Samstag, 10. September 2011

»oora« verdient Aufmerksamkeit

Es kommt eher selten vor, dass ich eine Zeitschrift von der ersten bis zur letzten Seite lese. Das liegt daran, dass ich kaum einmal eine in die Hand nehme, abgesehen von der »Federwelt«, einem Periodikum für Autoren, habe ich keine Abonnements mehr. Mir würde die Zeit zum regelmäßigen gründlichen Lesen weiterer Zeitschriften fehlen - da greife ich doch lieber zu einem Buch, wenn Lesen auf dem persönlichen Stundenplan steht.

Das aktuelle Heft der »oora« fand als Belegexemplar für meinen Artikel »Liebe machen« den Weg in meinen Briefkasten und wurde zur Ausnahme: Ich habe alles gelesen. Vom Editorial, das auf den Inhalt einstimmt, bis zum Leserbrief auf der letzten Seite, der meine Zustimmung nicht zu gewinnen vermochte.

Das Hauptthema dieser Ausgabe, »Macht«, wird auf sehr unterschiedliche Weise beleuchtet, vom Interview mit einem mächtigen Menschen (Firmeninhaber) über Machtstrukturen im (frei)kirchlichen Bereich und die Ohnmacht einer Lehrerin bis zum geistlichen Machtmissbrauch und seinen bitteren Folgen. Sieben Beiträge umfasst dieser Schwerpunkt, und sechs davon konnten mich fesseln, bereichern. Die »Zahlen der Macht« hätten nicht sein müssen, aber immerhin ist die Doppelseite optisch ansprechend - tolle Idee, Infografiken als Flaschen und Dosen zu verkleiden.

Unter dem Motto »quergedacht« sind die übrigen Artikel im Inhaltsverzeichnis zu finden, darunter Unterhaltsames, Informatives, Nachdenkliches und Kritisches. Darunter ist auch mein Beitrag über Sex in der Ehe zu finden, aber zu dem enthalte ich mich jeden Kommentares.

»Möpse zum Frühstück« gibt Denk- und Handlungsanstöße in einer Sprache, die mir nicht zueigen ist, die ich aber durchaus mit Genuss lesen konnte. Ein Pop-Pilger kommt zu Wort, es werden einige misslungene deutsche Buchtitel von gelungenen englischsprachigen Büchern aufs Korn genommen, eine Niere im Leib Christi erklärt auf verblüffende Weise ihre Funktion und auch die weiteren Beiträge habe ich gerne gelesen.

»oora« will die »christliche Zeitschrift zum Weiterdenken« sein, - für mich ist das vorliegende Heft der Beweis, dass der Anspruch erfüllbar ist. Die Autoren der Artikel haben Antworten, aber die werden dem Leser nicht aufgedrängt oder gar aufgezwungen, und gerade das macht für mich den besonderen Reiz aus. Ich soll, darf und kann Weiterdenken. Einiges Weniges, was ich gelesen habe, will ich mir nicht zueigen machen, aber das ändert nichts daran, dass mich die Lektüre der entsprechenden Passagen zumindest um die Ansichten oder Einsichten anderer Menschen bereichert hat.

Mein Fazit: Dass ich (erstmalig) eine Rezension über eine Zeitschrift verfasst habe, darf der geschätzte Leser dieser Zeilen durchaus so verstehen, wie ich es meine: »oora« verdient Aufmerksamkeit, und wer wie ich mit dem »christlichen« Zeitschriftenmarkt zu hadern pflegt, kann sich hier davon überzeugen, dass es zumindest eine lesenswerte Alternative zum Üblichen gibt. Bei Interesse hier klicken: [oora - Die christliche Zeitschrift zum Weiterdenken]

Freitag, 9. September 2011

Unterwegs ...

... mit der Kirche auf ein Wochenende am Köriser See. Und zur abendlichen Lektüre dient Schopenhauer. Fein.


Donnerstag, 8. September 2011

Aber was ist denn nun erlaubt? Was ist verboten?

Neuer Artikel von meiner Wenigkeit in oora:

Adam besaß Penis und Hoden, Eva Vagina, Klitoris und Brüste. Da sie Kinder in die Welt setzten, wussten sie offenbar auch damit umzugehen.

Wer will, kann anhand der Bibel auch nachweisen, dass Sex außerhalb der Ehe erlaubt ist.

Oralsex, gegenseitige oder gemeinsame Masturbation, verschiedene Stellungen, Experimente mit Vibrator oder anderem Spielzeug, intime Massagen, Sex an ungewöhnlichen Orten ...

Huch? Wie bitte? Aber hallo! Ich muss doch sehr bitten! Wo kämen wir denn da hin!

Den ganzen Text lesen kann man bei oora.

Mittwoch, 7. September 2011

… insgeheim schon wieder Ideen …

»Da sind ja noch diese Fragmente, Ideen, Notizen ...«, sagte ich zu mir. »Vielleicht, falls ich mich doch nicht endgültig leergeschrieben habe, kann ja daraus etwas entstehen.«

»Und was sind das so für Notizen, Fragmente oder Ideen?«, fragte ich mich.

Ich schaute mir ein paar Dokumente aus dem Verzeichnis unfinished an und zählte auf: »Ein angefangener Text über den Zweifel oder das Zweifeln. Eine angefangene erotische Geschichte. Ein Dokument, in dem nichts weiter steht als Nur weil du durch die Wüste wanderst, heißt das noch lange nicht, dass es ein verheißenes Land gibt. Ein angefangener Text mit dem Titel Herr K. besucht einen Hauskreis. Der mörderische Anfang einer Kurzgeschichte dann ein paar Fragezeichen. Ein Sachtext zur Frage, ob, und wenn ja, warum und wann Gott seine Meinung, seinen Charakter geändert hat. Und ein Dokument mit halben Sätzen, ganzen Sätzen, einzelnen Wörtern, aus denen vielleicht mal etwas hätte werden sollen. Aber jetzt habe ich mich ja leergeschrieben.«

»Erotische Geschichte - das klingt doch gut. Warum nicht an der arbeiten?«

»Da müsste ich«, versicherte ich mir, »zuerst ein Pseudonym ersinnen. Ein weibliches.«

»Ach.«

»Erotische Geschichten sind nur erfolgreich, wenn sie von einer Autorin stammen. Zumindest angeblich. Es muss ein weiblicher Name drüberstehen. Oder drunter. Hauptsache, eine Frau hat es geschrieben.«

»Ach was.«

»Das weiß doch jeder.«

»So.«

»Klauen wir schon wieder bei Loriot?«. fragte ich mich leicht zynisch.

»Nein nein nein! Worte wie ach oder so oder was sind allgemeiner Wortschatz.«

»Egal. Jedenfalls wird das nichts mit der erotischen Geschichte. Der Schauplatz funktioniert nicht, das weiß ich schon nach den ersten beiden Szenen. Mehr habe ich daher auch nicht geschrieben.«

»Dann ändere den Schauplatz.«

»Mir fällt kein anderer ein. Ich habe mich leergeschrieben.«

»Dann fang was ganz Neues an. Fabeln erzählen, oder Märchen. So mit allem drum und dran, Prinzessinnen, Drachen, vielen Bösewichtern und einem strahlenden Helden.«

Ich schüttelte den Kopf. »Och nö, macht keinen Spaß.«

»Seeräubergeschichten.«

»Nö.«

»Science Fiction. Raumschiffe, Außerirdische und so weiter.«

»Nie und nimmer! Ich habe mich gerade durch 1312 Seiten Frank Schätzing gearbeitet, und das war überwiegend mühsam. Von Raumschiffen und Helium 3, fliegenden Autos und Chinesen auf dem Mond habe ich erst mal die Nase voll.«

»Dann mach doch etwas ganz anderes. Bilder malen, Fotokunst herstellen, einer politischen Partei beitreten ...«

»Ja ja. Ich werde Bundeskanzler.«

Ich grinste meinen Bildschirm an, auf dem immer noch das Verzeichnis unfinished mit den diversen Dokumenten zu sehen war. Politisch durchaus interessiert mochte ich mich doch nicht in die Sachzwänge und Programmvorgaben einer bestimmten Partei einfügen müssen. Selbst der parteilose Finanzsenator in Berlin muss schließlich den Vorgaben des Herrn Regierenden Partymeister Wowereit folgen. »Och nö«, sagte ich mir, »den Job dürfen gerne andere Menschen übernehmen.«

»Du weißt aber auch nicht, was du willst.«

»Doch. Schreiben will ich. Aber ich habe mich nun mal leergeschrieben.«

»Dafür, dass du dich leergeschrieben hast, tippst zu eine Menge Buchstaben und Satzzeichen.«

Ich musste mir irgendwie recht geben, so schwer es mir auch fiel. »Ja ja, schon ...«

»Und wenn du diese Dateien so betrachtest, hast du doch insgeheim schon wieder Ideen, wie dieses oder jenes weitergehen könnte.«

»Ja ja, schon ...«

»Also hör auf zu jammern und fang an zu schreiben.«

»Aber welches Dokument soll ich denn als erstes aufgreifen?«

»Was hätten deine Blogbesucher denn gerne?«

»Woher soll ich das wissen?«

»Also das ist ja nun wirklich eine blöde Frage.«

»Stimmt.«

Die geschätzten Blogbesucher hätten gerne ...
... eine erotische Geschichte gelesen.
... Herrn K. im Hauskreis beobachtet.
... ein Loblied auf das Zweifeln gehört.
... eine mörderische Kurzgeschichte genossen.
... über Gottes Charakterveränderung nachgesonnen.
... alles auf einmal!
Auswertung

Samstag, 3. September 2011

Freitag, 2. September 2011

Leergeschrieben

Pencil... 1»Ich habe mich leergeschrieben«, sagte ich zu mir. »Ganz und gar leergeschrieben.«

»Leergeschrieben? Wie soll das denn gehen?«

»So wie man ein Notizbuch oder einen Block vollschreibt. Nur umgekehrt. In das Notizbuch passt nichts mehr hinein, bei mir ist nichts mehr drin.«

»So ein Unfug. Man kann sich nicht leerschreiben.«

»Doch«, widersprach ich mir, »das kann man. Oder ich zumindest. Mir fällt nichts mehr ein.«

»Und die Gedankensplitter, Textfragmente, angefangenen Artikel?«

»Die schaue ich an, lese sie, aber ich habe nichts hinzuzufügen.«

Ich schien mich langsam zu verstehen. »Also leergeschrieben. So etwas wie eine Schreibblockade.«

»So ähnlich, nur dass man eine Blockade durchbrechen kann, und dann ist da etwas, was durch die Beseitigung des Hindernisses frei wird. Da ich mich aber leergeschrieben habe, ist da nichts mehr.«

Ich dachte darüber nach, was ich mir da eben erklärt hatte. Wenn der Sachverhalt tatsächlich zutraf, dann war einstweilen - oder gar dauerhaft - Schluss mit dem Schreiben von Geschichten, Büchern, Artikeln.

»Wäre es möglich«, schlug ich mir zögernd vor, »eine Quelle anzuzapfen, damit - also zum Nachfüllen? Wenn der Kühlschrank leer ist, gehst du zum Supermarkt und schwupp ist er wieder gefüllt.«

»Gibt es denn einen Supermarkt für Ideen? Eine Tankstelle für Einfälle?«

Ich runzelte nachdenklich die Stirn und fragte dann: »Wo kamen denn bisher die Ideen her?«

»Überall.«

»Und das Überall ist jetzt weg?«

»Unsinn.«

»Aber es gibt keine Einfälle mehr preis?«

»Du treibst mich in die Enge mit deinen Fragen«, schimpfte ich mit mir. »Ich habe mich leergeschrieben und damit basta.«

»Ach so. Der Herr wünscht, sich in schriftstellerischem Elend zu suhlen.«

Ich zischte: »Und was geht dich das an?«

»Ich wohne hier.«

»Aber doch nicht jetzt, um diese Zeit!«, antwortete ich entrüstet.

»Fängst du jetzt an, bei Loriot zu klauen? Pfui!«

»Stimmt. Das ist pfui. Also streiche ich den letzten Satz. Und stelle fest: Ich habe mich leergeschrieben.«

»Und was machst du nun?«

»Weiß ich nicht.«

»Darf ich was vorschlagen?«

»Bitteschön.«

»Schreib das auf.«

Ich verstand mich nicht. »Was schreibe ich auf?«

»Na das mit dem leergeschrieben sein. Oder haben.«

»Ach so. Ja, das kann ich immerhin machen.«

Also zog ich die Tastatur zu mir heran und schrieb: »Ich habe mich leergeschrieben«, sagte ich zu mir. »Ganz und gar leergeschrieben.«

Dienstag, 30. August 2011

»Nicht lesen!«, ruft Jessika, …

image… »es sei denn, du willst wirklich wissen, was Johannes geschrieben und verworfen hat. Ob dir die Lektüre bekömmlich ist«, fährt sie mit besorgtem Blick fort, »vermag ich nicht zu sagen.«

Na denn: Für die (bisher) 66,7 Prozent der geschätzten Blogbesucher, hier die alternative Version des letzten Kapitels. Ach so – noch ein Blick zurück zuvor? Bitteschön: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]

Und nun Teil 12 in der verworfenen Variante:

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Ich hatte keine Ahnung von Waffen. Im Fernsehkrimi jemanden anlegen und schießen sehen – das ist das eine, aber selbst dieses Metallgerät in der Hand zu halten, aus dem auf Wunsch tödliche Projektile in die angepeilte Richtung entwichen, war etwas ganz anderes.

»Ist das Ding entsichert oder so?«, fragte ich.

Jessika nickte. »Nur abdrücken.«

Die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, aufzuschreiben (und zu lesen, was die geschätzten Empfänger dieser Zeilen betrifft) dauert wesentlich länger als die Momente vor der Tür zur Toilette lang waren. Es war eine Art Wirbelwind in meinem Kopf, da waren Satzfetzen und einzelne Worte, die sich gegenseitig verfolgten, überlagerten eliminierten, verstärkten …

Jetzt bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück – Illusionen bis zum Ende - wir sind nicht einschätzbar, nicht von euch Menschen und auch nicht von unseresgleichen- liebst du mich? – it ain’t why why why - du träumst also, dass du geträumt hast – ich bin nicht hier, es gibt keine Jessika - Ur Local is protected by all applicable Paradox Laws. Do you agree?- warum sitzt hier ein Mädchen im roten Kleid? Das habe ich nicht gewollt – nicht einschätzbar – how does it feel? – mein Leben zurück haben - Ich. Habe. Den. Verstand. Verloren. – nasse Badehose, dreizehn Jahre alt, heftige Erektion – das ist kein Buch hier, das ist dein leben - Jessifranziska, Fanjekakaka – jetzt drehst du wirklich durch – ich werde mein Leben wieder bekommen – viele Thriller gelesen, und nun? - nicht einschätzbar – wie viele Schüsse sind in dem Ding eigentlich drin? – in diesen Büchern sind auch Opfer, und vielleicht suche ich einen Weg, von ihnen zu lernen – wir sind nicht einschätzbar - das traust du dich nicht! – kann sie Gedanken lesen? - liebst du mich?

Die Tür ging auf, ein beleibter Herr in Jeans und T-Shirt kam auf uns zu. Auf mich zu. Jessika war hinter mich getreten. Der Mann sah die Waffe und zögerte.

»Ich kann nichts dafür«, sagte ich, »andere haben entschieden. Anonym abgestimmt. Es tut mir leid.«

Dann drückte ich ab. Der Fernfahrer – ich ging davon aus, dass es sich um diesen handelte – taumelte einen halben Schritt zurück und starrte mich überrascht an. Fühlt er Schmerz? Irgend etwas? Denkt er etwas? Auf dem T-Shirt, dort wo sich der Bauch wölbte, entstand rund um das nagelneue Loch, das es Sekunden zuvor noch nicht gegeben hatte, ein roter Fleck, der ungefähr die Form des Bodensees annahm.

Zu tief gezielt. Der Mann ist nicht tot. Du musst ihn erlösen, damit es schnell vorüber ist.

Ich wollte noch einmal schießen, aber keine Zeit, ich muss erst frei werden von diesem Albtraum. Ich fuhr herum und schoss Jessika drei Kugeln in den Kopf, bevor sie begreifen konnte, was ich vorhatte. Liebst du mich?

Während sie zu Boden sank, drehte ich mich wieder zu dem Mann am Boden und schoss ihn zwei mal in den Kopf. Dann klickte die Waffe nur noch, es waren also sechs Kugeln im Magazin gewesen.

Du hättest ihn auch noch retten können, oder? Zum Tunnel gefahren wäre er ja nun nicht mehr.

Ich hätte … ich hatte sogar gewollt … mein Plan hatte anders ausgesehen. Aber es war wiederum etwas mit mir geschehen, was ich nicht geplant und nicht gewollt hatte. In den Sekunden, bevor der Mann aus der Toilette gekommen war, war ich mir sicher, dass ich ihn nur verletzen wollte, ins Bein schießen meinetwegen, und dann Jessika töten und verschwinden.

Töten? Man kann doch niemanden töten, der gar nicht existiert.

Doch dann war alles so schnell passiert, dass ich keinen klaren Gedanken mehr hatte fassen können. Ich zweifelte, dass ich jemals wieder zu klaren Gedanken fähig sein würde. Ich, der Wehrdienstverweigerer, der Freund des Friedens, hatte zwei Menschen erschossen.

Einen. Einen Menschen und eine Nephilim.

Ich schloss die Augen, mir war übel und schwindelig. Ich wollte die Leichen nicht mehr betrachten, ich wollte nicht mehr hinter dieser Tankstelle stehen, ich wollte aufwachen in einer Welt, in der es keine Jessika gab, keine Jana Nováková, keine Alesia und keinen Luca. Von Nitzrek ganz zu schweigen.

Es wurde dunkler, noch dunkler, bemerkte ich durch die geschlossenen Augenlider, als sei die kleine Lampe über der Toilettentür erloschen. Ich riss die Augen auf und sah nichts. Völlige Finsternis hüllte mich ein. Ich fühlte etwas, was ich nicht benennen konnte. Eine Anwesenheit, von irgend etwas bösem. Etwas sehr bösem. So etwas wie ein Stromschlag traf mich, allerdings wie von innen heraus, ich starrte in die Finsternis und erkannte eine Gestalt, nein, ich erkannte die Ahnung einer Gestalt.

»No man sees my face and lives«, sagte Nitzrek.

»Ich liebe Jessika«, hörte ich mich sagen, »ohne sie will ich nicht leben.«

»Du törichter Mensch.«

Die Gestalt kam mir näher. Etwas berührte mein Bein, tastend.

Dann wurde ich meines Bewusstseins beraubt.

 

Der Rest meiner Geschichte ist schnell erzählt. Der Angestellte hatte im Verkaufsraum der Tankstelle die Schüsse gehört und die Polizei alarmiert, seine Tür verriegelt und hinter dem Tresen versteckt gewartet, auf Anraten des Beamten, mit dem er am Telefon sprach. Auch als die Streifenwagen eintrafen, blieb er noch in seinem Versteck, erst als zwei Polizisten an die Glastüren klopften, machte er auf.

Als Zeuge taugte er nicht, da er nichts gesehen hatte. Es gab zwar Videokameras, aber keine Aufzeichnungen, da die Anlage seit Wochen defekt und noch immer nicht repariert war. Weitere Kunden hatten im fraglichen Zeitraum nicht an der Tankstelle gehalten.

Die Beamten fanden die Leiche des Fernfahrers, mich und eine Menge Blutspuren, die nicht von dem Toten stammten. Ich war äußerlich unverletzt, im Krankenhaus wurde dann wenig später ein Herzinfarkt diagnostiziert. Eine Waffe wurde genauso wenig gefunden wie die Person – die Leiche! – deren Blut hier so reichlich geflossen war.

Die Ermittlungen blieben letztendlich ergebnislos. Als ich wieder vernehmungsfähig war, wurde ich als Zeuge befragt und erklärte, dass ich angehalten hatte, um die Toilette aufzusuchen, dort sah ich die Leiche und wurde ohnmächtig. Ich hatte keine weiteren Kunden gesehen, auch war mir weder ein wegfahrendes Auto noch ein verletzter, blutender Mensch aufgefallen.

Das Blut am Tatort, das nicht von dem toten Fahrer stammte, wurde vermutlich untersucht und analysiert, davon würde ich zumindest ausgehen. Falls dabei eine Abweichung von normalem menschlichen Blut aufgefallen war, wurde dies nicht öffentlich bekannt gegeben – was mich nicht sonderlich erstaunte. Ich wusste ja, falls alles wirklich so geschehen war, wie ich es hier aufgeschrieben habe, um das weitverzweigte Netz der Nephilim. Warum sollten sie nicht auch im kriminaltechnischen Labor in Prag ihre Leute haben. Andernfalls war es eben nur menschliches Blut von dem selbst verletzten Täter gewesen, der rechtzeitig mit seiner Waffe entkommen war, oder von einem weiteren Opfer, das der Täter mitgenommen hatte.

Niemand war auf die Idee gekommen, meine Haut auf Schmauchspuren zu untersuchen. Ich war nur ein – allerdings nicht sehr ergiebiger – Zeuge.

Als ich, nach für die Ärzte erstaunlich schneller Genesung, aus dem Krankenhaus entlassen wurde, brachte man mich zu meinem Auto, das von der Polizei in Verwahrung genommen worden war. Im Kofferraum lag mein Gepäck, keine Spur von Jessikas Reisetasche. Da war ich mir sicher, dass ich wieder bei Sinnen und im echten Leben angekommen war. Was mit mir passiert war, seit ich beim Spaziergang im Park von Budweis eine junge Frau gesehen hatte, bei der mir meine erdachte Jessika einfiel, konnte ich und wollte ich nicht analysieren. Jetzt jedenfalls war ich – um die Erfahrung eines Herzinfarktes reicher – wieder ich und Herr meines Lebens. Die nächtlichen Träume lassen wir mal beiseite, da bin ich ja nicht der einzige, der hin und wieder schweißgebadet aufwacht und ein paar Momente braucht, um sich wieder zurecht zu finden.

Nun bin ich seit etlichen Wochen wieder in Berlin und habe meine Geschichte aufgeschrieben. Als Versicherung. Nur für den Fall der Fälle. Falls mir etwas zustoßen sollte, wird die Welt erfahren, was wirklich geschehen ist vor dem Mord an der Tankstelle. No man sees my face and lives. Man weiß ja nicht, was solche Worte letztendlich bedeuten.

Allerdings rechne ich eher damit, dass ich noch sehr lange und sehr gesund leben werde. Schließlich sehe ich jeden Morgen nach dem Duschen im Badezimmerspiegel das sternförmige Muttermal direkt über meinem Penis. Ich habe überlegt, ob ich meine Haare da unten wieder wachsen lassen sollte, um den Leberfleck zu verbergen, aber mich dann doch für die gewohnte tägliche Rasur entschieden. Eine kleine Hautverfärbung ist ja nichts, wofür man sich schämen müsste.

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Da manche Menschen und viele Nephilim so gerne auf etwas klicken und sich die Frage ja förmlich aufdrängt, darf nun zum Schluss noch einmal abgestimmt werden.

Besser gefiel mir ...
... diese verworfene Version, die hier steht.
... jene gültige Version vom vergangenen Freitag.
... dieses und jenes.
Auswertung

Freitag, 26. August 2011

Jessika–die Konfrontation /// Teil 12

So. Also nun. Dies ist das zweite Ende der Geschichte, das ich geschrieben habe. Mit der ersten Version konnte ich mich nicht so recht anfreunden ... die beste aller Ehefrauen hatte ebenfalls Einwände.

Wer noch einmal nachsehen will, was bisher geschah: [Teil 1] [Teil 2] [Teil 3] [Teil 4] [Teil 5] [Teil 6] [Teil 7] [Teil 8] [Teil 9] [Teil 10] [Teil 11]

Neugierig wie alles endet? Bitteschön:

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Ich hatte keine Ahnung von Waffen. Im Fernsehkrimi jemanden anlegen und schießen sehen – das ist das eine, aber selbst dieses Metallgerät in der Hand zu halten, aus dem auf Wunsch tödliche Projektile in die angepeilte Richtung entwichen, war etwas ganz anderes.

»Ist das Ding entsichert oder so?«, fragte ich.

Jessika nickte. »Nur abdrücken.«

Die Gedanken, die mir durch den Kopf schossen, aufzuschreiben (und zu lesen, was die geschätzten Empfänger dieser Zeilen betrifft) dauert wesentlich länger als die Momente vor der Tür zur Toilette lang waren. Es war eine Art Wirbelwind in meinem Kopf, da waren Satzfetzen und einzelne Worte, die sich gegenseitig verfolgten, überlagerten eliminierten, verstärkten …

Jetzt bekomme ich die Kontrolle über mein Leben zurück – Illusionen bis zum Ende - wir sind nicht einschätzbar, nicht von euch Menschen und auch nicht von unseresgleichen- liebst du mich? – it ain’t why why why - du träumst also, dass du geträumt hast – ich bin nicht hier, es gibt keine Jessika - Ur Local is protected by all applicable Paradox Laws. Do you agree?- warum sitzt hier ein Mädchen im roten Kleid? Das habe ich nicht gewollt – nicht einschätzbar – how does it feel? – mein Leben zurück haben - Ich. Habe. Den. Verstand. Verloren. – nasse Badehose, dreizehn Jahre alt, heftige Erektion – das ist kein Buch hier, das ist dein leben - Jessifranziska, Fanjekakaka – jetzt drehst du wirklich durch – ich werde mein Leben wieder bekommen – viele Thriller gelesen, und nun? - nicht einschätzbar – wie viele Schüsse sind in dem Ding eigentlich drin? – in diesen Büchern sind auch Opfer, und vielleicht suche ich einen Weg, von ihnen zu lernen – wir sind nicht einschätzbar - das traust du dich nicht! – kann sie Gedanken lesen? - liebst du mich?

Die Tür ging auf, ein beleibter Herr in Jeans und T-Shirt kam auf uns zu. Auf mich zu. Jessika, die eben noch neben mir gestanden hatte, war vermutlich hinter mich getreten. Der Mann sah die Waffe und zögerte.

»Ich kann nichts dafür«, sagte ich, »andere haben entschieden. Anonym abgestimmt. Es tut mir leid.«

Dann zielte ich auf seinen Unterarm und drückte ab. Der Fernfahrer – ich ging davon aus, dass es sich um diesen handelte – taumelte einen halben Schritt zurück und starrte mich überrascht an. Fühlt er Schmerz? Irgend etwas? Denkt er etwas? Auf dem T-Shirt, dort wo sich der Bauch wölbte, entstand rund um das nagelneue Loch, das es Sekunden zuvor noch nicht gegeben hatte, ein roter Fleck, der ungefähr die Form des Bodensees annahm.

Ich habe falsch gezielt. Scheiße! Ich wollte doch den Arm … ich muss ihm helfen, einen Arzt holen - keine Zeit, ich muss erst frei werden von diesem Albtraum.

Ich fuhr herum und schoss Jessika drei Kugeln in den Kopf, bevor sie begreifen konnte, was ich vorhatte.

Jessika? Die Frau sieht ganz anders aus …wieso ist sie auf einmal blond …

Während sie zu Boden sank, drehte ich mich wieder zu dem Mann am Boden. Er blutete und blutete, sein Gesicht sah im Schimmer der Laternen aus wie Wachs. Atmete er noch?

Wo ist mein Telefon? Ich muss Hilfe holen.

Mein Plan, in den Sekunden mit der Waffe in der Hand entstanden, war gescheitert. Es war wiederum etwas mit mir geschehen, was ich nicht geplant und nicht gewollt hatte. Ich hatte ihn nur verletzen wollen, leicht verletzen, und dann Jessika töten und verschwinden.

Töten? Man kann doch niemanden töten, der gar nicht existiert.

Ich schloss die Augen, mir war übel und schwindelig. Ich wollte die blonde Leiche nicht sehen, ich wollte die Kugel zurückholen, die im Bauch des Fernfahrers gelandet war, ich wollte aufwachen in einer Welt, in der es keine Jessika gab, keine Jana Nováková, keine Alesia und keinen Luca. Von Nitzrek ganz zu schweigen.

Ich hörte Schritte hinter mir, dann traf mich ein Schlag auf den Kopf und ich versank in gnädiger Bewusstlosigkeit.

 

Der Rest meiner Geschichte ist schnell erzählt, und mir bleibt auch nicht mehr viel Zeit, die letzten Absätze aufzuschreiben. Der Angestellte hatte im Verkaufsraum der Tankstelle die Schüsse gehört und die Polizei alarmiert. Dann nahm er einen stabilen Knüppel, den er unter der Theke aufbewahrte, und schlich um das Gebäude. Er sah mich mit einer Pistole in der Hand, zwei blutende Menschen am Boden und schlug mich von hinten nieder, ohne noch lange zu zögern.

Die Polizisten trafen kurz darauf ein, legten mir Handschellen an bevor ich zu mir kam und dann, nach oberflächlicher Untersuchung durch einen Arzt, brachte man mich ins Gefängnis. Mein Leben als freier Mensch war mit meinem Versuch, mich von den Nephilim zu befreien, vorbei.

Die Tatwaffe trug meine Fingerabdrücke. An meiner Hand wurden Schmauchspuren nachgewiesen. Es hätte zu nichts geführt, irgend etwas zu leugnen, das hatte ich auch gar nicht vorgehabt. Trotzdem bin ich überzeugt davon, zu Unrecht in dieser Anstalt hier zu sitzen.

Der Fernfahrer – nun ja, ich hatte ihn erschossen. Er war verblutet. Allerdings verstand und glaubte niemand die Zwangslage, in der ich das getan hatte, und niemand glaubte mir wohl, dass ich den Arm hatte treffen wollen. Die tote junge Frau wurde als 29jährige Tschechin identifiziert, eine gewisse Lída Borová, die Geliebte des Fernfahrers.

»Warum hätte ich einen mir völlig Fremden und seine Freundin, die ich genauso wenig kannte, erschießen sollen?«, hatte ich in den Verhören immer wieder gefragt. »Ich habe mich gegen eine Nephilim verteidigt, und dabei versehentlich den Mann getötet, den ich nur hatte verletzen wollen. Er hätte sonst ein Inferno im Tunnel an der Grenze ausgelöst.«

Man hatte Psychologen hinzugezogen, in endlosen Gesprächen immer wieder versucht, mir »die Wahrheit« zu entlocken – dabei sagte ich die ganze Zeit nichts anderes als die Wahrheit. Genau die Wahrheit, die ich hier aufgeschrieben habe.

Es ist, das erkenne ich inzwischen deutlich, eine Verschwörung. Die ermittelnden Beamten haben, so wurde mir berichtet, im Hotel Klika in Budweis vorgesprochen. Dort wurde ausgesagt, dass man mich als Gast geschätzt habe, aber es sei doch aufgefallen, dass ich gelegentlich Selbstgespräche geführt habe, als säße jemand an meinem Tisch. Eine junge Frau mit einem roten Mercedes Cabriolet habe man nicht gesehen, und schon gar nicht sei sie Gast im Hotel gewesen.

Die Polizei in Budweis wusste nichts von einem toten Kind auf dem schwarzen Turm, angeblich. Ich nehme an, dass die Nephilim die Akten oder die Leiche haben verschwinden lassen. So etwas ist ja für ihresgleichen eine der leichteren Übungen.

Und - das ist eigentlich der deutlichste Hinweis auf die Verschwörung - sie haben auch, auf eine mir unerklärliche Weise, den Kalender manipuliert. Irgendwie die lange Zeit, die ich nach dem Anschlag der alten Jana Nováková zur Genesung brauchte, eliminiert oder überbrückt. Angeblich war ich auf der ganz normal geplanten Rückreise von meinem Urlaub, als ich an der Tankstelle vor der Grenze zwei Menschen erschossen haben soll. Dass in dem von mir genau benannten und beschriebenen Haus in Budweis keine Jana Nováková gewohnt haben soll, passt ja letztendlich als letztes Mosaiksteinchen ins Bild.

Morgen früh soll ich in eine »geschlossene Anstalt« überführt werden, hat mir heimlich eine der netten Pflegerinnen hier verraten. Sie scheint die einzige hier zu sein, die mir glaubt. Wer weiß, vielleicht weiß sie mehr über die Nephilim, als sie zugibt?

Ich weiß nicht, welches Schicksal auf mich wartet, ob ich jemals rehabilitiert werde, ob ich die Gelegenheit bekomme, jemandem mitzuteilen, welche Wesen da unerkannt unter uns leben – daher habe ich diesen Bericht wahrheitsgemäß und nach bestem Wissen und Gewissen verfasst. Die nette Pflegerin hat versprochen, meine Zeilen einem Freund zukommen zu lassen, der sie veröffentlichen wird. Ich werde keine Gelegenheit haben, vermute ich, mich davon zu überzeugen. Diese geschlossene Anstalt soll wirklich sehr geschlossen sein.

Da Sie nun diese Zeilen – meinen Bericht – gelesen haben, will ich Sie abschließend warnen, um Vorsicht und Aufmerksamkeit bitten:

Sie sind mitten unter uns.

Sie sind überall.

Und sie kennen kein Erbarmen mit uns Menschen.

 

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Zu guter Letzt frage ich die geschätzten Leser, ob sie Interesse an dem verworfenen Ende der Geschichte, also der Version 1 dieses Kapitels haben. Bei CDs lieben manche ja auch diese Bootlegs mit den ausgemusterten Aufnahmen aus dem Studio … also warum auch nicht.

Den alternativen Schluss ...
... möchte ich lesen.
... will ich nicht kennen lernen.
Auswertung

Donnerstag, 25. August 2011

Jessika - fast fertig

imageSo viel ist klar, dass es in absehbarer Zeit eine Fortsetzung gemäß Leservotum und - was manchem treuen Lesern weniger gefallen könnte - gleichzeitig ein Ende (?) geben wird.

Im Urlaub, neulich in Schleswig Holstein, hatte ich der besten aller Ehefrauen erzählt, wie ich mir den Schluss vorstelle.

Nun habe ich ihn geschrieben, aber anders. Und bin nicht zufrieden. Wenn der Autor nicht zufrieden ist, muss er um Gedulden bitten, denn er will dem geschätzten Leserkreis nichts vorsetzen, was er selbst nicht so ganz mag.

Tja.

Mal sehen.