Dienstag, 1. September 2009

Der sprechende Hund

Als wir kürzlich durch Westfalen geradelt sind, kamen wir an einem ziemlich schäbig wirkenden Bauernhaus vorbei. Am Gartenzaun war ein Pappschild befestigt, auf dem in ungelenker Handschrift stand: »Sprechender Hund zu verkaufen«.
Ich stieg vom Fahrrad und klopfte an die morsche Tür.
Der Bauer, dessen Aussehen dem seines Hofes kaum nachstand, erklärte mir, dass der fragliche Hund in der Scheune zu finden sei. Ich ging um das Gebäude herum und fand einen betagten Labrador im Schatten vor der Scheunentüre liegen.
»Du kannst sprechen?«, fragte ich ihn.
»Jau!«, antwortete der Hund etwas träge.
Eine solch einsilbige Antwort konnte mich natürlich noch nicht überzeugen. Schließlich ist mir Doktor Sommer mit dem angeblich sprechenden Hund keineswegs unbekannt. Daher bat ich: »Na dann erzähl mal deine Geschichte.«
Der Labrador hob den Kopf und sagte: »Ich habe schon in jungem Alter entdeckt, dass ich sprechen kann. Also beschloss ich, damit meinem Land zu helfen und erzählte einem Mann vom BND aus dem Nachbarort von meiner Begabung. Es dauerte nicht lange, da flog man mich von Land zu Land, damit ich fleißig lauschend mit Regierungschefs und Wirtschaftsbossen im Zimmer saß, und keiner kam auf die Idee, dass ich zuhören, geschweige denn hinterher davon erzählen würde.«
»Ach was!«
»Jawohl. Ich war dabei, als Obamas Besuch an der Siegessäule geplant wurde, habe Angela Merkel zum Wahlsieg verholfen, weil ich bei Schröder unter dem Kaffeetisch gelauscht habe, und ich konnte mithelfen, dass vor ein paar Jahren die Kofferbomber von Köln gefasst wurden.«
Ich war beeindruckt und meinte: »Wie kommst du aber nach solchen Abenteuern jetzt auf diesen verfallenen Bauernhof?«
»Ich war acht Jahre lang der wertvollste Spion des BND. Aber die ganzen Reisen haben mich erschöpft, und da ich so langsam meine Knochen zu spüren begann, beschloss ich, mich zur Ruhe zu setzen.«
»Hier in der westfälischen Provinz?«
»Na ja, also ich war zuletzt am Flughafen in Frankfurt am Main eingesetzt, um in der Nähe von verdächtigen Passagieren zu horchen, ob sie subversive Dinge bereden. Natürlich habe ich dabei auch das Gepäck beschnüffelt. Eines Tages stieg mir der lieblichste Geruch der Welt aus einer Transportbox für Tiere in die Nase. Der Besitzer der Box und des Inhaltes wurde dann mein aktuelles Herrchen. Um es kurz zu machen: Ich bin mit der Hundedame hierher gekommen, wir haben eine Menge Nachwuchs in die Welt gesetzt und jetzt lebe ich hier im Ruhestand.«
Ich war restlos begeistert und ging zurück zum Bauern, um den Preis für das Tier zu erfragen.
Er sagte: »Zehn Euro.«
Ich musste mich wohl verhört haben. Ich fragte: »Zehn Euro? Dieser Hund ist ein Wunder, unbezahlbar! Warum wollen Sie nur zehn Euro für ihn haben?«
»Weil er ein Lügner ist! Kein einziges von seinen angeblichen Abenteuern ist wahr!«

Montag, 31. August 2009

Kurz, kürzer, am kürzesten

No-more-blues[1] Neulich wurde ich von der Redaktion »Adam Online« gebeten, eine Rezension des Quadros »No more blues« zu schreiben, die speziell Männer anspricht. Ich fragte nach:
...für mich wäre es hilfreich, wenn ich einen Anhaltspunkt hätte, wie viele Zeichen die Rezension maximal haben darf. Als Abonnent von Adam Online, könnte ich natürlich die Zeichen in anderen Rezensionen zählen, aber dazu bin ich einstweilen zu faul.
;-)
Beste Grüße!
Günter J. Matthia
Darauf kam prompt diese Nachricht in mein E-Mail-Postfach geflattert:
Hallo Günter,
da zurzeit mehr gute Bücher erscheinen, als wir in unserem vierteljährlichen Printmagazin unterbringen können, nehmen wir auch in unserem monatlichen Newsletter jeweils eine Buchempfehlung herein. Sie braucht nur ganz kurz zu sein, ca. 350 Zeichen (Word-Zählung ohne Leerzeichen). ...
Nun packte mich blankes Entsetzen. 350 Zeichen? Ich griff virtuell zur Feder und antwortete:
...ach du liebe Güte, nur 350 Zeichen? Ich werde versuchen, mich kurz zu fassen, aber das halte ich fast für unmöglich. Es soll ja, so verstehe ich das, »männerspezifisch« sein und auch nicht ganz und gar ohne Aussagekraft.
Meine ausführliche Rezension von »No more blues« incl. Zitate aus dem Werk hat 6.404 Zeichen.
Herzlich, Günter
Jedoch: Der Kelch wollte nicht an mir vorübergehen, um keinen Preis. Ich bekam folgende Antwort:
Hallo Günter,
350 Zeichen - das ist immerhin mehr als doppelt so lang wie eine Twitter-Nachricht ;-)
Liebe Grüße ...
Und das mir, der ich mich seit der Twittererfindung weigere, zu twittern und auch beharrlich keine Kurznachrichten mit meinem Mobiltelefon verschicke. In der Kürze mag ja die Würze liegen, aber dann mag ich es eben weniger würzig.
Jedenfalls habe ich mich, weil No more blues ein ganz hervorragendes Quadro ist, dem ich so viele Leser wie möglich wünsche, dann doch in die Sklaverei begeben und mich den Vorgaben der Redaktion gebeugt. Ich schrieb:
... nun gut, 350 Zeichen habe ich nicht ganz eingehalten, aber kürzer ist nun mal nicht drin. Hier meine Kurz-Rezension:

Männer sind hart im Nehmen. Männer halten was aus. Männer beißen sich durch. Auch durch den Glauben, trotz Schuldgefühlen, koste es was es wolle?
Das muss nicht sein, erklärt Harald Sommerfeld in »No more blues«. Er räumt auf mit allerlei falschen Annahmen und Schlussfolgerungen. Glaube ohne Schuldgefühle ist nicht nur möglich, sondern das, was Gott eigentlich für uns will. Ein echter Augenöffner – unbedingt lesen!

Die Redaktion war angetan:
Danke für die Rezi! Sie wird in nächsten Newsletter erscheinen.
Liebe Grüße ...
Dennoch werde ich auch in Zukunft nicht twittern oder mich des SMS bedienen. Und wer No more blues noch nicht kennt, der sollte das Versäumte baldmöglichst nachholen. Egal, ob Mann oder Frau.

ISBN 978-3-935992-56-5
40 Seiten, 4 Euro
Verlag Down to Earth

Sonntag, 30. August 2009

Vermessen ist gut – aber was?

Vermessung? Dieses Schild neben dem Eingang hat mich neulich beim Betreten des Standesamtes anlässlich der Hochzeit meines Sohnes nachdenklich gestimmt.

Nun ist es ja grundsätzlich richtig, dass Mann und Frau zueinander passen sollten, wenn sie heiraten. Es ist auch sehr freundlich, dass das Standesamt diesbezüglich offensichtlich Vermessungen durchführt. Allerdings bleiben einige Fragen für mich offen, über deren Antworten ich nun schon eine Woche lang Nacht für Nacht und Tag für Tag grübeln muss.

  • Falls hier die Körpergröße der Ehewilligen vermessen wird, welcher Größenunterschied ist denn noch nicht eheschädlich? Drei Zentimeter? Fünf Zentimeter? Zehn Zentimeter? Und darf der Mann kleiner als die Frau sein? Oder nicht? Oder innerhalb welcher Grenzen?
  • Falls es bei der Vermessung um die Größe – äh – hüstel – räusper – also na ja, Männer übertreiben diesbezüglich gerne, dem Vernehmen nach, und der durchschnittliche deutsche Mann – äh – 14,61 Zentimeter - also – nun ja: Wie lang ist denn nun lang genug für eine Eheschließung?
  • Oder wird nicht das potenzielle Ehepaar beziehungsweise die gewisse männliche Spezialausstattung vermessen, sondern beispielsweise bei der Anmeldung eines neuen Erdenbürgers dessen Länge und Breite, womit sich das oft gelesene »52 cm / 54 cm / irgendwas cm« in zahlreichen Geburtsanzeigen erklären würde?

Rätsel über Rätsel. Berlin ist mit diesem Bürgerservice bestimmt sehr kundenfreundlich, aber vielleicht sollte man das Angebot etwas genauer erklären?

Andererseits: Ich bin verheiratet, mit der besten aller Ehefrauen, Geburten von neuen Erdenbürgern sind nicht mehr zu erwarten, also betrifft mich das standesamtliche Angebot der Vermessung wohl sowieso nicht mehr in diesem Leben.

Freitag, 28. August 2009

Jetzt schon an Weihnachten...

...denken viele Fans von Bob Dylan.

Oder nein. Falsch.

Die echten Fans werden nicht bis Weihnachten warten, um sich die nächste CD von Herrn Zimmermann zuzulegen, die erscheint nämlich (voraussichtlich) bereits am 13. Oktober. Das heißt, dass sie sich am 14. Oktober in zahlreichen CD-Spielern drehen dürfte, auch wenn Weihnachten noch gar nicht in Sicht ist.

Diese CD, sein 47stes Album, macht Schlagzeilen, bevor überhaupt klar ist, welche Lieder enthalten sind, geschweige denn, wie das klingt, wenn Bob Dylan Here Comes Santa Claus, Winter Wonderland, Little Drummer Boy und Must Be Santa intoniert. Diese vier Songs hat er bereits genannt - alles andere um die Musik auf dem Album ist zur Stunde unbekannt oder reine Spekulation.

Schlagzeilen gibt es vor allem deshalb, weil dies sein erstes 100%iges Benefizalbum wird. Er hat schon bei diversen Projekten mitgewirkt, deren Erlös einem guten Zweck diente, aber bei dieser CD verzichtet er komplett auch für die Zukunft auf das Geld. Das geht an Feeding America.
Feeding America kümmert sich um die Ärmsten im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Bob Dylan meint:
It’s a tragedy that more than 35 million people in this country alone – 12 million of those children – often go to bed hungry and wake up each morning unsure of where their next meal is coming from. I join the good people of Feeding America in the hope that our efforts can bring some food security to people in need during this holiday season.
Und damit ist es wieder völlig logisch und richtig, dass die CD im Oktober erscheint, denn es mag ein paar Wochen dauern, bis die Dollars von der Ladenkasse im Musikgeschäft zu Feeding America gelangen.

Amazon USA hat die CD bereits zum Vorbestellen im Angebot. Amazon Deutschland weiß noch nichts von dem Album, aber das wird sich sicher noch rechtzeitig ändern.

Donnerstag, 27. August 2009

Markus Zusak: I Am the Messenger

The gunman is useless.
I know it.
He knows it.
The whole bank knows it.
Even my best mate, Marvin, knows it, and he's more useless than the gunman.
The worst part about the whole thing is that Marv's car is standing outside in a fifteen-minute parking zone. We're all facedown on the floor, and the car's only got a few minutes left on it.
"I wish this bloke'd hurry up," I mention.
"I know," Marv whispers back. "This is outrageous." His voice rises from the depths of the floor. "I'll be getting a fine because of this useless bastard. I can't afford another fine, Ed."
Mit einem Banküberfall beginnt das Buch, von dem hier die Rede ist. Ed, der Ich-Erzähler, sein Freund Marv und Audrey liegen auf dem Boden während der Bankräuber mit seiner Pistole herumfuchtelt und irgendwie nicht recht zu Potte kommt mit seinem Überfall.
Marv ist nicht gerade eine Leuchte in der Intelligenzabteilung. Audrey ist ein prima Kumpel für Ed, aber mehr auch - leider, findet Ed - nicht. Und Ed selbst ist ein durchschnittlicher 19jähriger Loser (der Anglizismus sei mir angesichts eines Buches in englischer Sprache nachgesehen). Er ist kein Held, zeigt keine nennenswerten Begabungen oder Interessen, hat keine sonderlichen Pläne oder Ziele im Leben. Er jobbt als Taxifahrer und ist ansonsten mit Kartenspielen, Quatschen und Träumen von Audrey gut ausgelastet. Sein Hund, The Doorman, passt zu ihm - ein liebenswerter, stinkender, struppiger Geselle, der nichts Besonderes ist oder kann.

Trotz des Banküberfalls am Anfang erzählt der Autor Markus Zusak keinen Krimi, sondern einen (ganz und gar lesens- und liebenswerten) Roman.
Ed bekommt Post - eine Spielkarte. Und die führt ihn zu einer Kette von Einsätzen, mit denen er nie gerechnet und deren Bewältigung er sich keineswegs zugetraut hätte. Schritt für Schritt kommt er sich selbst und dem Leben näher, während er zunächst wildfremden Menschen bestimmte Dienste leistet... Er ist der Messenger, der nicht einmal weiß, wessen Botschaft er überbringt und warum ausgerechnet er.

Zusak erzählt glaubwürdig, was längst nicht jedem Schriftsteller gelingt. Sprache, Stil, Ausdruck - hier stimmt wirklich alles, um den Leser mit in Eds Leben, Empfinden, Denken zu nehmen.
"Oh Ed." Audrey looks away. "Oh Ed."
Our feet dangle.
I watch them, and I watch the Jeans on Audrey's legs.
We only sit there now.
Audrey and me.
And discomfort.
Squeezed in, between us.
She soon says, "You're my best friend, Ed."
"I know."
You can kill a man with those words.
No gun.
No bullets.
Just words and a girl.
Ich habe bei der Lektüre manches mal laut aufgelacht, an anderen Stellen geseufzt oder gar den sprichwörtlichen Kloß im Hals verspürt. Der Autor wird jedoch an keiner Stelle aufdringlich oder penetrant belehrend, sondern er lässt Ed auf völlig natürlich wirkende Weise erzählen, was ihm alles zustößt. Und das ist immer wieder unerhört und unerwartet.
Wenn ein Buch mich derart vereinnamen kann wie dieses, wenn ich es trotz später Stunde überhaupt nicht aus der Hand legen mag, dann ist es zweifellos für mich ein sehr gutes Buch.

Das Werk wird vom Verlag und in den Buchhandlungen als Jugendbuch (for young readers) eingeordnet, was nicht meine Zustimmung findet. Ich bin demnächst 54 Jahre alt, und dennoch hat mich Markus Zusak zu fesseln und bestens zu unterhalten vermocht. Es geht jungen Lesern (mit zwei Teenagern habe ich über das Buch geplaudert) nicht anders - aber ist I Am the Messenger dessenthalben ein Jugendbuch? Nee, also wirklich nicht.

Mein Fazit: Wer nach einer fesselnden Lektüre sucht, bei der er nebenbei noch einige Eigentümlichkeiten des australischen Englisch kennen lernen kann, sollte nicht zögern, sondern zugreifen.

Das Buch gibt es zum Beispiel hier bei Amazon: I Am the Messenger

Mittwoch, 26. August 2009

Bob Dylan als Co-Pilot

When it comes to enunciation, Bob Dylan falls somewhere between Scooby Doo and Miss Teen USA South Carolina. But people love their celebrities (and irony) so even Dylan could have a bright future in GPS navigation voiceover work. Mr. Zimmerman admitted to "talking to a couple of car companies about the possibility of being the voice of their GPS system," during his late-night BBC radio show. Naturally, it will happen with all the press he's received. And when it does you'll be on your own, with no direction home, dig?

Was die Artikulation betrifft, landet Bob Dylan irgendwo zwischen Scooby Doo und Miss Teen USA South Carolina. Doch die Menschen lieben ihre Idole (und Ironie), so dass sogar Bob Dylan eine große Zukunft als GPS-Navigationsstimme haben könnte. Herr Zimmermann gab in der BBC-Late-Night-Radioshow (besser bekannt als Theme Time Radio Hour) zu, dass er »mit ein paar Autoherstellern über die Möglichkeit gesprochen hat, die Stimme auf ihrem Navigationssystem zu werden«. Natürlich wird es dazu kommen, angesichts seiner enormen Popularität. Und wenn es dann soweit ist, dann bist du on your own, with no direction home, alles klar?

Via: Engadged.com

Dienstag, 25. August 2009

Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt


Nun steht Ihr schöner Satz im Raum: Ich lasse mir von niemandem das Rauchen verbieten.
Das bleibt auch so.
Aber gegen das Gesetz verstoßen wollen Sie auch nicht?
Dem Gesetz muss man gehorchen. Immerhin haben es die Parlamente beschlossen.
Hat es Sie getroffen, dass Sie angezeigt wurden?
Nee, wir haben darüber gelacht.
Hatten Sie nicht auch Sorge um Ihren Ruf? Sie sind ein Vorbild.
Nein, ich bin kein öffentliches Vorbild.
Jetzt stapeln Sie wirklich zu tief.
Nein, im Ernst: Politiker sollen auf Ihrem Felde Vorbild sein, aber nicht auf sämtlichen Feldern menschlichen Lebens. Das ist zu viel verlangt.
Giovanni di Lorenzo hat die meisten dieser Gespräche »auf eine Zigarette« mit dem wohl berühmtesten Tabakkonsumenten der Bundesrepublik Deutschland geführt. Der mittlerweile 90jährige frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt plauderte eineinhalb Jahre für die von ihm mit herausgegebene Wochenzeitung »Die Zeit« über Gott und die Welt mit di Lorenzo und gelegentlich anderen Journalisten.
Dabei kamen - natürlich - Ereignisse aus der Geschichte Deutschlands zur Sprache, aber auch Aktuelles und Generelles.
In diesem Buch nun wurden die schönsten dieser Gespräche zusammengetragen, zusätzlich gibt es ein unveröffentlichtes Interview über Liebe, Leid und Tod.
Helmut Schmidt gelingt der Blick über das Tagespolitische hinaus, womöglich etwas, was einem Menschen verwehrt bleibt, solange er noch aktiver Politiker ist. Die Gespräche mit Helmut Schmidt in diesem Buch sind durchweg unterhaltsam zu lesen - dies ist alles andere als ein trockenes politisches Werk oder eine historische Abhandlung. Es ist Unterhaltungslektüre im besten Sinne, mit Tiefgang, amüsanten und anrührenden Momenten, die auch einen Blick in das Empfinden eines Mannes gewährt, der in mehreren Fällen Entscheidungen zu treffen hatte, die das Schicksal Deutschlands und Europas beeinflussten.
Manches hat mich überrascht, zum Beispiel seine sehr positiven Worte über Franz-Josef Strauß und seine Gedanken über Gott. Bei welchem Thema auch immer - Helmut Schmidt erweist sich als ein Mensch, der anderen, auch wenn sie Kritik anzubringen haben, gerne und aufmerksam zuhört, jedoch den Mut und die Kraft zur eigenen Meinung und Entscheidung aufbringt.

Mein Fazit: Sehr lesenswert, ob man nun der politischen Partei Schmidts zugetan ist oder nicht, ob alt oder jung.

Kaufen kann man das Buch überall im Buchhandel, zum Beispiel hier bei Amazon: Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt

Samstag, 22. August 2009

Christian - polizeilich gesucht!


Die folgende wahre Begebenheit habe ich für die »Hochzeitszeitung« meines Sohnes Christian, der gestern geheiratet hat, aufgeschrieben - soweit die Erinnerung rund 23 Jahre später noch reichte. Die Grafik dazu hat sein Bruder Sam angefertigt.

Er mag etwa 5 Jahre alt gewesen sein, als er eines Tages neugierig war. Den Spielplatz vor dem Haus in der Lobeckstraße (A) kannte Christian zur Genüge, aber was mochte wohl jenseits des bekannten Wohnblocks los sein?
Beim Vater, der kurz in die Wohnung gegangen war, um Getränke zu holen, abmelden, den Ausflug ankündigen? Nein, wozu denn, Christian würde ja in ein paar Minuten wieder da sein. Er ging auf Erkundungstour. Die Ritterstraße hinunter, über die Alexandrinenstraße, immer geradeaus. Glaubte er zumindest.

Sein Fehlen wurde wenige Minuten später bemerkt, aber Christian war bereits außer Sichtweite. Sein Vater fragte die Kinder und Eltern auf dem Spielplatz und wurde zunächst in die richtige Richtung gewiesen. Doch Christian war abgebogen, um den Rückweg abzukürzen. Er wanderte inzwischen – soweit das später rekonstruierbar war – in Richtung Landwehrkanal. Oder zunächst in Richtung Mauer? Vater und Sohn trafen sich nicht.

Nach rund einer Stunde vergeblicher Suche wurde die Polizei um Hilfe gebeten. Ein Beamter war schnell zur Stelle, er bekam ein aktuelles Foto und eine Beschreibung der Kleidung. Seinerzeit war die Technik noch nicht soweit fortgeschritten, dass Bilder elektronisch an die diensthabenden Polizisten übermittelt werden konnte, aber zumindest die Beschreibung wurde per Funk durchgegeben. Das Foto sollte auf der Wache vervielfältigt und dann verteilt werden.
Die Suche blieb über etliche Stunden erfolglos. Telefonate mit Bekannten und Freunden in der Umgebung offenbarten nur, dass Christian nirgends gesehen worden war. Christians Eltern waren abwechselnd unterwegs, um zu suchen. Es begann zu dunkeln.

Wie die Besorgnis wächst und zur Verzweiflung wird, wenn ein Kind über Stunden vermisst wird, können vermutlich nur Eltern nachvollziehen. Jedenfalls war der Vater am Ende seiner Nerven und an der richtigen Adresse: Er schickte ein Gebet zum Himmel, in dem es sinngemäß darum ging, dass er nun mit dem Fahrrad losfahren würde und mit göttlicher Hilfe genau bei seinem Sohn ankommen wollte. Mit dem »Amen« kam die Sicherheit, dass genau dies geschehen würde.
Er holte das Fahrrad aus dem Keller und fuhr die Lobeckstraße hinunter, nicht in die Richtung, die Christian beim Verlassen des Spielplatzes eingeschlagen hatte. Ein Streifenwagen fuhr gerade langsam die Ritterstraße entlang und hielt an der Kreuzung. »Haben Sie«, fragte der Polizist aus dem geöffneten Fenster, »diesen Jungen irgendwo gesehen?« Er zeigte ein vergrößertes Foto von Christian. »Ich bin der Vater. Also noch keine Spur?« »Nein, leider.«
Der Vater radelte weiter geradeaus. Kurz vor der Gitschiner Straße (E) sah er schon von weitem seinen Sohn, der unsicher umherschaute und zögernd die Straße entlang ging. Die Erleichterung auf beiden Seiten war nicht unerheblich.
Mutter und großer Bruder freuten sich nicht weniger über den glücklichen Ausgang der Episode. Die Polizei wurde informiert und die Suche eingestellt.
Wo genau Christian überall gewesen war, ließ sich nicht herausfinden, seinen Beschreibungen zufolge war er am Landwehrkanal (B) gewesen, aber auch an der Mauer (C) und vermutlich am Kottbusser Tor (D). Des Lesens noch unkundig hatte er mit den Straßenschildern nichts anfangen können, Passanten, die er um Hilfe gebeten hatte, wiesen ihn in unterschiedliche Richtungen. Er hatte zwar Polizisten gesehen, aber sich »nicht getraut«, diese anzusprechen.

»Weißt du«, erklärte ihm der Vater am Abend beim Zubettgehen, »wenn du wieder einmal nicht weiterweißt, dann geh zur Polizei. Das sind die Guten!« Dass die Polizei schließlich viele Jahre später Christians Berufswahl würde, konnten weder Vater noch Sohn wissen.

Freitag, 21. August 2009

Die Hochzeitsrede

Heute sind wir zur vierten Hochzeit des Jahres 2009 geladen. Ich hatte neulich schon angemerkt, dass diese Trauung eine ganz besondere ist. Es heiratet nämlich mein jüngerer Sohn.

Als Vater des Bräutigams habe ich (unter anderem) die Ehre, am Nachmittag eine kleine Rede halten zu dürfen. Diese wird ungefähr so ausfallen:

---

Liebe Nicole, lieber Christian.

Wer eine Rede zu halten sich anschickt, von der er vorher weiß, macht sich normalerweise Gedanken über das, was er sagen möchte. Der Anlass ist zu bedenken, genau wie die Zuhörerschaft. Die Länge der Rede soll weder ermüden noch mit einem vorschnellen Ende überraschen.
Ich habe dieses und jenes erwogen und verworfen, darunter das Ausleihen einer fremden Rede, um es mal etwas wohlwollend zu formulieren. Ich hätte zum Beispiel so anfangen, fortsetzen und enden können:
»Liebes Brautpaar, meine sehr verehrten Damen und Herren.
Es ist mir ein Bedürfnis und ich glaube nicht zuletzt und im Hinblick auf die anwesenden Damen oder besser gesagt das schönere Geschlecht.
Die Gastfreundschaft dieses Hauses meine Herren - wie sagt doch der Dichter: Ernst ist das Leben, heiter die Kunst, und ich freue mich dass die persönliche Anwesenheit von Familie Timm und darüber hinaus ganz besonders für die Jugend auch im Sinne dieses gelungenen Hochzeitstages.
Wir sollten wieder- auf - über - auch - hinaus unseren Dank an den Pastor und die verehrte gnädige Frau.«
Jedoch war zu erwarten, dass der eine oder die andere unter den Gästen hier Loriot kennt und schätzt, also werde ich das Gesagte selbstverständlich nicht sagen.

Statt dessen will ich die Gelegenheit nutzen, nicht in die Vergangenheit zu blicken. Auch dies hätte nahe gelegen, jedoch soll dies ja keine Beerdigung sein, liebe Nicole und lieber Christian, sondern wir feiern den Beginn eurer Ehe.

So ganz fremd seid ihr einander nicht, denn was einst eiserne Tradition war, ist heutzutage längst nicht mehr gültig. Euch beide haben nicht die Eltern für einander ausgesucht, wobei früher dem Vernehmen nach auch finanzielle und gesellschaftliche Interessen eine ausschlaggebende Rolle spielten, sondern ihr habt euch selbst gefunden, kennen und lieben gelernt. Vor - sagen wir 100 - Jahren ungefähr, hätte Christian zunächst bei Nicoles Eltern um ihre Hand anhalten müssen. Bei Tony Buddenbrook und Bendix Grünlich war das noch so. Sie war 18 Jahre alt, als der Hamburger Kaufmann um ihre Hand anhielt und außerordentlich bestürzt, als sie davon erfuhr. »Was will dieser Mensch von mir -! Was habe ich ihm getan -?« brach sie in Tränen aus. Tonys Mutter erklärte: »Die Verbindung, die sich dir darbietet, ist vollkommen das, was man eine gute Partie nennt, meine liebe Tony. […] du hast Zeit zur Überlegung. […] Aber wir müssen zu Bedenken geben, dass eine solche Gelegenheit, dein Glück zu machen, sich nicht alle Tage bietet, und dass diese Heirat genau das ist, was Pflicht und Bestimmung dir vorschreiben. Ja, mein Kind, das muss ich dir vorhalten.« Auch Tonys Vater hatte sich nach Einsicht in die Geschäftsbücher des ehrenwerten Herrn Grünlich entschieden: »Ich kann nicht anders, als diese Heirat, die der Familie und der Firma nur zum Vorteil gereichen würde, dringend erwünschen!«

Wir wissen alle, dass keine derartigen Verhandlungen zu Eurer heutigen Eheschließung führten, und das lässt die Hoffnung zu, dass ihr - anders als Tony und Bendix seinerzeit - miteinander glücklich seid und bleiben werdet.

Falls nun übrigens jemand unter den Gästen hier meint, ich hätte eben doch - wortbrüchig zu meiner Ankündigung vor wenigen Minuten - in die Vergangenheit geblickt, so sei mein Widerspruch oder Einwand erlaubt: Es war immerhin nicht Christians Vergangenheit, und auch nicht Nicoles.

Dies wäre nun der Absatz in meiner Rede, der die Gelegenheit bietet, Euch gute Ratschläge für ein harmonisches Miteinander bis dass der Tod euch scheidet zu geben. Jedoch: Ich habe keine Patentrezepte mitgebracht. Wenn ich irgend etwas aus meiner eigenen Vergangenheit gelernt habe, dann nur die Tatsache, dass es keine Garantie für das Ausbleiben von Problemen und Schwierigkeiten gibt. Ich will und kann euch beiden nur wünschen, dass ihr damit umzugehen vermögt, dass ihr immer den Sonnenaufgang nach der Nacht, so dunkel sie auch ausfallen mag, erahnen könnt.

Dabei darf man auch mal Fantasie entwickeln und sich selbst zum Affen machen: Stellen wir uns mal vor, wie eine Affenherde unter einer Palme lebt. Die Mitglieder ernähren sich von den Früchten, die sie vom Boden aus erreichen können oder die gelegentlich herunter fallen.
Ein junger Affe entdeckt eines Tages, dass er eigentlich geschaffen ist, um in den Bäumen zu klettern und beschließt, auf die Palme zu steigen. Zudem gibt es dort viele besonders leckere Früchte, die man von unten zwar sehen, aber nicht erreichen kann. Die anderen Tiere raten ihm dringend davon ab: »Das ist viel zu gefährlich, da ist mal einer raufgeklettert und herunter gefallen, das könnte dir auch passieren... außerdem ernähren wir uns doch schon seit Generationen bequem vom Boden aus!«
Aber die Argumente fruchten nicht und der Affe schickt sich an, auf die Palme zu klettern. Da stürzen die anderen besorgt herbei, schreien herum und halten ihn an der Ferse fest. In dem Tumult stürzt er und holt sich ein paar Prellungen. So gelingt es mit vereinten Kräften, diesen Affen von seinem verwegenen Plan abzuhalten und er vergisst sein Verlangen mit der Zeit, bringt es mit den erlittenen Schmerzen in Verbindung und tut es später als eine Dummheit der Jugendzeit ab.
Nach vielen Jahren gibt es da wieder einen jungen Affen, dem die Früchte oben in der Palme so verlockend erscheinen, dass er gegen alle Gewohnheiten hinauf klettern möchte. Da kommt ein erfahrener, alter Affe zu ihm, legt freundschaftlich den Arm um ihn und sagt: »Sei nicht dumm - früher hatte ich ja auch mal diese Idee, aber es ist viel zu gefährlich und bringt auch nichts - wir ernähren uns doch schon immer bequem von den Früchten, die wir vom Boden aus erreichen können...«
Aber dieser Affe steigt hinauf und ...

So, bevor das Gähnen der Gäste überhand nimmt, will ich lieber zum Schluss kommen. Liebe Nicole, lieber Christian, so sehr ich Loriot schätze und genieße, nicht immer sind seine Sätze unbedingt der absoluten Wahrheit gleichzusetzen. »Männer und Frauen passen einfach nicht zueinander!« - ihr beide dürft nun in Eurer Ehe das Gegenteil beweisen.

Meine und unsere besten Wünsche und Gratulationen begleiten euch dabei.

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Inwiefern sie abgewandelt ausfallen wird, die Hochzeitsrede, sei dahingestellt. Manchmal fällt mir spontan noch etwas ein oder aus. Jedenfalls: Heute wird geheiratet. Und das ist auch gut so.

Morgen bekommen die geschätzten Bloglieser hier einen ebenfalls bereits avisierten Beitrag zu Gesicht, den ich für die Hochzeitszeitung geschrieben habe.

P.S.: Für das Affengleichnis habe ich Bento zu danken: Danke!

Donnerstag, 20. August 2009

Wie versprochen: Das Ende als PDF

Nun gibt es die versprochene überarbeitete und ergänzte Version meiner Gedanken zum Ende der charismatischen Bewegung am Stück und als PDF zum Download:

Das Ende der charismatischen Bewegung

Wie immer bei meinen Texten: Darf weiterverwendet und weitergegeben werden. Link zur Quelle wäre nicht verkehrt.