Freitag, 28. August 2015

»Johannes. Und weiter?«

Jessika musterte den Fremden, der ihr immer noch freundlich schmunzelnd gegenüber saß. Was willst du von mir? Wie werde ich dich los?

»Du siehst jünger aus als ich dachte«, sagte der Mann leise, als wäre das ein mildernder Umstand. »Jedenfalls nicht wie sechsundzwanzig Jähre alt.«

»18 ‘til I die«, erklärte Jessika.

»Aha. Du hörst gerne Bryan Adams?«

»Auch. Unter anderem.«

Er zwinkerte ihr zu und meinte: »Von mir aus kannst du jung bleiben. Ich kann mir eine Jessika fortgeschrittenen Alters sowieso nicht recht vorstellen. So um die fünfundzwanzig, okay, das scheint mir irgendwie angemessen. Aber achtzehn ist denn doch zu jung …«

Clipboard01Sie griff nach der Beretta und fragte: »Bekomme ich meine Munition eigentlich irgendwann wieder? Und was willst du überhaupt von mir?«

»Ich will dich erst mal besser kennen lernen. Du bist mir noch viel zu rätselhaft. Dann sehen wir weiter.«

»Du bist mir erst recht rätselhaft.«

»Eben.«

Sie runzelte die Stirn: »Was eben? Wie eben?«

»Bevor ich übereilte Entscheidungen treffe, was aus dir werden soll, möchte ich, dass wir uns besser kennen lernen«, erklärte der Mann.

Kennen lernen? Jessika witterte ihre Chance. Beim Sex wurden alle Männer fahrlässig, unvorsichtig; und mit dem Begriff Kennenlernen meinten Männer in der Regel kaum etwas anderes als dass ihr Penis aktiv werden durfte. Diesbezüglich hatte sie einige Finessen auf Lager, vor ein paar Stunden erst war Signore Giuseppe Di Stefano in den Genuss ihrer Künste gekommen. Dass sein Herz bei diesem Kennenlernen den Pumpdienst aufgegeben hatte, nun ja, das war eine ganz andere Sache. Immerhin hatte er sich in einem Augenblick höchsten Genusses von dieser Erde verabschiedet. So wie damals ihr Bernd. Ach Bernd, wenn ich dich zurückholen könnte

»Kennenlernen finde ich gut«, antwortete sie und schenkte ihrem Gegenüber ein erstes Lächeln. »Aber gehört dazu nicht auch und zuerst, dass man einander beim Namen nennen kann?«

Er nickte zustimmend. »Meinetwegen kannst du mich Johannes nennen. Oder wie auch immer du willst, falls dir der Name nicht gefällt. Ich bin da nicht wählerisch.«

»Johannes. Und weiter?«

»Nichts weiter. Name ist Schall und Rauch, und unsren kranken Nachbarn auch, um mit Hans-Dieter Hüsch zu sprechen. Du heißt ja auch nur Jessika.«

Sie schwieg. Sie war unschlüssig, wie es nun weitergehen sollte. Was er wirklich wollte, hatte er nicht verraten, und dass es ihm nur um Sex ging, hielt sie für unwahrscheinlich. Sie wusste außerdem nicht, ob er womöglich bewaffnet war, welche anderen Personen er in sein Wissen eingeweiht haben mochte. Es war ein ungewohntes und sehr unangenehmes Gefühl für Jessika, vielleicht zum ersten Mal in ihrem Leben die Zügel nicht selbst in der Hand zu halten.

»Ich gehe jetzt«, sagte Johannes schließlich, als das Schweigen anhielt. »Wir sehen uns bald wieder. Die Munition findest du in deinem Nachttisch.«

Er stand auf und nahm seinen Mantel vom Bett. Jessika kalkulierte, ob sie schnell genug die Waffe laden und ihn einholen konnte, bevor er die Pension verließ. Es war unwahrscheinlich. Außerdem wollte sie nach wie vor jedes Aufsehen vermeiden, wenn es irgend ging. Sie musste auf eine andere Gelegenheit warten, bei der sie besser vorbereitet sein würde.

Johannes setzte seinen Hut auf und streckte ihr die Hand entgegen.

»Gute Nacht, Jessika.«

Zögernd stand sie auf und reichte ihm die Hand. Sie blickte in seine Augen, die noch immer freundlich und auf sonderbare Weise vertraut wirkten. Sein Händedruck war fest. Er nickte ihr noch einmal zu und verließ dann das Zimmer. Die Tür zog er hinter sich zu.

Jessika stellte sich ans Fenster und sah ihn kurz darauf durch die Grünanlage in Richtung Via Giuseppe Verdi verschwinden. Er blickte sich nicht um. Sie hätte ihn vom Fenster aus erschießen können.

»Wir werden sehen«, murmelte sie, »wer von uns beiden am Ende seelenruhig davonschreitet. Noch ist nicht aller Tage Abend, Johannes. Oder wie immer du auch wirklich heißt.«

Sie setzte sich auf ihr Bett und öffnete die Schublade des Nachttisches. Die Patronen lagen neben der obligatorischen Gideon Bibel. Unter der Bibel sah sie einen Umschlag. Danke für den Gruß, stand darauf geschrieben. Sie nahm den Umschlag in die Hand und öffnete ihn. Einen Moment lang wusste sie nichts mit dem anzufangen, was sie sah: Eine Postkarte, die eine sonnendurchflutete Landschaft zeigte. Sie drehte die Karte um und erblickte ihre eigene Schrift.

Liebe Grüße, Jessika stand unter einem roten Herz.

Entgeistert starrte sie die Postkarte an.

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Wer mehr über Jessika oder mit wem sie sich da warum unterhält wissen will, darf sich gerne die Lektüre besorgen:

Taschenbuch, 190 Seiten; € 8,83 als gedruckte Ausgabe; € 3,51 als E-Book für den Kindle
ISBN-13: 978-1508936626 / ISBN-10: 1508936625;

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Foto der Waffe: „Beretta950JetfireandClip-Shut“ von AuburnPilot - Eigenes Werk. Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.

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Donnerstag, 27. August 2015

Ihr Menschen, ihr sagt solche Sachen!

Jessika war bleich, in sich zusammengesunken. Sie starrte auf das Wasser. Ihre Hände waren zu Fäusten verkrampft.

»Die Kinder, die machen mir meine Aufgabe zur Last«, sagte sie schließlich. Es waren ihre ersten Worte, seit wir den černá věž hinter uns gelassen hatten.

»Warum hast du das Mädchen nicht am Leben gelassen?«, fragte ich.

»Dann hätte Jana, so hieß die Kleine, ihre Schmerzen noch ein halbes Jahr lang aushalten müssen, vielleicht noch länger, immer schlimmer, immer unerträglicher, bis sie dann irgendwann qualvoll an ihrem Gehirntumor gestorben wäre.«

»Hat sie dir das erzählt?«

jessika front cover»Nein. Das wusste ich schon, als ich sie in den Arm nahm. Fast immer, wenn ich einen Auftrag habe, sehe ich beim Kontakt den Anlass. Sie hat mir nur gesagt, dass sie auf den Turm gestiegen ist, um sich in die Tiefe zu stürzen. Aber der Mut hatte sie verlassen, weil man ihr gepredigt hat, dass Selbstmörder in der Hölle landen. Das Leiden hier abzukürzen, um dann eine Ewigkeit in einem feurigen Pfuhl zu schmoren, das konnte sie nicht schaffen.«

Ich war entsetzt. »Wer sagt denn so etwas zu einem Kind?«

Jessika sah mir in die Augen. »Ihr Menschen, ihr sagt solche Sachen.«

»Ich nicht. Niemals.«

»Ihr Menschen, ihr sagt solche Dinge. Ihr steuert auch Flugzeuge in Hochhäuser, baut Konzentrationslager, erfindet Waffen, die ihr gar nicht kontrollieren könnt. Ihr lasst Sklaven schuften und daran zugrunde gehen, auch heute noch, in fernen Ländern, damit ihr billige Textilien in euren Geschäften habt. Ihr lasst in Afrika Menschen verhungern und kippt hier tonnenweise Lebensmittel auf den Müll. Und zur Beruhigung bastelt ihr euch ein Bild von Gott, ob er nun Allah heißt oder Jehova, Zeus oder Krishna, das es sanktioniert oder sogar gebietet, so zu handeln. Damit seid ihr dann nämlich die Verantwortung los. Ganz billig. Zu billig!«

Ich sah keinen Anlass, zu widersprechen. Das abgedroschene Argument, dass man nicht alle in einen Topf werfen kann, dass es immer Menschen gegeben hatte, die nicht mitmachten, die sogar aufbegehren, war für diesen Moment viel zu schal. Die Menschheit hatte über Jahrtausende bewiesen, dass sie zu einem friedlichen und gerechten Miteinander nicht fähig war. Nicht willens war. Ich schwieg.

Jessika streckte die Hand ins Wasser, ein Entenküken paddelte eilig herbei. Sie nahm das kleine Wesen behutsam heraus. Endlich sah ich wieder ein Lächeln in ihrem Gesicht. Sie strich dem Küken mit den Fingerspitzen über den Kopf, flüsterte ihm etwas zu und ließ es wieder in den Fluss gleiten.

»Ihr habt Gott nie verstanden«, fuhr sie fort, »aber das ist euch nicht einmal vorzuwerfen. Das kleine Entenbaby versteht mich ja auch nicht, wenn ich ihm etwas ins Ohr sage.«

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Wer mehr über Jessika oder mit wem sie sich da warum unterhält wissen will, darf sich gerne die Lektüre besorgen:

Taschenbuch, 190 Seiten; € 8,83 als gedruckte Ausgabe; € 3,51 als E-Book für den Kindle
ISBN-13: 978-1508936626 / ISBN-10: 1508936625;

Direkt zum Buch bei Amazon:

    Mittwoch, 26. August 2015

    Jessika ist da.

    Taschenbuch: Kindle:

    Früher …

    abc… gab es »Druckfahnen« von der Druckerei und »Aushänger« vom Verlag, wenn man als Autor die Freigabe für ein neues Buch erteilen sollte.

    Heute gibt es ganz viele Nullen und Einsen – aus mehr besteht ja eine Computerdatei nicht. Solche Nullen und Einsen sind schneller hin- und hergeschickt als Druckfahnen und Aushänger, außerdem spart man Papier (wodurch der Baumbestand geschont wird) und kein LKW muss Dieselkraftstoff verbrennen, um die Unterlagen vom Verlag zum Autor und wieder zurück zu transportieren.

    Andererseits: Je weniger Papier verbraucht wird, desto gefährdeter sind die Arbeitsplätze in der Papierindustrie, von den LKW-Fahrern und –Herstellern ganz zu schweigen.

    Alles hat zwei Seiten, sogar eine Druckfreigabe.

    Wie auch immer: Jessika kommt. Unaufhaltsam. Ich habe freigegeben.

    Und selbstverständlich erfahren meine geschätzten Blogbesucher dann auch, ab wann das Buch lieferbar ist.

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    Montag, 24. August 2015

    Vom Rumflattern und vom Nestbau

    Es ist, dachte ich mir, mal wieder an der Zeit, meine treuen Leser an meiner gesundheitlichen Entwicklung teilhaben zu lassen. Dass davon länger nicht die Rede war, abgesehen von einer kurzen Notiz bezüglich der letzten Krebsnachsorgeuntersuchung, ist durchaus als gutes Zeichen zu verstehen: Es gab und gibt keine besorgniserregenden Symptome oder Ergebnisse. Das heißt, dass es mir gut geht, und es gibt Grund genug zur Freude und Dankbarkeit.

    Nun ist das mit dem »gut gehen« wie so vieles im Leben relativ. Gerade die Leser, die selbst vom Krebs betroffen sind oder Krebspatienten unter den Verwandten und Freunden haben, wissen um diese Relativität. Dass es mir gut geht, heißt nicht, dass die Schäden und deren Folgen durch den Krebs, die beiden Operationen und die Chemotherapie verschwunden wären. Das ist nicht der Fall und auch nicht zu erwarten. Ein um die Hälfte verkürzter Dickdarm wächst nicht nach. Durch Chemotherapie zerstörte Nervenzellen werden nicht - oder nur sehr langsam - ersetzt, diesbezüglich forscht die Wissenschaft noch fleißig. Das durch die Krebserkrankung ausgelöste Fatigue Syndrom ist hartnäckig, die meisten Mediziner gehen davon aus, dass eine Heilung auch bei langjähriger Krebsfreiheit nicht möglich oder sehr unwahrscheinlich  ist.

    Würde ich also fortwährend betrachten, was nicht in Ordnung ist, hätte ich schnell einiges zusammengestellt, worüber ich klagen könnte. Statt dessen richte ich aber meine Achtsamkeit viel lieber auf all das, woran ich mich erfreuen kann. Und das ist immer noch, trotz der unleugbaren Schäden, jeden Tag eine ganze Menge.

    Clipboard01Es lässt sich nicht verhindern, soll Martin Luther sinngemäß gesagt haben, dass die Vögel (womit er dunkle Sorgen und Ängste gemeint haben soll) den Kopf umkreisen. Das heißt aber nicht, dass sie auch ein Nest bauen dürfen.

    Ich kann es nicht verhindern, dass oft unvermittelt und ohne erkennbaren Anlass Ängste auftauchen:

    • Demnächst habe ich Geburtstag. Von den geladenen Gästen habe ich mir gewünscht, dass sie, soweit sie mich beschenken möchten, Amazon-Gutscheine oder Bargeld wählen, damit ich mir einen langjährigen größeren Wunsch erfüllen kann: Ein spezielles Objektiv für meine Kamera. Als ich beim Schreiben der Einladungen war, kam prompt der Gedanke angeflogen: Lohnt sich das denn überhaupt noch? Vielleicht bist du ja bald tot und hast dann gar nichts mehr davon.
    • In den nächsten Monaten möchte ich mich, da der Roman »Jessika« jetzt endlich fertig ist (und Anfang September erhältlich sein wird), einem weiteren Buchprojekt widmen. Und prompt flatterte, als ich darüber nachdachte und die ersten Vorbereitungen erledigte, der Gedanke herbei: Das wird ja sowieso nicht zu deinen Lebzeiten fertig. Warum willst du dir die Mühe machen?
    • Beim Aufwachen vor ein paar Tagen meinte ich (wohl ein Restüberhang aus einem Traum), im Krankenhaus zu liegen und auf eine Lungenoperation zu warten, weil bei einer Röntgenkontrolle Metastasen entdeckt wurden.

    Ja, so sind sie, die Vögel der dunklen Sorgen und Ängste. Sie kommen angeflogen, ohne dass man sie eingeladen hätte. Es hat keinen Sinn, ihr Flattern und Kreisen zu leugnen. Wer einmal an Krebs erkrankt war, wird solche Gedanken vermutlich nicht mehr oder nur sehr langsam los. Aber ich kann wirklich verhindern, dass derartiges Federvieh sich häuslich einrichtet und bequeme Nester baut, indem ich mich in solchen Momenten immer wieder bewusst entscheide, mich positiven Gedanken zuzuwenden. Denn es gibt Grund genug, Grund in Hülle und Fülle, dankbar und froh zu sein.

    Und dann fliegen sie in der Regel auch zügig wieder davon, die Sorgenvögel.

    Foto von rgbstock

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    Samstag, 8. August 2015

    Freude und Dankbarkeit … wieder einmal!

    Wäre ich ein Freund der leider unsäglich zahlreich gewordenen Anglizismen, die oft genug zum Denglisch verkommen, würde ich diesen Beitrag »Update« nennen. Statt dessen hat er eine Überschrift bekommen, die zusammen mit dem Foto eigentlich schon eine Menge aussagt, zumindest für meine treuen regelmäßigen Blogbesucher.

    2015-08

    Auch bei der Nachsorgeuntersuchung am gestrigen Freitag hat mein Arzt wieder keinerlei Anzeichen für Rezidive gefunden – seit nunmehr rund zwei Jahren ist mein Körper frei von Krebs. Das ist Grund zur Freude für uns beide und zur Dankbarkeit für die verliehene Gesundheit.

    Die Blutwerte sind so vorbildlich wie nie zuvor seit im März 2012 der Darmkrebs gefunden und operiert wurde. Auch die Leber hat sich inzwischen vollständig von der Operation im Oktober 2013 erholt.

    Das hat eine Menge mit der krebsfeinlichen Ernährung [Blogbeitrag 1 / Blogbeitrag 2] und dem regelmäßigen Ausdauersport [Einer von vielen Beiträgen] zu tun, aber letztendlich weiß ich, wissen wir, dass es keine Garantie gegen den Krebs gibt und dass ich mir die anhaltende Gesundheit nicht irgendwie verdienen oder erkaufen kann. Sie bleibt ein Geschenk und dafür sage ich gerne und aus tiefstem Herzen: Gott sei Dank!

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    Freitag, 31. Juli 2015

    Kaum zu glauben: Bob Dylan singt wieder!


    Regelmäßige Blogbesucher wissen es: Bob Dylan gehört zu meinen bevorzugten Künstlern. Seit ich in jungen Jahren die erste Platte (Freewheelin’) bei meinem älteren Bruder gehört hatte. Ich habe in meinem Leben etliche Konzerte von Bob Dylan besucht (darunter das legendäre Nürnberg-Konzert 1978) und sehr genossen.

    In den letzten Jahren allerdings habe ich jegliche Lust verloren, mir eine Eintrittskarte für ein Dylan-Konzert zu kaufen. Egal, wo er unterwegs war, Nordamerika, Fernost, Europa, er weigerte sich beharrlich, auf der Bühne zu singen. Statt dessen beschränkte er sich auf ein gewollt heiseres Knurren, Krächzen und gelegentlich Knarzen, stets auf dem gleichen Ton, höchstens zwei Töne nach unten oder oben wich er davon ab. Mit Gesang hatte das nichts mehr zu tun. Und gefallen hat es mir auch nicht. Expecting Rain und all den fleißigen Bootleggers da draußen sei Dank kann man ja jedes Konzert, meist schon ein paar Stunden nach dem Ende, anhören, wenn man sich die Mühe macht, sich einmal kostenlos zu registrieren und dann das jeweilige Material herunterzuladen.

    750px-Lörrach_-_Burg_Rötteln_-_Panorama2Trotz meines Missfallens an seinen Darbietungen habe ich all die Jahre immer wieder, die Hoffnung stirbt ja bekanntlich zuletzt, in die Konzerte hineingehört und mich immer wieder ernüchtert anderen Dingen gewidmet. Und nun, 2015 im Sommer, geschieht schier Unglaubliches: Bob Dylan singt wieder. Ein feines Exempel ist das Konzert vom Marktplatz in Lörrach. Der Link (ohne Umweg über Expecting Rain) folgt gleich, nur Geduld!

    Nicht alle Lieder sind gleichermaßen gelungen. Aber immerhin, überwiegend ist das ein ganz und gar hörenswertes Konzert. Was mir nicht gefällt: »Duquesne Whistle« kommt völlig lustlos und wie ein Pflichtprogramm heruntergeleiert herüber. »Pay in Blood« und »Early Roman Kings« sind so langweilig wie auf dem Album ... man hofft, dass das Ende bald erreicht ist.

    Aber! Aber aber aber! »She Belongs to Me« ertönt in einer so bezaubernden Version, dass der Song wie neu klingt. Von »Shelter from the Storm« war ich erst enttäuscht, aber dann, ab der dritten Strophe, erschloss sich der Zauber dieses vollkommen ungewohnten Arrangements. »Tweedle Dee & Tweedle Dum« hopst und kullert fröhlich als Kinderlied durch die Gegend, was es ja im Grunde genommen von Anfang an war. Hier hat das Lied ein passendes Gewandt gefunden. Bei »Desolation Row« blitz der zornige Bob Dylan der 70ger und 80ger Jahre durch.

    Der Rest der Songs wird wenig spektakulär gespielt, aber durch die Bank weg passiert das Unerwartete: Bob Dylan singt. Melodien. Er hat mehr als vier oder fünf Töne zur Verfügung und er nutzt sie auch.

    Wer sich selbst ein akustisches Bild machen möchte, klickt bitte hier: [Bob Dylan in Lörrach]. (Falls der Link eines Tages nicht mehr funktioniert, muss sich der geschätzte Blogleser doch auf den Weg zu Expecting Rain machen …)

    Set 1:
    Things Have Changed
    She Belongs to Me
    Beyond Here Lies Nothin'
    Don't Think Twice, It's All Right
    Duquesne Whistle
    I'll Be Your Baby Tonight
    Pay in Blood
    Full Moon and Empty Arms
    Set 2:
    The Levee's Gonna Break
    Visions of Johanna
    Early Roman Kings
    Shelter from the Storm
    Blind Willie McTell
    Tweedle Dee & Tweedle Dum
    Desolation Row
    Ballad of a Thin Man
    Encore:
    All Along the Watchtower

    P.S.: Tickets für die Auftritte in Berlin werde ich mir dennoch nicht kaufen - bei Preisen von 100 Euro an aufwärts mag ich im Fall Bob Dylan nicht mehr mitmachen.

    P.P.S.: Das Foto von Lörrach stammt von Wikipedia.
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    Dienstag, 7. Juli 2015

    Freiwillige Grenzen? Freiwillige Grenzen!

    Wir leben hier in einer Welt der Fülle, oft genug im Übermaß. Wir können alles jederzeit kaufen, so viel Internet konsumieren wie wir wollen, jederzeit eine riesige Auswahl von Speisen essen und arbeiten, arbeiten, arbeiten, bis unser Körper das nicht mehr mitmacht. Das riesige Angebotes kann uns überwältigen, die unendliche Freiheit ganz schnell in ungesunde und unausgegelichene Verhaltensweisen münden.

    mErQQDWNun ist die Freiheit ein sehr hohes Gut, das zu verteidigen sich unbedingt lohnt. Darf ich dir, geschätzter Blogbesucher, trotzdem mal ein Gedankenspiel nahelegen?

    Was wäre, wenn

    • du höchstens zwei Stunden täglich Internetzugang und Smartphone nutzen könntest (abgesehen davon, dass du gegebenenfalls den Internetzugang für deine Arbeit brauchst)? Könntest du bei nur zwei Stunden privater Internetverfügbarkeit vielleicht Sport treiben, lesen, meditieren, gesunde Mahlzeiten kochen, Zeit für deine Liebsten haben?
    • du lediglich acht Stunden pro Tag arbeiten dürftest, anstatt von früh bis spät mit deiner Arbeit beschäftigt zu sein? Natürlich hängt das von der Art deiner Beschäftigung ab - aber ganz hypothetisch betrachtet: Könnte es sein, dass du in den begrenzten Stunden viel konzentrierter arbeiten und weniger Ablenkungen zulassen würdest? Und wenn es nur sechs Stunden wären? Würdest du die wichtigsten Dinge zuerst erledigen, strukturierter arbeiten und dadurch deutlich mehr schaffen, weil du viel mehr Energie und Konzentration für deine Tätigkeit hättest, anstatt dich ständig zu verzetteln?
    • du statt jederzeit irgendwelches Essen parat zu haben nur zu bestimmten, vorher festgelegten Zeiten essen könntest? Vermutlich würdest du weniger essen und das, was du isst, sorgfältiger auswählen und liebevoller zubereiten und wesentlich bewusster genießen, wodurch sich dein Gesundheitszustand zwangsläufig verbessern würde.
    • du nur an einem bestimmten Tag im Monat (abgesehen von Lebensmitteln und Haushaltsnotwendigkeiten wie Toilettenpapier, Zahncreme etc.) einkaufen könntest? Vermutlich würdest du weniger kaufen, das was du kaufst gezielter aussuchen, die Gefahr, sich zu verschulden würde sinken und dein Wohlstand ansteigen.
    • du nur zwei Stunden am Tag (abgesehen gegebenenfalls von der Arbeit) im Sitzen zubringen dürftest? Du wärest mehr auf den Beinen, würdest Gewicht und Rückenschmerzen verlieren, dein Körper würde kräftiger und könnte Infektionen wesentlich leichter abweisen.

    Natürlich sind das nur willkürlich ausgewählte Beispiele (eines Büromenschen). Was für dich in deiner persönlichen Arbeits- und Lebenssituation funktionieren könnte, musst du selbst herausfinden. Die Beispiele sollten nur veranschaulichen, dass Grenzen durchaus ihre positiven Effekte haben können, weil sie uns zwingen, bewusst auszuwählen, uns zu konzentrieren, vom Übermaß zu einer gesunden Mäßigung zu kommen.

    Vielleicht hast du ja Lust, dir mal die eine oder andere Grenze zu setzen und zu sehen, wie sich das dann auswirkt?

    P.S.: Inspiriert wurde dieser Beitrag wieder einmal von Leo Babauta. Foto von rgbstock.

    P.P.S.: Du würdest gerne gesünder leben? Du suchst nach Wegen, in dein Leben mehr Ruhe und Frieden zu bringen? Vielleicht kann dir ja auch dieses Buch dabei helfen:

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    Montag, 29. Juni 2015

    Ruhe in Frieden, Carsten »Storch« Schmelzer

    Erinnerungen sind kleine Sterne, die tröstend in das Dunkel unserer Trauer leuchten.

    FB_IMG_1435586332384Er war ein Quer- und Weiterdenker, auf den ich Anfang 2007 aufmerksam gemacht wurde. Seither gab es immer wieder den einen und anderen Gedankenaustausch zwischen uns, mal öffentlich an diversen Stellen im Internet, mal privat als Briefwechsel. Wir teilten keineswegs immer die gleichen Meinungen und Standpunkte, aber das ist ja für einen fruchtbaren und interessanten Dialog keineswegs notwendig.

    Ich habe ihn stets als offenen, fairen und jederzeit hilfsbereiten Menschen und Autorenkollegen erlebt. Er las einige meiner Bücher, ich einige von seinen. Seine Meinung, seine Kritik zu meinen Texten war mir wertvoll, er freute sich augenscheinlich auch über meine Zeilen zu dem, was er verfasst hatte.

    Immer wieder habe ich »Storch« auch in meinen Blogbeiträgen hier zitiert, denn seine Sichten und Einsichten zu einer großen Bandbreite von Themen waren mir oft exemplarisch. Persönlich getroffen haben wir uns leider nur bei einer einzigen Gelegenheit, soweit ich mich erinnere. Dennoch war er mir in gewisser Weise gar nicht fremd.

    Dass »Pastor Storch« im Alter von nur 43 Jahren verstorben ist, wollte ich, als ich es am vergangenen Samstag erfuhr, zunächst nicht glauben. Es ging ihm nach einem Schlaganfall drei Wochen zuvor bereits besser, so schien es zumindest. Verstehen kann ich es auch heute noch nicht. Muss ich auch nicht. Manches im Leben und Sterben findet keine Erklärung.

    Meine Gedanken sind bei seiner Familie, der ich von Herzen wünsche, dass sie diesen Verlust, so weit das überhaupt möglich ist, nach und nach verarbeiten lernen kann. Mögen Alexandra und ihrer Familie immer wieder kleine Sterne der Erinnerung in das unfassbare Dunkel der Trauer leuchten. Gott segne euch!

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    Freitag, 26. Juni 2015

    Herr K. schreibt einen Brief an Gott

    old letters: noneMeine regelmäßigen und langjährigen Blogbesucher kennen Herrn K. bereits ein wenig. Wir sind ihm begegnet, als er Produktionskräfte suchte und fand – und dann die Welt nicht mehr verstand [Herr K. und der Großauftrag]. Er war einige Zeit danach in einem Gottesdienst gelandet [Herr K. besucht einen Gottesdienst] und fand vieles sehr befremdlich, manches auch schlicht unverständlich. Dort lud ihn eine Dame in einen Hauskreis ein - wie sich herausstellte, war das weder ein Kreis von Gebäuden noch ein rundes Haus, sondern eine recht skurrile Zusammenkunft von Menschen [Herr K. besucht einen Hauskreis]. Dann verreiste Herr K. dienstlich und kam dabei beinahe ums Leben - eine Prostituierte kam ihm gerade noch rechtzeitig zu Hilfe [Herr K. reist nach Greifswald].

    Herr K. hat inzwischen über vieles nachgedacht, fand auf etliche Fragen keine Antworten und daher hat er sich schließlich aufgerafft, einen Brief an Gott zu verfassen. Dieses Schreiben fiel mir in die Hände - und hier ist nun der Wortlaut.

    Sehr geehrter Herr Gott,

    ich bin mir, das sei vorausgeschickt, schon in der Anrede unsicher. Vor einiger Zeit habe ich einen sogenannten Gottesdienst sowie einen sogenannten Hauskreis besucht, da wurden Sie mit dem vertraulichen Du angesprochen. Da wir uns aber fremd sind, ziehe ich es vor, die gewohnte höfliche Anrede zu benutzen. Falls dies gegen die üblichen Etikette verstößt, bitte ich um Ihr Verständnis und Ihre Nachsicht - ich weiß es nicht besser.

    Dass ich einen Brief an Sie schreibe, scheint natürlich auf den ersten Blick recht töricht, da ich nicht wüsste, auf welchem Wege er Sie überhaupt erreichen kann. Die Pin-AG wäre mit der Zustellung sicherlich genauso überfordert wie die gute alte Post. Aber ich bin nun einmal ein Freund gut durchdachter Formulierungen, vor allem dann, wenn es um wichtige Dinge geht. Und die Kontaktaufnahme mit Ihnen, Herr Gott, ist für mich schon eine bedeutsame Angelegenheit. Ein Brief ist daher viel besser geeignet, als ein verbaler Versuch, Ihnen etwas mitzuteilen.

    Ich habe viele Fragen an Sie, aber damit dieser Brief einen unter zivilisierten Personen vertretbaren Umfang nicht überschreitet, will ich mich auf die paar wichtigsten Punkte beschränken. Falls zwischen Ihnen und mir ein Dialog zustande kommen sollte, freue ich mich schon jetzt auf den zukünftigen Informationsgewinn, denn dann könnte ich sicher ja nach und nach mehr Klarheit gewinnen. Dass ich Sie, sehr geehrter Herr Gott, jemals ganz verstehen werde, halte ich für ausgeschlossen, denn ich bin nun einmal ein Mensch und somit nur in begrenztem Umfang mit Verstand, logischem Denkvermögen und Phantasie ausgestattet. Das wiederum wissen Sie, falls Sie tatsächlich der Schöpfer unserer Lebensform sind. Und wenn Sie dies wissen und bei der Schöpfung so gewollt haben, kann ich sicher mit Ihrem Verständnis rechnen. Andernfalls wären Sie ein Gott, der unmögliche Forderungen stellt ... und davon möchte ich nicht ausgehen.

    Dies vorausschickend möchte ich gerne zu meiner ersten Frage kommen: Warum verstecken Sie sich so gekonnt vor uns Menschen? Oder verstecken Sie sich gar nicht, sondern wir sind mit einer Art von Blindheit geschlagen? Wenn das so ist - warum sind Sie nicht daran interessiert, diese Blindheit zu beheben?

    Ich will gerne erläutern, was ich meine. Wenn Sie der Schöpfer - nein, Verzeihung, der Konjunktiv ist hier nicht am Platze. Also: Da Sie der Schöpfer dieses Planeten und des vielfältigen Lebens darauf sind, gehe ich davon aus, dass Ihnen die Afrikaner so wichtig sind wie die Europäer und die Asiaten oder die Araber. Da Sie, da sind sich die religiös interessierten Menschen weltweit weitgehend einig, auch an einer Beziehung zu uns Menschen Interesse haben, wäre es doch naheliegend, dass Sie sich Ihren Geschöpfen auf eine Art und Weise zu erkennen geben, die von eben diesen Geschöpfen auch soweit verstanden wird, dass bei aller Unterschiedlichkeit der Kulturen und Rassen doch eine gemeinsame Vorstellung darüber möglich wäre, wer Sie sind.

    Statt dessen gab es in der gesamten Menschheitsgeschichte Krieg, Mord und Totschlag allein aufgrund der gegensätzlichen Auffassungen und Überzeugungen bezüglich Ihres Wesens, Ihrer Persönlichkeit. Das hat sich bis heute nicht geändert. Nehmen Sie, sehr geehrter Herr Gott, das nicht billigend in Kauf, indem Sie sich weiter und weiter versteckt halten?

    Bitte verstehen Sie meine Frage nicht als Vorwurf. Das sei ferne! Um es mit den Worten des wunderbaren Musikers Johnny Cash auszudrücken: Mein Arm ist deutlich zu kurz, um mit Gott zu ringen. Nein, um einen Vorwurf geht es mir nicht, sondern um meine Suche nach Verständnis Ihres Wesens, Ihrer Wünsche, Ihrer Einschätzungen - letztendlich nach Ihnen selbst.

    Sie verstecken sich so gut vor den Menschen, dass noch nicht einmal innerhalb einer Religion Klarheit über ein Gottesbild zustande kommt. Wenn ich mir das Christentum ansehe, habe ich nicht nur Katholiken und Protestanten vor mir, sondern auch noch jede Menge Splittergruppen und Strömungen, die allesamt davon überzeugt sind, die reine und unverfälschte Wahrheit zu kennen und zu predigen. Alle anderen sind dann jeweils keine wahren, keine bibeltreuen, keine echten, keine wiedergeborenen, keine weißnichtwasnoch Christen.  Was soll ich nun als Mensch, der Sie, Herr Gott, sucht, damit anfangen? Oder ist es einfach eine Geschmacksfrage, ob ich Weihrauch, Talare, Ornamente und Symbolismen katholischer Gotteshäuser bevorzuge oder den nüchternen, schmucklosen Mehrzweckraum einer freikirchlichen Gemeinschaft? Ob mir liturgische Gesänge eher gefallen oder hysterisches Krakeelen oder peinliches Schluchzen? Ob ich eine durchdachte, strukturierte Predigt mag oder eine emotionale, flache Rede in Überlänge?

    Noch verwirrender als solche äußerlichen Dinge ist allerdings die Frage, was Sie von uns Menschen erwarten, wie wir leben und sterben sollen. Falls es ein Leben nach dem irdischen Tod geben sollte, ist diese Frage nach Auffassung so gut wie aller Religionen ja nicht unerheblich.

    Sind Sie erbost, wenn ein Mensch zum Feierabend ein Glas Wein oder Bier trinkt? Es gibt Religionsgemeinschaften, die das behaupten. Oder bestehen Sie gar, wie einige lehren, auf gewissen Fasten- und Ernährungsregeln? Und wenn ja, ist es dann egal, ob man den Ramadan oder die vorösterliche Fastenzeit vorzieht?

    Genauso verwirrend wie Speis und Trank ist es ja für mich, wenn Gläubige sich gegenseitig schier gar (und manchmal buchstäblich) die Köpfe einschlagen, weil andere Menschen sexuelle Prägungen oder Gewohnheiten haben, die den eigenen nicht entsprechen. Was geht es denn, sehr geehrter Herr Gott, einen Menschen an, ob sein Mitmensch gleichgeschlechtlich liebt oder nicht? Er muss es ihm ja schließlich nicht gleichtun, wenn er heterosexuell fühlt und denkt.

    Die Verwirrung, die ich empfinde, ließe sich noch schier endlos weiter beschreiben. Sind Sie politisch links gesinnt oder rechts oder liberal? Sind Sie für die Rassentrennung oder zürnen Sie darüber? Legen Sie Wert darauf, am Sonntag verehrt zu werden oder darf eine Gemeinde sich auch am Samstag versammeln? Dies alles noch weiter auszuführen, erspare ich mir und Ihnen, sehr geehrter Herr Gott. Letztendlich, wie ich es auch drehe und wende, lande ich immer wieder bei der eigentlichen Frage: Warum verstecken Sie sich vor uns?

    Ich bedanke mich für Ihre Aufmerksamkeit, sehr geehrter Herr Gott, falls Sie mir durch diese Zeilen gefolgt sein sollten. Abschicken kann ich den Brief ja nicht, ich wüsste nicht wohin. Aber wenn Sie ein Gott von der Dimension sind, die mir vorschwebt, dann sind Ihnen meine Zeilen nicht verborgen geblieben.

    Mit freundlichen Grüßen und hochachtungsvoll,
    Herr K.

    P.S.: Das Bild stammt von rgbstock.

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