in den Tod getrieben haben?«
Mir fiel keine Antwort ein. Bis heute nicht.

Der einzige Nichtsünder, von dem ich weiß, ist gestorben und auferstanden, damit wir, schwul oder nicht, errettet sein können. Eigentlich reicht mir dieses Wissen.

Freitag, 19. Februar 2010

Hoffnungsschimmer

Flyer sollen fortan Handzettel heißen, Counter werden in Schalter umbenannt, Hotlines in Service-Nummern. Und statt Call a bike will man vom Mietrad-Angebot sprechen. Quelle: Die Zeit
Es gibt also doch noch Hoffnung auf Heilung von der schleichenden Verblödung unserer Sprache. Ausgerechnet bei der Bahn. Dankeschön, Herr Bahnvorstand!

Donnerstag, 18. Februar 2010

Rückwärtsurlaub

Es galt mal als schick, mittels backward-masking - rückwärts abgespielten Tonaufnahmen - bestimmten Liedern eine geheimnisvolle Note beizumischen. Mancher argwöhnte auch, so würden verborgene Botschaften, womöglich sogar direkt ins Unterbewusstsein des Hörers der Schallplatte, transportiert.

Ein Mitarbeiter der Firma, in der ich dem Broterwerb nachgehe, hat in seiner Abwesenheitsnotiz nunmehr zu erkennen gegeben, dass er vom 16. bis 12. Februar nicht im Hause sei. Rückwärtsurlaub also?


Ich frage mich besorgt, ob er mir mit dieser Abwesenheitsnotiz eine verborgene Botschaft ins Gehirn pflanzen will, die ich nicht so recht zu interpretieren vermag...

Mittwoch, 17. Februar 2010

Wenn die Nacht vom Himmel fällt

image Ein Roman, in dem unsere Wirklichkeit und ein mögliches Jenseits ineinander fließen, sich miteinander verbinden, verschwimmen.
Gerhard Geiger, ein Maler auf der Insel Fehmarn, lernt eine zugleich unheimliche und anziehende Frau kennen, deren finsteres Geheimnis sich nach und nach offenbart. Je tiefer er in ihre Welt eintaucht, desto bedrohlicher wird das, was mit ihm und ihr vor sich geht. Schließlich finden sich beide in einer gottverlassenen Gegend, ein tödlicher Gegner greift nach ihnen.
So der kurze Klappentext zu diesem Roman, der jetzt exklusiv für den Amazon Kindle / Kindle for iPhone / Kindle for PC erschienen ist. Zwar hat ein elektronisches Buch keine Klappe, aber das macht ja nichts.

Es geht in diesem Roman um den ewigen Kampf zwischen dem Guten und dem Bösen. Angelina, die junge Frau, die der Maler Gerhard kennen lernt, entstammt einer Familie, die einem okkulten Bund angehört, der seinen Mitgliedern viel Gutes verheißt: Gesundheit, Erfolg, Vergnügen, Ansehen. Doch welchen Preis bezahlt man dafür? Das wird erst nach und nach klar, und ob ein Entrinnen möglich ist, scheint mehr als zweifelhaft. Werden Gerhard und Angelina den Kampf gewinnen? Verlieren? Sind sie dabei auf sich gestellt oder finden sie Hilfe?

Was ein Mensch hört und liest und erlebt, das prägt natürlich, so ist dies ein von musikalischen und literarischen Inspirationen durchzogener Roman. Bob Dylans Angelina gab den Anstoß für die ersten Entwürfe (bereits im Jahr 1998 niedergeschrieben). Auch Leonard Cohen hinterließ Spuren. Lou Reed. Edgar Alan Poe. Ernest Hemmingway. Womöglich Franz Kafka. Bestimmt Stephen King oder John Grisham. Und viele andere. Auch der Titel, den das Buch nun bekommen hat (es sollte ursprünglich Angelina heißen), ist ein Stück Musik: When The Night Comes Falling From The SkyDa ich grundsätzlich nicht dazu neige, eine Hegemann zu bauen, ist in einem Nachwort (wie in anderen Texten aus meiner Feder) der Verweis auf musikalische Inspirationen (und andere Quellen) selbstverständlich enthalten. In meinem Alter weiß man sich ja meist zu benehmen.

Dank vor allem an Eva für ihre Liebe und Geduld mit mir und meinen Geschichten. Und an die Leserinnen und Leser, die es mir durch die Lektüre meiner Texte gestatten, in ihrer Phantasie einen Besuch zu machen.
P.S.: Eine gedruckte Ausgabe hätte ich auch gerne. Es gebricht momentan an einem Verlag, der das Risiko eingehen würde. Vielleicht, wenn die Kindle-Version erfolgreich ist, ergibt sich ja irgendwann irgendwas? Die Veröffentlichung als E-Book ist ein Experiment - ob es gelingt, wird sich zeigen.