Dienstag, 9. November 2010

Was der weise Nick erlebt und erzählt hat - Teil 2

Wer den ersten Teil sucht, wird hier fündig: [Teil 1]

Jetzt wird es etwas kafkaesker...

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Einige Zeit später kam es dann doch zur Anklage gegen Jesus, Nikodemus konnte sich nicht durchsetzen, obwohl er einer der führenden Gelehrten war und blieb. Die religiösen Führer beschlossen schließlich, Jesus mit Hilfe der römischen Besatzer des Landes aus dem Weg zu schaffen.

In den vergangenen Monaten waren einige spektakuläre Wunder berichtet worden, sogar einen Toten hatte Jesus auferweckt, nicht weit von Jerusalem entfernt. Viele Bewohner der Stadt machten sich auf, um Lazarus, den Auferweckten, mit eigenen Augen zu sehen. Der geistlichen Elite entglitt immer mehr die Macht über das Volk. In den Führungszirkeln wurde beratschlagt, ob es nicht besser sei, auch diesen Lazarus zu töten, bevor Jesus noch mehr Zulauf bekam – ihn selbst wollte man auf jeden Fall bei seinem nächsten Auftreten in Jerusalem unschädlich machen.

Es gelang ihnen auch, Jesus mit einer nächtlichen Aktion gefangen zu nehmen und vor das zuständige Gericht zu bringen. Nikodemus hat, den eingangs erwähnten Schriften zufolge, einen genauen Bericht zusammengestellt, für den leitenden Priester und seine Zeitgenossen aufgeschrieben, was sich in der Präfektur des Statthalters Pilatus abgespielt hat. Und damit kommen wir zu den kafkaesken Szenen.

Pilatus war der vom römischen Kaiser eingesetzte Präfekt, er hatte die Aufgabe, in dieser aufrührerischen Provinz für Ordnung zu sorgen. Die Rechtsprechung gehörte zu seinen Pflichten, und wie sich an diesem Prozess zeigte, nahm er seine Aufgabe gewissenhaft wahr. Er gab sich Mühe, nicht irgend ein Urteil zu fällen, sondern Recht zu sprechen.

Um die Ratssitzung abzuhalten, kamen die Hohenpriester und Schriftgelehrten Annas und Kaiphas, Semes, Dathaes und Gamaliel, Judas, Levi und Nephthalim, Alexander und Jairus und weitere führende Juden zu Pilatus, um Jesus wegen vieler Vergehen anzuklagen. Sie trugen ihre Vorwürfe vor: »Wir wissen, dass dieser der Sohn des Zimmermanns Joseph ist, von Maria geboren; trotzdem behauptet er, er sei Sohn Gottes und König. Außerdem schändet er auch den Sabbat, und er will unser väterliches Gesetz abschaffen.«

Pilatus war wenig über die Vorgänge informiert, aber Gesetzlosigkeit war natürlich nicht in seinem Sinne. Er fragte nach: »Was ist es denn, was er tut, dass er es abschaffen will?«

Darauf erklärten die Ankläger: »Wir haben ein Gesetz, dass man am Sabbat keinen heilen darf. Dieser aber hat Lahme und Bucklige, Verdorrte und Blinde und Paralytiker, Taubstumme und Besessene geheilt, und zwar am Sabbat mit üblen Handlungen.«

Pilatus wunderte sich über diese merkwürdige Anschuldigung: »Mit welchen üblen Handlungen?«

Beelzebub, a.k.a. Luzifer /WikiCommons)Sie entgegneten ihm ausweichend: »Ein Magier ist er und mit Beelzebul, dem Herrscher der Dämonen, treibt er die Dämonen aus, und alles ist ihm untertan.«

Pilatus, dem die jüdischen Dämonenlehren fremd waren, sah sich zum Widerspruch und zum Verweis auf seine Religion genötigt: »Das kann es nicht sein, mit einem unreinen Geist die Dämonen auszutreiben, sondern das kann nur mit dem Gott Asklepios geschehen!«

Der Gott Asklepios hieß bei den Römern Aesculapius, wir kennen in unserer Zeit meist den Namen Äskulap. Sein Stab, um den sich eine Schlange windet, ist bis heute das Symbol des ärztlichen und pharmazeutischen Standes und er ziert auch die Flagge der Weltgesundheitsorganisation. Der Ursprung dieses Symbols hat mit etwas zu tun, was Jesus in seinem nächtlichen Gespräch mit Nikodemus erwähnt hatte: »Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöht hat, so muss der Menschensohn erhöht werden, damit alle, die an ihn glauben, das ewige Leben haben.«

Nikodemus war natürlich bekannt, worum es bei dieser Begebenheit ging. Zur Zeit des Mose war das Volk von Schlangen angegriffen worden, Mose bat Gott um Erbarmen. Daraufhin sprach Gott zu Mose: »Mache dir eine eherne Schlange und richte sie an einer Stange hoch auf. Wer gebissen ist und sieht sie an, der soll leben.«

Die Schriftgelehrten gingen nun im Prozess auf diese Frage nicht weiter ein, sie vermieden auch eine Antwort darauf, dass nur der Gott Asklepios für wundersame Heilungen zuständig sein konnte, sondern sie sagten zu Pilatus: »Wir bitten deine Hoheit, ihn vor deinen Richterstuhl zu stellen und zu verhören.«

Pilatus hatte die einleitenden Worte der Ankläger noch im Ohr. Er erkannte einen Kompetenzkonflikt und rief sie näher heran. Er fragte in vertraulichem Ton: »Sagt mir! Wie kann ich, der ich Statthalter bin, einen König verhören?«

Sie erklärten: »Wir behaupten nicht, dass er ein König ist, sondern dass er sich dafür ausgibt.«

Das beruhigte den Statthalter ein wenig, aber er blieb vorsichtig. Pilatus rief seinen Läufer und trug ihm auf: »In rücksichtsvoller Weise soll Jesus vorgeführt werden.«

Ein Läufer war ein Dienstbote, ein Nachrichtenüberbringer. Statt Soldaten zu schicken, um den Gefangenen vorzuführen, wie es sich die Ankläger wohl vorgestellt hatten, wählte Pilatus eine eher dezente Einladung als eine Vorladung vor den Richterstuhl.

Der Läufer ging hinaus, und als er Jesus erkannte, erwies er ihm seine Ehrfurcht. Er nahm ein Tuch, das er in seiner Hand hatte, breitete es auf dem Boden aus und sprach zu ihm: »Herr, wandle auf diesem und geh hinein. Denn es ruft dich der Statthalter.«

Als aber die Neugierigen, die im Gericht herumstanden, sahen, was der Läufer tat, schrien sie gegen Pilatus und schimpften: »Weshalb hast du ihn nicht von einem Herold holen lassen statt von dem Läufer?«

Das Verhalten des Läufers war tatsächlich nur dann angebracht, wenn es um einen König ging. Und einen König lud man nicht mit einem normalen Diener zu sich ein, sondern man schickte einen Herold, einen offiziellen, an einen Ehrenkodex gebundenen Gesandten. Heute würden wir das Wort Diplomat wählen. Und einen König, das hatte Pilatus ja eben richtig festgestellt, konnte man nicht vor einen Statthalter laden, um Gericht über ihn zu halten.

Pilatus hörte den Tumult und rief den Läufer zu sich, noch bevor er Jesus in den Gerichtssaal führen konnte. Er fragte: »Weshalb hast du das getan und dein Tuch auf dem Boden ausgebreitet und Jesus darauf wandeln lassen?«

Der Läufer war sich keines Vergehen bewusst, er antwortet: »Herr Statthalter, als du mich neulich nach Jerusalem zu Alexander schicktest, sah ich diesen Jesus auf einem Esel sitzen, und die Kinder der Hebräer hielten Zweige in ihren Händen und schrien; andere aber breiteten ihre Gewänder vor ihm aus, wobei sie ausriefen: Rette doch, der du weilst in den Höhen! Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!«

Da unterbrachen die Schriftgelehrten den Läufer mit lautem Geschrei: »Die Kinder der Hebräer riefen doch auf hebräisch, woher weißt du es auf griechisch?«

Der Läufer erwidert ihnen nüchtern: »Ich fragte einen der Juden: Was ist das, was sie auf hebräisch rufen? Und der Jude hat es mir übersetzt.«

Nun mischte sich Pilatus ein, das wollte er genauer wissen, denn wenn das stimmte, dann hielt das Volk diesen Jesus tatsächlich für einen durch göttliche Vorsehung Auserwählten. Dann hatte er es vielleicht doch mit einem König, zumindest einem zukünftigen König, zu tun. Er fragte: »Was riefen sie denn auf hebräisch?«

Die Juden antworteten mit den geläufigen Worten aus dem Psalm 118, die beim Einzug eines Königs üblich waren: »hôschi'âhnâ' bi-merômin barûch habbâ' be-schem 'adônai.«

Pilatus nickte und verstand kein Wort. Er fragte weiter: »Und das Hosanna und so weiter, wie wird das übersetzt?«

Sie antworteten: »Rette doch, der du weilst in den Höhen! Gesegnet, der da kommt im Namen des Herrn!«

Da sagte Pilatus zu ihnen, nicht ohne Sarkasmus in der Stimme: »Wenn ihr die Äußerungen der Kinder bestätigt, was hat dann der Läufer eigentlich falsch gemacht?«

Nun verstummten sie.

Der Statthalter sprach jetzt wieder mit dem Läufer: »Geh hinaus und, auf welche Art du willst, führe ihn herein!«

Da ging der Läufer hinaus und verfuhr nach der vorigen Weise, indem er wieder ein Tuch wie für einen König auf den Boden legte, und sprach zu Jesus: »Geh hinein! Der Statthalter ruft dich.«

Als Jesus hineinging, während die Standartenträger die Standarten hielten, da verneigten sich die Bilder auf den Standarten und erwiesen Jesus Ehrfurcht. Als die Juden das Verhalten der Standarten sahen, wie sie sich neigten und Jesus Ehrfurcht erwiesen, da schrien sie überlaut und schimpften auf die Standartenträger. Ein Sturm der Entrüstung tobte. Pilatus musste ziemlich energisch werden, bis wieder Ruhe eintrat. Dann fragte er die aufgebrachten Ankläger: »Staunt ihr nicht darüber, wie die Bilder sich neigten und Jesus Ehrfurcht erwiesen?«

Die Standarte war ein an einer Stange gehisstes Feldzeichen, meist ein plastisches Bild, das den Sammlungsort eines Truppenteils in der Schlacht markierte und so zur Insignie dieses Truppenteils wurde. Es könnte sich im Gerichtssaal um die Aquila gehandelt haben, die einen Adler darstellte. Mag sein, dass andere Bilder auf den beiden Standarten waren, jedenfalls waren es Bilder, Gegenstände. So etwas verneigt sich nicht.

Die Schriftgelehrten waren noch immer voller Wut und behaupteten: »Wir sahen, wie die Standartenträger diese neigten und ihm Ehrfurcht erwiesen.«

Der Statthalter hatte nichts derartiges bemerkt, aber er rief die Standartenträger zu sich und stellte sie zur Rede: »Warum habt ihr das getan?«

Sie antworten: »Wir sind griechische Männer und im Tempeldienst. Welchen Anlass sollten wir also haben, ihm Ehrfurcht zu erweisen? Wir hielten die Bilder; diese aber neigten sich von sich aus und erwiesen ihm Ehrfurcht.«

Daraufhin sagte Pilatus zu den Synagogenvorstehern und den Ältesten des Volkes: »Wählt ihr tüchtige und kräftige Männer aus, sie sollen die Standarten halten! Dann wollen wir sehen, ob sie sich von sich aus neigen.«

Das ließen sich die Ältesten der Juden nicht zweimal sagen, sie wählten zwölf tüchtige und kräftige Männer aus und ließen sie jeweils zu sechst die beiden Standarten halten, sie mussten vor dem Richterstuhl des Statthalters Aufstellung nehmen. Die Männer standen felsenfest und hielten die Stangen unbeweglich fest.

Pilatus beauftragte nun den Läufer: »Führe Jesus aus dem Praetorium hinaus und wieder herein, auf welche Art du willst!«

Jesus verließ mit dem Läufer das Praetorium. Pilatus holte derweil die bisherigen Träger der Bilder zu sich und erklärt ihnen halblaut: »Ich habe beim Heil des Kaisers geschworen, wenn die Standarten beim Eintritt Jesu sich jetzt nicht verneigen, dass ich dann euch die Köpfe werde abschneiden lassen.«

Die Männer wurden ziemlich blass, aber sie hatten sich andererseits nichts vorzuwerfen, sie hatten nichts falsch gemacht und schon gar nicht ihre Dienstpflichten verletzt. Sie konnten ja nichts dafür, wenn hier sonderbare Phänomene auftraten. Trotzdem: Ein Kopf rollte damals noch leichter von den Schultern als heutzutage. Die Atmosphäre war recht mulmig.

Pilatus befahl, Jesus solle zum zweiten Mal eintreten, der Läufer verfuhr wie vorher, und inständig forderte er Jesus auf, sein Tuch zu betreten. Jesus betrat es und ging hinein. Als er hineinging, neigten sich wieder die Standarten und erwiesen Jesus ihre Verehrung. Die eigentlichen Standartenträger atmeten hörbar erleichtert auf. Keine Köpfe würden rollen, zumindest nicht ihre.

Pilatus hatte natürlich sehr genau hingeschaut. Als er sah, wie sich die Bilder verneigten, geriet er in Furcht und wollte vom Richterstuhl aufstehen. Das hätte den Abbruch der Verhandlung bedeutet – ein einladend einfacher Ausweg aus diesem Tohuwabohu. Während er noch ans Aufstehen dachte, kam jemand in den Gerichtssaal, den seine Frau zu ihm geschickt hatte. Sie ließ ihrem Mann sagen: »Habe du nichts mit diesem Gerechten zu tun! Denn ich habe in der Nacht viel seinetwegen ausstehen müssen.«

Daraufhin rief Pilatus alle Ankläger herbei und sagte zu ihnen: »Ihr wisst, dass meine Frau gottesfürchtig ist, und mehr noch, sie judaisiert mit euch!«

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Tja. Ist sie nun wirklich gottesfürchtig und judaisiert sich mit dem Volk? Und wird der weise Nikodemus weiter nur zuhören oder auch einmal das Wort ergreifen?

Fortsetzung folgt...

Sonntag, 7. November 2010

Was der weise Nick erlebt und erzählt hat - Teil 1

Das alles ist lange her, und vieles aus seinem Leben ist vergessen und verloren. Anderes wird noch heute wieder und wieder erzählt, bedacht, interpretiert und geglaubt oder bezweifelt. Ich stieß neulich auf ein Dokument, das von manchen Fachleuten verworfen, von anderen verteidigt wird; verworfen meist, weil es nicht der offiziellen Linie, der sogenannten reinen Lehre entspricht. Es lagert – dem Internet sei es gedankt – nun nicht mehr nur in staubigen Archiven, sondern wer es lesen möchte, der braucht nur einen Computer und den Zugang zum weltweiten Datennetz. (Die Quellen werde ich am Schluss der Geschichte verlinken.)
Es geht um einen Prozess. Nicht den Prozess, den Franz Kafka zum Gegenstand eines hervorragenden Romanes gemacht hat, aber die Szenen, die in jenem Dokument geschildert werden, könnte Franz Kafka ersonnen haben, so grotesk, geradezu kafkaesk, erscheint dem Leser manches. Jedoch entstand das Dokument schon lange vor seiner Zeit. Wann die ersten Aufzeichnungen wirklich niedergeschrieben wurden, weiß wohl niemand zu sagen, von vielen Forschern wird das Jahr 425 oder 426 unserer Zeitrechnung angenommen. Die Geschichte zog mich in ihren Bann und so habe ich es unternommen, sie meinen Lesern anhand des Dokumentes, aber durchaus auch mit eigenen Worten ergänzt, zu erzählen. Manches ist uns heutzutage kaum verständlich, wenn es nicht ein wenig erläutert wird, das habe ich versucht, beim Erzählen zu tun.
Wie viel von diesem Bericht der Wahrheit entspricht, wie viel ersonnen ist, das wollen wir nicht untersuchen. Es ist eine – so meine ich und hoffe ich – für viele Leser spannende Erzählung, und darauf kommt es an. Fachbücher zum Thema mögen andere verfassen.

Am Beginn steht eine Begebenheit, die vielen Lesern wohl vertrauter ist als das, was später folgt, da der Bericht in den Kanon der als authentisch geltenden Schriften aufgenommen wurde.
Unter den Pharisäern, eine Partei unter den Juden, die auf strengste Auslegung und Beachtung der Gesetze bedacht war, gab es einen Mann mit Namen Nikodemus, er war ein Oberster der Juden. Die Obersten, das waren angesehene und reiche Menschen, einflussreich und geachtet. Darüber hinaus galten sie als gelehrt und weise, was ja auch notwendig war, denn die Pharisäer unterrichteten andere.
Dieser Nikodemus kam bei Nacht zu Jesus und sprach ihn an: »Mein Meister, wir wissen, dass du ein Lehrer bist, von Gott gekommen, denn niemand kann diese Zeichen tun, die du tust, es sei denn Gott mit ihm.«
ein weiser Rabbi - WikiCommonsMancher stutzt schon hier. Wir suchen niemanden mehr nach der Tagesschau auf, schon gar nicht jemanden, der nicht zur Familie oder den engsten Freunden gehört. Ein später Besuch war es tatsächlich, und ein offensichtlich höflicher Besucher. »Mein Meister«, das war eine sehr respektvolle Anrede für geistliche Lehrer im Spätjudentum. Die nächtliche Stunde erklärt sich daraus, dass es zu den Gepflogenheiten der jüdischen Gelehrten gehörte, sich bei Nacht mit den Geheimnissen der Tora, der heiligen Schriften, zu befassen. Dies rührte, so meinen die Forscher und Geschichtsschreiber, aus einem Psalm her, in dem es heißt: »Preiset den Herrn, alle Diener des Herrn, die ihr in den Nächten im Hause des Herrn steht.«
Ein Schüler der Tora fragte einst: »Was heißt: in den Nächten?«
Rabbi Jochanan, seinerzeit der führende Kenner und Ausleger, erwiderte: »Das sind die Schriftgelehrten, die sich nachts mit der Tora befassen. Die Schrift rechnet es ihnen an, als würden sie sich mit dem Opferdienst befassen.«
Nikodemus handelte also nicht ungewöhnlich, als er nachts zu Jesus kam, und auch Jesus war die nächtliche Beschäftigung mit den heiligen Schriften nicht fremd, sondern eine gute Gewohnheit. Er hatte zu seinen Jüngern einmal gesagt: »Was ich euch im Dunkeln sage, davon redet später am hellen Tag.«
Nikodemus war nun sicher gespannt, wie Jesus angesichts des Widerstandes, den er gerade von den Schriftgelehrten gewohnt war, darauf reagieren würde, dass er, der Pharisäer, ihn als »Lehrer, der von Gott gekommen ist«, als geistlichen Lehrer, als seinesgleichen, anerkannte.
Jesus antwortete: »Ich sage dir etwas Unabänderliches: Wenn jemand nicht von oben her geboren wird, kann er die Königsherrschaft Gottes nicht sehen.«
Nun ja, das war zwar keine Reaktion auf die Anrede und die ehrenhaften Worte, aber doch ein Einstieg in ein Gespräch, wie es unter geistlichen Lehrern üblich war. Es ist auch durchaus denkbar, dass derjenige, der diese Begebenheit damals aufgeschrieben hat, so manche Floskeln und Höflichkeiten nicht erwähnte, sondern sich auf den Kern des Gespräches konzentrierte. Man schrieb, denn die Schreibmaterialien waren teuer und rar, nur das wirklich Wichtige auf.
Nikodemus reagierte mit einer rhetorischen Frage: »Wie kann ein Mensch geboren werden, wenn er alt ist? Kann er etwa zum zweiten Mal in den Leib seiner Mutter hineingehen und geboren werden?«
Dass dieses Verfahren nicht möglich war, verstand sich von selbst. Der Gelehrte wollte eine genauere Erklärung hören, was Jesus mit dieser »Geburt von oben her« wohl meinen mochte, und er bekam auch eine Antwort.
Jesus erklärte: »Ich versichere dir bei Gott: Wenn jemand nicht aus Wasser und Geist geboren wird, kann er nicht in die Königsherrschaft Gottes hineingehen. Was aus dem Fleisch geboren ist, ist Fleisch, und was aus dem Geist geboren ist, ist Geist. Wundere dich nicht, dass ich dir sagte: Ihr müsst von neuem geboren werden. Der Wind weht, wo er will, und du hörst sein Sausen, aber du weißt nicht, woher er kommt und wohin er geht; so ist jeder, der aus dem Geist geboren ist.«
In unserer, der deutschen Sprache, sind Wind und Geist verschiedene Worte, meist wird das Gesagte so wiedergegeben wie eben zitiert, weil mit dem Geist ein hörbares Sausen gedanklich eher nicht zusammenpasst. Doch was wissen wir schon vom Geist Gottes, von dem hier die Rede ist? In den heiligen Schriften ist auch von seinem Sausen, von großem Getöse wie bei einem Sturm gar, die Rede. Doch wollen wir hier nicht abschweifen.
Nikodemus, noch nicht so ganz zufrieden, antwortete wieder mit einer Frage: »Wie kann dies geschehen?«
Jesus reagierte nun etwas verwundert: »Du bist der Lehrer Israels und weißt das nicht? Ich sage dir mit Gewissheit: Wir reden, was wir wissen, und bezeugen, was wir gesehen haben, und unser Zeugnis nehmt ihr nicht an. Wenn ich euch das Irdische gesagt habe, und ihr glaubt nicht, wie werdet ihr glauben, wenn ich euch das Himmlische sage? Und niemand ist hinaufgestiegen in den Himmel als nur der, der aus dem Himmel herabgestiegen ist, der Sohn des Menschen. Und wie Mose in der Wüste die Schlange erhöhte, so muss der Sohn des Menschen erhöht werden, damit jeder, der an ihn glaubt, ewiges Leben habe. Denn so sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen Sohn, einzig in seiner Art, gab, damit jeder, der an ihn glaubt, nicht verloren geht, sondern ewiges Leben hat. Denn Gott hat seinen Sohn nicht in die Welt gesandt, dass er die Welt richte, sondern dass die Welt durch ihn errettet werde. Wer an ihn glaubt, wird nicht gerichtet; wer aber nicht glaubt, ist schon gerichtet, weil er nicht geglaubt hat an den Namen des einzig geborenen Sohnes Gottes. Dies aber ist das Gericht, dass das Licht in die Welt gekommen ist, und die Menschen haben die Finsternis mehr geliebt als das Licht, denn ihre Werke waren böse. Denn jeder, der Arges tut, hasst das Licht und kommt nicht zu dem Licht, damit seine Werke nicht bloßgestellt werden; wer aber die Wahrheit tut, kommt zu dem Licht, damit seine Werke offenbar werden, dass sie in Gott gewirkt sind.«
Ob Nikodemus weitere Fragen hatte, oder ob er das alles durchdenkend nach Hause gegangen ist, um zu nächtlicher Stunde die Tora diesbezüglich zu studieren, ist uns nicht überliefert. Der Bericht über die Unterredung endet an dieser Stelle. Spurlos an Nikodemus vorbeigegangen ist dieses Gespräch jedenfalls nicht, denn er meldete sich später öffentlich zu Wort, als seine Kollegen Jesus loswerden wollten.

Die Feindschaft der Pharisäer und Schriftgelehrten hatte ihren Grund, denn was dieser Jesus tat und lehrte, gefiel zwar dem Volk, aber es widersprach allen gängigen Auslegungen der Tora. Der Messias, der von Gott versprochene Retter, sollte – so hatte es auch der Prophet Johannes vor einer Weile öffentlich verkündet – mit Feuer vom Himmel und eisernem Besen für Ordnung sorgen. Man ging selbstverständlich davon aus, dass der Messias das jüdische Gesetz bis auf das letzte Pünktchen und Komma beachten und halten, gegen keine einzige der Vorschriften verstoßen würde. Schon dadurch, dass er am Sabbat Menschen heilte, schied Jesus daher als Christus, als Erretter aus.
Das Volk hingegen jubelte. Jesus war nach Jerusalem gekommen, und er wurde mit Ritualen empfangen, wie sie nur einem König gebührten, mit Mänteln und Tüchern auf der Straße, mit Palmwedeln und Zitaten aus den Schriften, die auf einen normalen Menschen gar nicht angewendet werden durften. Davon werden wir noch etwas später, beim Prozess, noch mehr hören.
Das Volk versammelte sich inzwischen regelmäßig und in großer Zahl, um Jesus zuzuhören, wenn er öffentlich im Tempel lehrte. Einige aus der Volksmenge sagten, wenn sie ihn hörten: »Dieser ist wahrhaftig der Prophet.«
Andere gingen noch weiter: »Dieser ist der Christus.«
Wieder andere zweifelten: »Der Christus kommt doch nicht aus Galiläa? Hat nicht die Schrift gesagt: Aus der Nachkommenschaft Davids und aus Bethlehem, dem Dorf, wo David war, kommt der Christus?«
Es entstand seinetwegen neben all dem Jubel auch eine Spaltung in der Volksmenge. Einige von denen, die besonders frommen Verteidiger des Gesetzes waren, wollten ihn greifen, aber keiner legte die Hände an ihn.
Auch nicht die Abgesandten der religiösen Elite. Die Pharisäer und Priester hatten ihre Diener losgeschickt, um Jesus zu ergreifen. Es war ihnen zu Ohren gekommen, dass man ihn für den Christus, für den von Gott versprochenen Erlöser hielt. Und es blieb ihnen nicht verborgen, dass mit dem Zulauf zu Jesus ihr eigener Einfluss schwand. Die Kundschafter, die bei den Diskussionen und den Reden Jesu zugehört hatten, kamen jedoch mit leeren Händen zu den Hohenpriestern und Pharisäern zurück. Diese fragten ziemlich unwirsch: »Warum habt ihr ihn nicht gebracht?«
Die Diener antworteten: »Niemals hat ein Mensch so geredet wie dieser Mensch.«
Da schimpften die Pharisäer: »Seid ihr denn auch verführt? Hat wohl jemand von den Obersten an ihn geglaubt, oder von den Pharisäern? Diese Volksmenge aber, die das Gesetz nicht kennt, sie ist verflucht!«
Man hielt sich für etwas Besseres als das gemeine Volk, schließlich hatten die Pharisäer den Durchblick durch alle geistlichen Dinge und sie beherzigten alle Gesetze außerordentlich genau. Es ging ja nicht an, dass die ungelehrten Scharen nicht mehr dem folgten, was die studierten Lehrer zu sagen hatten, dass das Volk einem Lehrer aus Nazareth nachfolgte, der überhaupt kein ordentliches Torastudium vorzuweisen hatte. Nikodemus, der ja einer von ihnen war, musste an dieser Stelle des Gespräches allerdings widersprechen: »Richtet denn unser Gesetz den Menschen, ehe es vorher von ihm selbst gehört und erkannt hat, was er tut?«
Seine Kollegen wiesen ihn schroff zurecht und rieten ihm, seine Hausaufgaben zu machen: »Bist du etwa auch aus Galiläa? Forsche und sieh, dass aus Galiläa kein Prophet aufsteht!«
Das hatte Nikodemus, so nehmen wir getrost an, bereits getan. Er hatte ja von Jesus selbst gehört, was er tat, statt sich auf das Hörensagen zu verlassen.
Immerhin war auf diesen Einwand von Nikodemus hin die Beratung erst einmal zu Ende und jeder ging in sein Haus.

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Fortsetzung folgt

Samstag, 6. November 2010

Was täte die Unterschicht, wenn sie RTL nicht hätte?

Das Medienmagazin proKOMPAKT hat in seiner Ausgabe 44-2010 einen lesenswerten, recht nüchternen Bericht über die Sendung »Das Medium« veröffentlicht, den es auch online gibt: Super Nanny für die Toten

Ziemlich am Anfang heißt es darin:

Der Sender blieb sich und seinem Image als „Unterschichten-Fernsehen“ (Harald Schmidt) treu.

Das ist doch aber keine Überraschung, oder? Von diesem oder ähnlichen Sendern wird doch wohl niemand ernsthaft Qualität oder Niveau erwarten wollen. Doch JS, der Autor des Beitrages in proKOMPAKT, hat - vielleicht aufgrund der aufgeregten Diskussionen vor der Sendung - etwas anderes, einen Skandal, Okkultes oder Anrüchiges womöglich, erwartet, denn er schreibt in dem Artikel:

Der Skandal ist, für wie doof RTL seine Zuschauer hält. Dennoch bleibt zu befürchten, dass Millionen von Zuschauern glauben, was RTL ihnen da auftischt.

Ich erkenne keinen Skandal. RTL hält seine Zuschauer für doof und liegt damit genau richtig. Sonst würde das Geschäftsmodell ja nicht funktionieren - die Einschaltquoten beweisen, wie stark die Unterschicht in Deutschland ist und wie es um den Intellekt – oder die Gleichgültigkeit bezüglich der TV-Berieselung - bestellt ist. Menschen, die RTL einschalten, möchten gerne niveaulosen Schund sehen, möchten nicht denken, möchten nichts lernen oder wissen, möchten weder Bildung noch Werte erwerben. Andernfalls würden sie ja nicht dieses Programm wählen. Es bleibt also nicht zu befürchten, wie proKOMPAKT schreibt, dass Millionen von Zuschauern glauben, was RTL ihnen auftischt, sondern es ist so.
Zu diesem Schluss kommt letztlich auch der Autor des Artikels, denn er stellt gegen Ende seiner Zeilen die wohl rhetorische Frage:

RTL, was täte die Unterschicht, wenn sie Dich nicht hätte?

Eben.

Freitag, 5. November 2010

Das dauert noch

Was sind das denn für Leute?Es wird – bald, ziemlich bald – hier eine neue Erzählung beginnen, aber daran arbeite ich noch. Das ist ja an und für sich kein Hindernis, zumindest schon mal den Beginn zu veröffentlichen, aber gerade die ersten Sätze sind noch etwas störrisch und wollen nicht so klingen, wie es mir vorschwebt.

Da ich zur Zeit mehrere Projekte, zum Teil recht kompliziert, zu bewältigen habe, für die dann auch eine Rechnung geschrieben werden kann, muss der kostenlose Blogservice die zweite Geige zu spielen versuchen. Oder anders ausgedrückt: Das dauert noch, bis hier wieder eine Erzählung beginnt. Die wird voraussichtlich etwa vier bis fünf Teile in verträglicher Länge haben.

Wer sich nun zu Tode langweilt, kann ja eines meiner Bücher lesen. Apropos »zu Tode«: Eine frische Rezension zu »Gänsehaut und Übelkeit« gibt es in Amazonien: Christof Lenzen über das Buch.

Mittwoch, 3. November 2010

Bleistift und Block

bleistift1 »Ich klaue bei IKEA diese kleinen Bleistifte, die finde ich so herrlich. Wenn ich zu IKEA gehe, nehme ich nicht nur einen, sondern immer fünf, und damit schreibe ich. Die hab ich neben dem Bett, neben dem Schreibtisch und in allen Taschen.« -Elke Heidenreich

Der Bleistift ist ja seit dem 18. Jahrhundert kein solcher mehr, da die Mine nicht aus Bleierz, sondern aus einem Graphit-Ton-Gemisch hergestellt wird. Eigentlich handelt es sich um Etikettenschwindel, doch darüber sei hier gnädig hinweg gesehen, denn es soll ja nicht um das Schreibwerkzeug an und für sich gehen, sondern darum, welche Zeilen entstanden, als ich neulich einen alten, vergilbten Block unbekannter Herkunft und einen Bleistift der Marke Staedtler 123 60 2 HB, übrigens keineswegs bei IKEA geklaut, zur Hand nahm:

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Ein Bleistift und ein vergilbtes Blatt, kariert, von einem Block abgetrennt. Die Handschrift, die in Zeiten der omnipräsenten Tastaturen fast in Vergessenheit gerät. Kann denn aus solchen Zutaten etwas entstehen, wachsen, sich entwickeln?

Gedanken, die zurück eilen in der Zeit: Die ersten Schreibversuche abseits des schulischen Pflichtprogramms, seinerzeit natürlich ohne maschinelle Mittel. Unbeholfene Versuche, Empfundenes in Schrift zu fassen. Peinliche Entgleisungen ins Kitschige und Banale. Ab und zu jedoch Zufriedenheit mit zu Papier gebrachten Zeilen. Jedoch: verstanden nur von mir; das familiäre Publikum lediglich freundlich Beifall zollend, man darf und soll ja Kindern nicht die Freude an kreativem Tun rauben.

Dann pubertäre Wortergüsse, sie gingen einher mit heimlichen Ergüssen körperlicher Art. Uneingestandenes Verliebtsein, denn Eingeständnis birgt Zurückweisung und Enttäuschung. Schreiben statt dessen, die Phantasie beflügelt von Hormonen. Die Ergebnisse des Schreibens blieben streng geheim, gehütet unter Büchern im Regal, getarnt, verborgen von Hemmingway und Böll, durchaus auch May.

bleistift2 Ein neues Blatt, der Stift frisch angespitzt. Wie damals, als es noch Buntstifte gab, mit denen in der Schule zu zeichnen und zu Hause zu malen ein Vergnügen war. Die Ergebnisse noch weniger präsentabel als das meiste Geschriebene. Zum Maler oder Zeichenkünstler, das war mir bald klar, taugte ich nicht.

Und heute nun, so viele Jahre später, höre ich wieder das Geräusch der Mine, wenn sie auf dem Block ihre Spuren hinterlässt. Ein ganz und gar mit dem Klackern der Tastatur unvergleichbares Geräusch. Es hat etwas Heimliches, Verschworenes, Sinnliches. Ob öfter mal der Bleistift zur Hand genommen werden sollte? Wie damals, als die Notizen und Entwürfe so entstanden – um später mit der Schreibmaschine abgeschrieben zu werden. Und dann der erste Erfolg, als der »Tropfenfänger«, die Schülerzeitung des Gymnasiums, die erste Kurzgeschichte abdruckte.

Meine Erzählung, in einer Auflage von 500 gedruckt! Anerkennung von Schulfreunden, aber auch von Fremden. Nachdruck dann in einem lokalen Anzeigenblatt, das wohl um Inhalte neben der Reklame arg verlegen war. Das erste Honorar: 20 Mark.

Am Anfang war der Bleistift, am Anfang war der Block. Der Bleistift sprach zum Block: Es werde eine Geschichte! Der Block antwortete: Nur zu! Ich musste nur die Mine führen, der Rest ging wie von selbst.

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Sollte ich wohl öfter zum Bleistift greifen? Was meinen denn die hoch geschätzten Blogbesucher?

Montag, 1. November 2010

Bob Dylan: Stimmung ohne Stimme

Es ist schon ein einzigartiges Völkchen, das die Fangemeinschaft des Herrn Bob Dylan bildet. Nichts, aber auch gar nichts kann diese Menschen davon abhalten, zu den Konzerten zu pilgern und/oder sich wenige Stunden nach dem jeweiligen Konzert die Aufnahme desselben herunterzuladen.

Ich bin offensichtlich kein »Hardcore-Fan«, denn ich lade nicht das beinahe tägliche Konzert auf meinen Computer und ich weiß auch nicht so recht, ob ich – falls Bob Dylan wie vorgesehen 2011 nach Europa kommt – mir einen Konzertbesuch vornehmen möchte. Die letzten Konzerte, die ich besucht habe, waren gut, ich habe angenehme Erinnerungen, aber beim letzten Auftritt in Berlin war es schon so, dass kaum noch ein verständliches Wort aus dem Munde des Herrn Dylan kam, sicher ist das auch der Akustik in der Max-Schmeling-Halle geschuldet, für Konzerte taugt diese Halle nun wirklich nicht. Aber hauptsächlich liegt es daran, dass da ein Sänger ohne Stimme singt.

Warum er mit knapp 70 Jahren überhaupt noch dermaßen fleißig die Welt bereist, ist jedem Konzertbesucher klar: Er hat Spaß an dem, was er da tut. Er lebt sichtlich auf, wenn er auf einer Bühne steht. Und das ist auch völlig richtig, gut so und soll so bleiben. Bleiben werden auch die Fans, die mitreisen von Auftritt zu Auftritt und die schon zwei Stunden nach Ende eines Konzertes Entzugserscheinungen bekommen, weil der Download noch nicht bereit steht.

Aber will ich Bob Dylan nicht vielleicht lieber von CD oder Schallplatte hören? Ich höre mir so etwa alle drei bis vier Monate eines seiner Konzerte an, zuletzt Talahassee aus dem Oktober 2010. Hier ist ein Ausschnitt daraus, der Song, der seit Jahren am Schluss der Konzerte steht, LARS, a.k.a. Like a Rolling Stone:

Und? Will ich das, was von seiner Stimme noch übrig ist, wirklich zwei Stunden genießen, wenn es doch zu Hause so viele LPs und CDs gibt, die mir mit jedem Hören gleich lieb und teuer sind? Hmmm…

P.S.: Falls jemand auf den Geschmack gekommen ist: Sämtliche Auftritte sind bei Expecting Rain – oft schon wenige Stunden nach dem Konzert – zum Download vorhanden, kostenlos selbstverständlich. Man gehe zu expectingrain.com, werde Mitglied / registriere sich, beim nächsten Besuch und Login sieht man dann bei Discussions auch die Bereich Requests for Rare Dylan Recordings (dort kann man sich ältere Aufnahmen wünschen) und Rare Dylan Recordings (dort sind alle Konzerte der letzten Jahre und die älteren Aufnahmen, die von jemandem gewünscht wurden, zu finden). Dann muss man nur noch herunterladen und anhören.

Sonntag, 31. Oktober 2010

Vierzehn mal Hundertvierzig – Eine Liebe und ihr Ende

image Regelmäßige Blogbesucher wissen, dass ich mich vor einer Weile ins Twitterland verirrt habe, in ein Paralleluniversum, dessen Sinn sich mir noch immer nicht erschließen will. Doch muss ja nicht alles im Leben, in diesem oder in anderen Universen, sinnvoll sein.

In jenem Twitterland habe ich zwischen all den anderen komischen Vögeln in den letzten zwei Wochen eine Ballade in 14 Versen zu je 140 Zeichen vorgesungen. Die 140 Zeichen sind eherne Grenze im Twitterland, die 14 Verse habe ich mir selbst als Rahmen verordnet.

Hat das irgendjemand als fortgesetzte Geschichte wahrgenommen? Wohl kaum.

Jeder Vers ist, das geht im Twitterland nicht anders, da zwischen den einzelnen Episoden nicht nur Hinz und Kunz, sondern auch ich selbst anderes zwitscherten, eine abgeschlossene Geschichte in sich. Dass daraus diese Ballade werden würde, hatte ich am Anfang nicht gewusst. Das erkannte ich erst nach dem fünften Vers.

So. Genug geplaudert. Wer Augen hat zu lesen, der lese, was der Autor im Twitterland gezwitschert hat.

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Wir sehen Olaf, Detlef, Bernd und Samuel. Auch Sandra, Iris, Ute und Gabi. Doch Timo hat nur Augen für Nadine. Sie schenkte ihm ein Lächeln.

Er duscht, derweil sie schon die Zähne putzt. Ein Schimmern durch den Vorhang, nur schemenhaft. Er senkt den Blick, sein Penis strebt empor.

Das Bett, zwei ebene Flächen, belegt von bauschigen Kissen und Decken in strahlendem Weiß. Sie werden keine Decke brauchen, die Liebe wärmt.

Sie legt die Hand auf seinen Bauch. Er atmet tief. Ob sie erspürt, wie sehnlich er die Zentimeter überwunden wünscht? Sanft. Zart. Ausatmen.

Verschmolzen ist die Zeit nun mit der Ewigkeit. Keine Minuten zählt das Herz wenn zwei vereint verschmelzen. Fühlen. Schenken. Schrankenlos.

Sie schläft noch als das Tagwerk ihn ins Leben ruft. Er duscht und träumt dabei, sie wäre nah. Dann könnten seine Hände sie berühren, kosen.

Die Stunden seines Tages rinnen zäh. Gedanken eilen vor, zu ihr. Sein Herz will ohne sie sich nicht zufrieden geben. So zäh der Tag. Zu ihr!

Wie schön sie ist. Verzaubert muss er staunen, und ihre Augen sprechen, was der Mund nicht sagt. Wird ewig ihre Liebe sein wie frischer Tau?

Gewöhnung setzt wohl ein, doch niemals Überdruss. Er hat sie in seinem Herzen eingeschweißt die Liebe, nur zu ihr, versiegelt für ein Leben.

Die Bilder, die er sieht, wenn er die Augen schließt. Die Bilder. Sie werden niemals alt, sind immer wieder neu. Sie ist ihm unerschöpflich.

Wann fragte je das Schicksal nach der Liebe? Nach jedem schönen Tag lauert gefräßig eine Nacht. Er kann und will nicht glauben, was er weiß.

Noch glüht ein Funke Hoffnung, doch die Wahrheit löscht ihn aus. Werden da wenigstens noch Bilder sein, in seinem Kopf, von ihr? Was bleibt?

Sie durfte nicht bleiben. Der Tod riss sie in seinen Schlund. Erlöst vom Schmerz – doch welche Qual zuvor! Frieden wünscht und gönnt er ihr.

Wie leer sein Blick, als alles ihm genommen wurde. Erinnerung ist flüchtig. Was bleibt, ist Wissen um Verlust, sein Schmerz – womöglich Wut?

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Samstag, 30. Oktober 2010

Nichts.

Heute gibt es hier so viel Neues wie gestern. Nichts.

Donnerstag, 28. Oktober 2010

Projekt der Hoffnung: »Haus der guten Taten«

In Deutschland stellen in weit über 900 Werkstätten Menschen mit Behinderungen hochwertige Produkte her. Die Artikel werden häufig in kleinen Läden, bei Aktionen oder Märkten angeboten. Nicht selten landen sie im Lager.

Ein neues Konzept für den Aufbau und Betrieb eines Filialnetzes zur Vermarktung dieser Erzeugnisse in bester Marktlage entsteht bei der gemeinnützigen GmbH »Shop der guten Taten«. Zu den Gesellschaftern gehört auch Gemeinsam für Berlin. Die erste Filiale wird am 18. November im Forum Steglitz unter dem Namen COEO Haus der guten Taten eröffnet. Es sollen vor allem Produkte von behinderten Menschen, internationalen Hilfsprojekten und Fair Trade Organisationen angeboten werden. 50% der Gewinne fließen in soziale Projekte. Behinderte Menschen bilden einen Teil der Belegschaft.

Hier entsteht also auf Basis christlicher Überzeugungen ein neues Geschäftsmodell, das nachhaltig, sozial und ökologisch ist – und zusätzlich die Gewinne wieder in soziale, auch christliche, Projekte investieren kann.

Mehr zum Haus der guten Taten und Bildquelle: COEO

(Textquelle: Gebet für Berlin – November 2010)

Mittwoch, 27. Oktober 2010

Aus einem bis heute unveröffentlichten Roman

You may call my love Sophia
I call my love Philosophy
Van Morrison

Feuchtes Laub raschelte unter den Füßen der beiden Spaziergänger im Berliner Tiergarten. Beide waren 13 Jahre alt, das Mädchen wirkte jedoch älter. Ihr Gesicht ließ ahnen, dass sie ihre Kindheit nicht ohne Wunden und Schmerzen hinter sich gebracht hatte. Dunkle Locken fielen bis auf die Schultern, sie trug weiße Jeans und ein schwarzes T-Shirt mit dem HARD ROCK CAFÉ Logo auf der Brust.
Ihr Begleiter war hochgewachsen, schlank, dunkelblond, ein vergnügtes Lächeln spielte auf seinem Gesicht.
Sie schlenderten schweigend den Weg am Kanal entlang. In der Ferne hörte man, wenn man die Ohren spitze, Verkehrsgeräusche.
Die beiden nahmen auf einer Bank Platz und sahen auf das träge fließende Wasser des Landwehrkanals.

Der Junge brach nach etwa zehn Minuten das Schweigen.
»Sophia, weißt du, was mir an dir besonders gefällt?«
»Nein. Aber du wirst es mir gleich sagen.«
Sie lächelte erwartungsvoll.
»Dass man mit dir auch schweigen kann. Stundenlang, wenn es passt. So was ist selten.«
»Danke, Patrick.«
Sie saßen auf der Bank, sahen den Enten zu, die ohne Eile über das Wasser glitten, beobachteten müßige Spaziergänger.
Sophia genoss den Nachmittag. Sie hatten gemeinsam die Arbeiten für die Schule erledigt und waren anschließend mit der U-Bahn zum Bahnhof Zoo gefahren. Von dort aus durchwanderten sie den Tiergarten und sammelten Blätter für den Biologieunterricht. Der Park glänzte nach dem Gewitter, das am Mittag gewütet hatte, frisch gewaschen in der wärmenden Sonne.
Schließlich standen sie auf und schlenderten weiter.
»Du kannst andererseits auch reden wie ein Wasserfall, wenn es passt. Je nach Bedarf dummes Zeug oder kluge Einsichten.«
Patrick blickte auf die herbstlich verfärbten Baumkronen. Dann fuhr er fort: »Du bist wie ein Baum, der einem geben kann, was man braucht. Schatten in der Hitze, Schutz beim Regen, Früchte gegen den Hunger.«
Sophia grinste: »Und wenn es dann kalt wird, holzt du mich ab und verheizt mich in deinem Kamin, ja?«
Der Junge lachte und meinte: »Okay, Ende der Philosophiestunde. Lass uns ein Eis essen gehen, am Ku'damm. Okay?«
»Okay. Eis kann aber auch philosophisch sein. Ich esse Eis, also bin ich.«
»Nee. Ich bin, also esse ich Eis.«
Sophia schüttelte den Kopf.
»Nein, Patrick. Ich weiß nicht, welches Eis ich essen werde, also weiß ich nicht, wer ich bin. Ob ich bin.«

Sie beschleunigten ihre Schritte und verließen den Tiergarten. Quer über den Hardenbergplatz strebten sie dem Europacenter zu.